Unsere Fusssohlen zeichnen Spuren in den Staub. Wir stehen im Treppenhaus, weil es der einzig halbwegs kühle Ort ist, wo wir nicht gerade von allen Mitbewohnern beobachtet werden können.
Nach ein paar Trockenübungen erklingen die ersten Rhythmen. Ich stehe versteinert wie in Trance da und lausche dieser Musik… ich kenne sie… sie erinnert mich an etwas und doch kann ich es nicht einordnen. Mein Lehrer – ein Profitänzer – wiederholt den Namen mehrmals und schafft es dadurch endlich, mich aus meiner Starre herauszuholen.
Ich stehe schräg
versetzt hinter ihm und versuche seine Schritte und seine Bewegungen
nachzuahmen. Mein Kopf kriegt die Befehle kaum in meine Beine runter. Oder die
Beine bewegen sich nicht so, wie sie sollten. Vierzig Jahre liegen zwischen
meiner letzten Tanzerfahrung und diesem Moment und selbst damals tanzte ich in
einer Gruppe und nicht mit einem Partner. Trotzdem macht es mir
unbeschreibliche Freude, löst Glücksgefühle aus, die ich verloren geglaubt hatte.
Zudem ist mein
Partner geduldig und klug. Nein, mehr: Er hat mich, meinen Körper, mein Wesen gelesen
und eine Choreografie ausgewählt, die eine Geschichte erzählt.
Die Musik fliesst
in meinen Körper hinein, nimmt ihn gefangen, erleichtert einzelne Bewegungen,
die immer mehr zu einem sinnvollen Ablauf von Schritten, Drehungen und Sprüngen
werden. Wie durch einen Schleier nehme ich wahr, wie mein Tanzpartner Hinweise
gibt. „Lass dich fallen!“ – Ich lass mich nur bedingt fallen. „Jetzt musst du
mir einfach vertrauen. Ich halte dich.“ – Ich vertraue nur bedingt.
Doch die Musik,
die Schritte, die Drehungen und Sprünge vermischen sich, die Arme umfassen mich,
halten mich und stützen mich. Noch stelle ich mich ungeschickt an, vergesse
wieder einen Schritt, drehe mich in die falsche Richtung, gebe meinem
Tanzpartner ungewollt einen Kinnhaken.
Wie peinlich! Ich
entschuldige mich für meine Ungeschicklichkeit.
Während einiger
Tage spüre ich Muskeln, deren Existenz ich vergessen hatte. Völlig aus der
Übung, würde ich sagen, unbeweglich, eingerostet. Aber der Zauber hängt in mir
fest, verlässt mich nicht mehr. Ich will mehr davon.
Ein paar Tage
später klingelt der Wecker am Morgen und als ich realisiere, warum er mich
weckt, stehe ich freudig auf. Wir üben nochmals, gehen langsam jeden Schritt,
jede Drehung, jede Bewegung durch – ohne Musik. Irgendwie fühlt es sich diesmal
besser an, vielleicht erinnert sich mein Körper schon ein bisschen?
Dann setzen diese
bezaubernden Klänge ein, wir stehen in der Ausgangsposition. Den Einsatz
verpasse ich um ein paar Sekunden, doch dann…
Die Bewegungen
sind weicher, geschmeidiger, fliessender, ich vertraue, lasse mich fallen und
die Arme umfassen mich, führen mich, drehen mich, halten mich hoch, setzen mich
wieder ab. Und wir tanzen und wir drehen uns mit der Musik, in der Musik, sind
Teil der Musik, sodass es mehr ist als ein Tanz.
Mir wird
schwindlig. Ich juchze vor Freude.
Und dann das
ganze nochmals. Und nochmals. Ich bin hin und weg. Ich bin überglücklich und
zutiefst dankbar, dass ich dieses Gefühl nach so vielen Jahren nochmals
empfinden durfte.*
Noch einmal
klingelt der Wecker um dieselbe Zeit. Als ich realisiere, warum er mich weckt,
erfasst mich bleierne Leere.
Heute ist kein
Tanz mehr. Es war ein Traum. Im Treppenhaus suche ich vergeblich den Klang der
Musik, verfolge die Bewegungen im Geist. Eingie Fussabdrücke sind noch da, ein
paar Klänge schweben verloren im Wind. Es war ein Traum, eine Fata Morgana.
Ich stelle den
Wecker ab und lege mich zurück. Ich schliesse die Augen und lass den Traum
nochmals lebendig werden.
*Ich war mehrere
Jahre Mitglied einer Jazztanzgruppe und in einem Tanzverein.
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