Zweieinhalb
Monate liegt es schon zurück, das 2. Filmfestvial in El Gouna. Ich habe das
Festivalprogramm und die Eintrittskarten aufgehoben, weil ich meine Eindrücke
mit euch teilen möchte. Jetzt endlich habe ich Zeit dazu.
Die zweite
Auflage des Filmfestivals war umfangreicher, grösser und zahlreicher besucht –
das war mein Eindruck. Über Jury, Teilnehmer und Preise mag man sich auf der offiziellen
Homepage informieren. Ich liebe Filmfestivals im Allgemeinen und so habe ich
schon einen Monat im Voraus auf die letzte Septemberwoche gefiebert.
Ein Grund dafür
ist, dass wir hier am Roten Meer nicht grad mit kulturellen Angeboten verwöhnt
werden. Ein weiterer, für mich ganz spezieller Grund ist die Mischung von
internationalen Filmen und dem Focus auf Filme und Filmemacher aus der
arabischen Welt. Dadurch kommen Besucher in den Genuss von Filmen, die in
Europa nur ausnahmsweise zu sehen sind.
Die vor mir
ausgebreiteten Eintrittskarten zeigen: europäische und arabische Filme habe ich
zu gleichen Teilen besucht. Als ich für die Reservation anstand, hörte ich
neben mir einen jungen Mann seine Wünsche aufzählen: drei Filme an einem Tag –
wie ich! Es ist diese Atmosphäre inmitten von Kinoliebhabern, die mit dem
Festivalführer in der Hand von Aufführung zu Aufführung eilen und anschliessend
den Regisseuren lauschen, wenn sie von der Idee und Verwirklichung ihres Filmes
erzählen.
Der erste Filmtag |
Die Filme
aus dem hiesigen Sprach- und Kulturraum geben Einblick in eine Welt, die wir
Europäer so eher nicht kennen. Wir sind die Bilder aus den Nachrichten und
allenfalls von Dokumentationen gewohnt: Waffen, Krieg, zerstörte Landschaft,
Elend, Fanatismus. Es geht um Einschaltquoten und in wenigen Sekunden die
neuesten Entwicklungen rüberzubringen.
Ein Film
hingegen erzählt aus einer völlig anderen Perspektive. Hier meine Favoriten:
Yomeddine von Abu Baker Shawky (Ägypten)
Feinfühlig
erzählt der Film die Geschichte eines von der Lepra geheilten Ägypters, der
sich aufmacht, seine Familie zu finden. Er verlässt die abgeschieden liegende Leprakolonie,
wo er als Abfallsammler und –sortierer ein bescheidenes Einkommen hat. Der
kleine Waisenjunge Omar, mit dem er befreundet ist, lässt ihn nicht allein
losziehen, sondern begleitet ihn. Unterwegs, von Kairo immer dem Nil entlang
nach Oberägypten – zuerst mit dem Eselskarren,
bis Karren und Esel zusammenbrechen, später per Anhalter und Schwarzfahrer –
erleben sie Demütigungen und Erniedrigungen der „besseren“
Gesellschaftsschichten, aber auch Hilfe von jenen, die ebenfalls am Rande der
Gesellschaft ums Überleben kämpfen.
Manche
Kritiken nennen den Film etwas „sentimental“. Mag sein. Er zeigt aber eine
Seite auf, die der Ägypten-Tourist nicht kennt: Die von Landwirtschaft geprägte
dörfliche Landschaft am Nil, der bittere Kampf ums tägliche Brot der untersten
Bevölkerungsschicht und die Ausgrenzung jener, die nicht ins typische Bild
einer ägyptischen Familie passen: geistig und körperlich Behinderte,
Verlassene, Waisen.
Der Film
hat in Cannes und an anderen europäischen Festivals für Furore gesorgt. Zu
Recht!
Leider
konnte ich nach dem Film nicht bleiben, um den Fragen und Antworten zuzuhören.
Der Film begann zu spät und ich musste rennen, um rechtzeitig im nächsten
Kinosaal zu sein.
Samouni
Road von Stefano
Savona
Die
Dokumentation erzählt die Geschichte einer Bauernfamilie im Gazastreifen. Sie
leben von und für ihre Olivenbäume und pflanzen Gemüse an. Während der Phase „Cast
Lead“ zwischen Dezember 2008 und Januar 2009 verbarrikadiert sich die
(erweiterte) Familie in einem Haus – überzeugt davon, dass sie von den Israelis
verschont würden, weil sie doch in Israel gearbeitet hatten. Das war ein
Trugschluss. Bei der Bombardierung wird ein Grossteil der Familie umkommen.
