Samstag, August 20, 2022

Bei der Wasserfirma

Zu der musste ich, seit ich Wohnungsbesitzerin bin, öfter hin. Genau genommen ist es das Unternehmen, das für das Trinkwasser zuständig ist. Für das Abwasser ist ein anderes zuständig.

Früher, als Mieterin, musste ich mich ja wirklich um nichts kümmern. Ich musste Miete zahlen und überteuerte Wasserrechnungen begleichen. Anfangs auch überteuerte Stromrechnungen, bis dann das Kartensystem eingeführt wurde.

Da der Besitzer unserer Wohnungsanlage ein unguter Geselle ist, wollte ich mich selbst informieren. Darüber möchte ich mich hier noch nicht äusseren, sondern es geht mir mehr um unerwartete Begegnungen.

Vergeblich, aber erfreut

Ich wusste bereits, dass die Büros auch am Samstag geöffnet sind. Also fuhr ich wiedermal in jenes Viertel, suchte für mein Auto ein halbwegs schattiges Plätzchen am Rande eines dieser schäbigen Wohnhäuser oder unter ein paar hervorstehenden Palmwedeln. Jeder Schatten ist im Sommer willkommen, lieber gehe ich ein paar Meter weiter.

Doch zu meiner Verwirrung war die Türe, durch die ich das erste Mal zu den Büros gelangte, geschlossen. Heute war doch Samstag, oder? Ich schaute mich um und entdeckte Hundert Meter weiter eine andere Türe, wo zwei Männer heraus lugten. Ich ging hin und fragte, warum die Wasserfirma zu sei.

„Feiertag“, war die simple Antwort.

Ja, aber, sie würden ja arbeiten! Ich fragte, was denn für ein Feiertag wäre. Mir fiel dazu nämlich nichts ein.

„Revolution“, war die erneut simple Antwort.

Ich dachte, er wollte nicht mehr sagen, weil er davon ausging, dass ich es eh nicht verstehen würde. Warum also viel Aufwand für die Ausländerin betreiben und langatmige Erklärungen über Ägyptens viele Feiertage abgeben?

Also bedankte ich mich, drehte mich um und stieg die wenigen Stufen zum Sand hinunter. Doch plötzlich drehte ich mich und hörte mich fragen: „Welche Revolution denn?“ Ich grinste breit. In meinem Kopf arbeitete es rasend… so viele Revolutionen und doch keine wahre Freiheit… ein Volk, das immer von anderen ausgenommen wurde und…

Der Mann grinste zurück und noch bevor ich etwas sagen konnte, schoss mir durch den Kopf „1952“. Gleichzeitig purzelte die Jahreszahl auch schon von meinen Lippen.

Darauf folgte ein arabischer Wortschwall, den ich vielleicht so deuten könnte: „Oh, Sie wissen das, welche Überraschung! Sie sind schon eine richtige Ägypterin! Willkommen!“

Was ich natürlich mit einem „niemals“ und einem Lachen quittierte.

Über diese lustige Begegnung vergass ich dann tatsächlich, dass ich mal wieder vergeblich früh aufgestanden war, um früh auf einer Amtsstelle zu sein, und fuhr fröhlich lächelnd nach Hause.

Überrascht und erfreut

Einen weiteren Besuch stattete ich dem Ort heute ab. Ein bisschen Schatten für mein Auto hatte ich ergattert, die Türe am Ende der langen Mauer stand offen, so marschierte ich guten Mutes hinein.

Die Büros waren praktisch verweist, was mich zuerst stutzen liess. Aber die Chefin sass mit einem weiteren Mitarbeiter im Büro und bedeutete mir, einzutreten. Ich kannte sie schon von meinem letzten Besuch und hatte sie damals schon überaus sympathisch gefunden.

