Sonntag, August 22, 2021

Von Lampenpfosten und Ingenieuren

Es ist Mittag. Mitten im Fernunterricht klingelt mein Handy: die Hausverwaltung. Da muss ich ran, denn wenn die anrufen, ist es meist entweder unangenehm oder dringend. Oder beides zusammen.

Tatsächlich: Ich soll sofort mein Auto umparken. Kann ich nicht, will ich nicht, bin ja mitten im Unterricht. Also sag ich: „in einer halben Stunde.“

Kaum habe ich das Handy aus der Hand gelegt und mich bei meinem Studenten für die Unterbrechung entschuldigt, klingelt es wieder, diesmal aber an der Tür.

Unmut steigt in mir hoch. Ich entschuldige mich nochmals bei meinem Studenten und geh zur Tür: Ich soll meinen Autoschlüssel abgeben. Zum Umparken. Nein, mache ich nicht. Niemand kriegt meinen Autoschlüssel. Da es sich offenbar um eine absolut dringliche Sache geht, entschuldige ich mich zum dritten Mal bei meinem Studenten und erkläre ihm, dass ich schnell mein Auto umparken muss.

Stinksauer inzwischen, erkläre ich meinem Studenten danach, was da los ist.

Die wollen Lampenpfosten einbetonieren. An der Strasse wird schon seit sechs Jahren (oder sieben oder sogar acht, jedenfalls gefühlt ewig) gearbeitet. Fertig ist sie noch immer nicht, man kann zu Fuss einfach fast nicht mehr gehen, ohne sich beinahe den Knöchel zu brechen, weil beim letzten Einsatz der Maschinen faustgrosse Schottersteine sorgfältig verteilt wurden. Ganz zu schweigen von den unzähligen Gräben und Löcher, die wieder lausig zugeschaufelt wurden und jeden Autofahrer zwingt, im Schneckentempo zu fahren. Gegraben und gebort wird allenthalben für allerlei Leitungen und deren Brüche. Beides kommt regelmässig vor, aber immer zeitversetzt. Also ich meine, es wird gebort, aber nicht zugeschaufelt. Oder eine Leitung wird gelegt und es wird zugeschaufelt, aber die Leitung ist dann schon kaputt. Also wird zeitlich versetzt wieder geschaufelt. Und so weiter und so fort. Und jetzt liegen alle zwanzig Meter dunkelrote Lampenpfosten da und warten darauf, aufgerichtet zu werden. Das mit den Gräben sage ich meinem Studenten nicht, das weiss er ja selbst, das ist nur für euch Leser.

Ich frage meinen Studenten, ob denn hier nicht jemand die Arbeit am Vortag plane, mit Anzahl Arbeitern, Material, Uhrzeit, Dauer, Transportmittel usw.? Die müssen ja wenigstens wissen, mit wem sie am nächsten Tag unterwegs sind, welchen Auftrag sie ausführen möchten, welches Material sie dazu benötigen und wann das erfolgen soll? Ich denke, da muss sich ja ein Vorarbeiter – hier ein „Ingenieur“ - ein paar Gedanken dazu machen. Dann kann er oder wer auch immer die Anwohner informieren, dass die Autos weg müssen. Und ich schliesse mit den Worten: „Du bist doch auch Ingenieur, machst du das denn nicht auch?“

Wie falsch ich mit meinen lauten Überlegungen wieder mal bin, wird mir erst bewusst, als er schallend lacht und sagt: „Das kann hier nicht jeder Ingenieur!“

Ich guck ihn an und weiss nicht, ob ich entsetzt sein oder lachen soll.

Aber eigentlich weiss ich es ja. Hier wird nicht geplant. Irgendeiner in einem Büro gibt den Befehl, sofort Lampenpfosten aufzustellen. Dann geht irgendeiner irgendwann in jene Strasse, wo Taglöhner auf einen Einsatz warten. Die billigsten zwei werden dann rausgesucht. Die kriegen dann noch einen Sack Zement und werden zum Ort des Geschehens gekarrt. Dort bleiben sie dann und werkeln rum, machen Pause, werkeln ein bisschen weiter und werden dann irgendwann wieder abgeholt.

Keine Planung, kein Vorausdenken, kein Verantwortungsgefühl. Nichts. Drum ist das Land in so einem desolaten Zustand.

Übrigens: Die Lampenpfosten wurden erst kurz vor Sonnenuntergang einbetoniert. Und leuchten tut auch zwei Monate später noch keine von den silbrig bemalten Lampenpfosten. Aber dringend war’s.

1 Kommentar:

  1. Ach ja, früher hätte ich gesagt, hier ist das ganz anders ... heute haben wir auch ein bisschen Ägypten in Deutschland, nur mit ganz ganz schlechtem Wetter ...

    AntwortenLöschen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.