Diese Aussage – im Original natürlich in Arabisch, unzählige Male auch in Englisch – habe ich wahrscheinlich schon tausend Mal gehört, seit ich mich in dieser Weltgegend herum treibe. Klar komme ich damit aber trotzdem nicht. Das ist beschönigend ausgedrückt, denn ich müsste eigentlich festhalten: Ich drehe fast durch, wenn ich das höre. Das wahnwitzigste daran ist wohl, wie sich die Leute in einem der chaotischsten Länder an „Das ist unserem System“ festklammern.
Dieses unsägliche
Zitat wird immer in Situationen gebetsmühlenartig wiederholt, wo Angestellte Vorgaben
und Bestimmungen einhalten (müssen), obwohl sie dem gesunden Menschenverstand
widersprechen. Ich verstehe selbstverständlich, dass Angestellte von ihren
Vorgesetzten erlassene Vorgaben einhalten müssen – logisch oder nicht – sonst
werden sie gefeuert. Mein Verstand verzweifelt aber jeweils einen Moment bei
dem Versuch zu kapieren, dass diese einerseits erlassen worden sind, ohne weitere
Optionen und mögliche Folgen durchdacht zu haben, und andererseits stur
umgesetzt werden.
Wenn ich mir das
etwas genauer überlege, geht es wohl eher darum, dass da einer oben mit dem
Erlassen einer Regel zeigt, dass er da ist und arbeitet und somit seine
Anwesenheit rechtfertigt. Die da unten führen das dann folgsam aus (wo nötig)
oder nicht (wo möglich, z.B. im Strassenverkehr, beim Anstehen) und
entschuldigen sich dann mit der oben erwähnten Aussage.
Ein paar Beispiele gefällig?
Bei der Einfahrt
zum Hotel muss ich Fahrzeugausweis und Visum abgeben. Die Daten werden in einem
dicken Buch notiert. Danach werden mir die Karten klatschnass auf einem Tablett
gereicht: Sie schwimmen in Desinfektionsmittel. „Entschuldigen Sie, meine Dame, das ist unser
System.“ Ich denke mir, was die wohl mit Dokumenten in Papierform machen?
Gebügelt oder geföhnt zurückgeben?
Ein hier lebender
Ausländer erhält i.d.R. ein Visum für sechs Monate mit Option auf Verlängerung
oder für ein Jahr. Für jene, die verheiratet sind, schulpflichtige Kinder haben
oder Immobilien ab einem bestimmten Wert besitzen, gelten andere Regeln. Soweit
so gut. Aber: Nach diesem einen Jahr besteht keine Möglichkeit auf Verlängerung
des Visums. Man muss das Land verlassen, um einen Ausreisestempel vorweisen zu
können und wieder von vorne mit dem Visumkauf anzufangen. Viele Ausländer
fliegen deshalb schnell mal für 24 Stunden nach Istanbul und kommen dann
zurück. Der kurze Hüpfer wird „Visa-Run“ (Visumslauf) genannt. Doch wo ist der
Sinn dahinter? Da wird viel Geld für Flüge und anderes ausgegeben, das von den
hier lebenden Ausländern ja hier im Land ausgegeben werden würde, das aber wegen
diesen blöden Zwangsflügen fehlt. Wer Lust hat, kann mal überpeilen, was dem
Staat da flöten geht.
Wer hier ein
Geschäft eröffnen will, muss, noch bevor er den Antrag für die Bewilligung
einreichen kann, das Vorhandensein eines Lokales (gemietet oder gekauft)
vorweisen können. Bei „Geschäft“ kann es sich auch um eine Tätigkeit handeln,
die bequem von zu Hause erfolgen könnte, ein Lokal also überflüssig macht. Egal:
Es muss ein Ladenlokal vorhanden sein. Die Bearbeitung des Antrags kann sich
über Monate hinziehen und locker ein Jahr überschreiten. Die Mietkosten laufen
aber bereits. Folglich fängt man auch an dort zu arbeiten, um die laufenden
Kosten zu decken. Das ist aber illegal und ruft die Polizei auf den Plan:
Tätigkeit ohne Bewilligung. Das wird sehr teuer. Ein Bekannter versucht grad,
mithilfe eines Anwalts (weitere Kosten!) die Polizei davon zu überzeugen, dass
der Antrag zur Bewilligung des Geschäfts schon längst eingereicht worden war.
Wo der Sinn liegt? Wahrscheinlich ganz woanders: Neid. Geldgier eines Beamten.
Jemand anders will den Laden, weil er strategisch günstig liegt. Aber: So ist
das System.
Eine Freundin
meinte kürzlich, den meisten fehle das „Konsequenz-Gen“. Mit dieser Aussage
trifft sie ziemlich ins Schwarze. Viele Ägypter habe ich noch nicht getroffen,
die die möglichen Konsequenzen von dem überlegen, was sie entscheiden, tun oder
erlassen. Diese oft sinnfreien Entscheidungen werden von traditionell
indoktriniertem Gehorsam befolgt. Kein Wunder sind viele Menschen hier extrem
aggressiv, was sich beim Autofahren und bei den winzigsten Auseinandersetzungen
zeigt. Da steckt unendlich viel unterdrückter Frust drin.
Oder vielleicht
erklärt es sich auch so: Als ich einen Jeep-Fahrer fragte, weshalb er so eng
neben meinem Auto parkiert habe, sodass ich die Türe nicht mehr öffnen könnte,
meinte er – Achtung, er hat eine Konsequenz überlegt – er wollte links genügend
Platz für ein anderes Auto lassen. (NB: Der Parkplatz war abgesehen von unseren
beiden Fahrzeugen leer.) Als ich in meiner Verwirrtheit fragte, wo denn da die
Logik sei, erwiderte er barsch: Das würde ich nicht verstehen, das sei seine
Logik!
Auch das hat System.
Beim Jeep-Fahrer spielt wohl auch die berüchtigte Männer-Logik eine Rolle. ��
AntwortenLöschenEs verwundert einem als Tourist schon ,wenn Sie schreiben,welcher Frust bei den Menschen entsteht.
AntwortenLöschenBleibt man nur in den Hotelanlagen,hat man nach dem Urlaub das Gefühl ,alle Ägypter wären ruhig ,besonnen und freundlich.
Wenn man jedoch sich selbst umsieht im Land ,fällt einem die Aggressivität schon ein wenig auf .
Als Tourist kaufen Sie ein Feriengefühl. Die Realität bleibt draussen, was auch gut ist. Dafür geht man ja in die Ferien, oder? 🙂
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