Plantagen und Häuser werden zerstört. Wie durch ein Wunder überlebt auch die
kleine Amal, obwohl sie lange im Koma lag.
Sie lernt der
Zuschauer als erstes kennen. Sie erzählt vom Leben davor und danach und wie es
während den Bombardierungen war. Das Davor und Danach wurde mit den Mitgliedern
der Familie gedreht. Hingegen wird das Während mit Bildern in Kratztechnik
aufgezeigt. Diese Bilder wirken lebhaft, eindringlich und gehen durch Mark und
Bein.
Nach der
Filmaufführung stand die Drehbuch-Co-Autorin Penelope Bertoluzzi Rede und
Antwort. Der Regisseur war schon vor diesem Angriff bei diesen Leuten und
wollte ein Porträt über die Familie und ihr Leben filmen. Dann kam der Krieg
und er musste Gaza verlassen. Danach kam er zurück und wurde Zeuge der
Tragödie, Verwüstungen, aber auch der Traumas, welche diese Menschen quälen.
Einer sagt einmal: „Es ist unglaublich, wie sehr wir leiden müssen, nur weil
wir zufällig hier geboren wurden und leben.“
Penelope
Bertoluzzi erzählte, dass der Film sogar in Jerusalem gezeigt worden war. Bei
der Szene mit dem Sucher vor der Bombardierung habe ein Zuschauer den Namen des
Kommandanten der Israelischen Armee gerufen. Die Fakten sind bekannt, zur
Rechenschaft gezogen wurde niemand.
Solche
Momente berühren tief. Ich sehe einen Film und weiss: Das ist Realität.
Hier ein
Interview mit Stefana Savona in Cannes.
Of
Fathers and Sons
von Talal Derki
Der in Deutschland lebende syrische Regisseur Talal Derki
gewinnt das Vertrauen eines Islamisten. Er kehrt in seine vom Krieg
aufgeriebene Heimat zurück, weil er verstehen will, was da passiert. Er lebt
zweieinhalb Jahre lang bei der Familie in Homs. Er porträtiert den Vater von
sieben Buben und einem Mädchen als überaus liebevoll und zärtlich – ein Vorbild
eines Vaters.
Gleichzeitig – in mir schreit es trotzdem! - ist er radikaler Islamist und Gründer von
Al-Nusra und vertritt das Ziel, ein islamisches Kalifat zu gründen (erkämpfen).
Derki lebt bei der Familie und belgeitet den Vater auf Sprengstoffanschlägen
und bei Minenentschärfungen. Er zeigt auf, wie das islamistische Gedankengut
auf die Kinder einwirkt, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Die Kinder vergöttern
ihren Vater und nehmen dieses Gedankengut an. Die Buben werden in ein
Trainingscamp geschickt, wo sie über Mauern klettern, unter Stacheldrahtzäunen
durchkriechen und Schiessen lernen. Das passt ihnen nicht, sie würden lieber
daheim bleiben, getrauen sich aber nicht gegen ihren Vater aufzubegehren.
Eine Minenentschärfung geht daneben – der Vater verliert
einen Fuss. Trotz quälenden Schmerzen gibt er sich kämpferisch für sein Ziel.
Sein Lieblingssohn und weitere Söhne kamen später um. Nur
ein Sohn macht nicht mit: Ayman geht weiterhin in die Schule.
Talal Derki stand nach der Filmaufführung auch Rede und
Antwort. Er war sich der Gefahr bewusst, in die er sich begeben hatte. Er hatte
schon früher mit radikalem Islamismus Kontakt und wusste, wie er sich verhalten
musste. Ein Zuschauer fragte, ob er nach dieser langen Zeit nicht Sympathien
für den Vater empfunden hätte. Darauf erwiderte Derki, dass ein einziges
falsches Wort, eine einzige falsche Bewegung seinerseits ihn das Leben gekostet
hätten.
Hier ein Link zu Derkis Beweggründen zu dieser Dokumentation.
Ich wünschte, ich könnte schon ans nächste Filmfestival
gehen...
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