Ich brachte mein Anliegen vor, sie diskutierten heftig und ihr Mitarbeiter übersetzte mehr oder weniger. Mir fehlten die Schlüsselwörter und ich nahm mir zum x-ten Mal vor, wieder an meinem Arabisch zu arbeiten. Der Mitarbeiter liess uns dann plötzlich allein, weil doch noch ein paar Kunden gekommen waren. Ich bedankte mich und wollte mich verabschieden.

Doch zu meiner Überraschung bat mich die Chefin, doch nochmals Platz zu nehmen. Sie bot mir ein Getränk an, das ich – wie fast immer – dankend ablehnte (Ich mag keine Süssgetränke, keine Tees und Kaffees zu diesen Tageszeiten und Wasser trinke ich so schon mehr als genug). Sie wandte sich mir zu und ich spürte: Jetzt geht es nicht mehr um Wasseranschluss, Registration und Betrug.

Vor mir sitzt eine aparte, sehr gepflegte, dezent geschminkte Dame, etwa in meinem Alter. Ihr schmaler Körper ist unter einer hellgrauen Kostümjacke versteckt, ihr Schleier sorgfältig mit Nadeln befestigt.

Sie kratzt ihr Englisch zusammen, ich mein Arabisch, und plötzlich meint sie, ob ich denn vielleicht mein Arabisch verbessern wolle? Klar, ich sollte schon lange…

In dem Moment kommt ein Kunde und bringt sein Problem vor. Die Chefin bittet mich zuzuhören und erklärt mir anschliessend, was der Kunde erzählt hatte. (Wie an anderer Stelle erwähnt, Diskretion gibt es hier nicht). Der Mann hatte kein Wasser – wir haben momentan fast 40°C! Er wollte einen Tankwagen bestellen. Aber die Wasserfirma hatte keinen. Die Lösung: Der Mann musste privat einen Tankwagen auftreiben und würde nur die Wasserfüllung bezahlen.

Sie erklärt mir, dass die Firma genau 50 Tankwagen hat, davon aber eine Reihe kaputt ist.

Kurz darauf kommt ein stämmiger, dickbärtiger Mann herein. Auch er hat ein Problem: Sein Vermieter erstellt Fantasierechnungen für den Wasserverbrauch. Zum Beweis hat er den Stand des Wasserzählers fotografiert. Die Chefin gibt ihm eine Telefonnummer; dort würde jemand zu ihm kommen und die Angelegenheit regeln.

Dann sind wir wieder einen Moment allein. Sie fragt mich, was ich über Ägypten denke. Hmm. Die Frage kommt immer wieder und je nach Gegenüber finde ich das ein heikles Thema. Allzu schnell könnte ich mein Gegenüber verletzen, kränken und in einem dicken Fettnäpfchen oder Schlimmerem landen. So antworte ich vorsichtig und gleichsam ehrlich: Ägypten ist ein sehr schönes und reiches Land, aber…

... aber…. – echot sie mich nach und wir lächeln uns an. Das Eis ist gebrochen. Wir reden über Korruption und wie alle darunter leiden und somit erhalte ich auch die indirekte Antwort, weshalb die Firma nur 50 Tankwagen zur Verfügung hat und davon ein Teil ausser Gefecht ist.

Nach einer Weile tauschen wir Telefonnummern aus und vereinbaren, dass wir uns mal auf einen Kaffee treffen.

Und wieder fahre ich fröhlich von dannen.

Es sind diese unerwarteten Begegnungen, die so herzlich und herzerfrischend sind, die meinen Alltag hier versüssen, die ich liebe, die mir Spass und Freude bereiten und von denen ich nicht genug kriegen kann. Sie tun mir so unbeschreiblich gut, sie zeugen von Menschlichkeit, Herzlichkeit und Wärme.

Ich freue mich schon auf das Treffen mit der Wasserchefin 😍

2 Kommentare:

  1. Hallo Alexandra, danke für dias Teilen deiner erneut grandios geschrieben Erlebnisse! Nur eines nimmt mich noxh stark Wunder 🤪 konntest du den dein Problem schlussendlich noch anbringen und lösen?

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