Das Visum ist Voraussetzung, um z.B. ein Fahrzeug auf seinen
eigenen Namen zuzulassen. Und auch, um die Zulassung zu verlängern. Ersteres
hab ich ja erfolgreich und mit unerwartetem Vitamin B geschafft. Das andere beschreibe
ich nun hier.
Beim Verkehrsamt
Kopien meines Passes und des neuen Visums habe ich gemacht.
Eine grosse Portion Gelassenheit und Geduld habe ich mir schon in den letzten
Tagen zugelegt, wohlwissend, dass alles andere nur Unheil bringt. Perfekt
vorbereitet also, fahre ich um neun Uhr früh zum Verkehrsamt, wo sich bereits
zahlreiche Mitleidende befinden.
Ich habe keine Ahnung, wohin ich zuerst soll. Also frag ich
mal im kleinen Büro neben der grossen Halle. Da sitzen ein paar Polizisten mit
Funksprechern drin und besprechen etwas. Ich frage, wo ich meinen
Fahrzeugausweis erneuern muss. Sie weisen mich (leider) in die grosse Halle.
Dort drin drängen sich schon viele andere, genau wie letztes Jahr, genau wie
jeden Tag. Ich steure auf den Schalter in der Ecke mit der Aufschrift
„Foreigners“ zu. Doch da stehen nur Ägypter, nur Männer. Aber doch, ich bin
richtig. Dieser eine Schalter dient zwei verschiedenen Gesuchen, deshalb stehen
davor nicht nur Ausländer und dahinter nicht nur ein Beamter, sondern zwei.
Drum auch ist es immer eng da.
Derjenige der steht, ein Schnauzbärtiger, der etwas Englisch
spricht und sich um uns Ausländer kümmert, verlangt meinen Pass. Er blättert
ihn durch und sagt mir, dass ich ein Mäppchen kaufen müsse. Wo? Drüben. Er
schreibt mir das arabische Wort „malaf“ auf einen Zettel. Aber ich hab doch
letztes Jahr schon so ein Mäppchen gekauft! Erinnerungen… er meint, ich brauche
trotzdem wieder eines. Na gut.
Mit dem Zettelchen in der Hand spaziere ich ums Gebäude,
durch die Maueröffnung durch und hinüber zu den kleinen Kabäuschen. Natürlich
erinnere ich mich jetzt wieder. Auch an den flirtenden Typen im „Postbüro“.
Also, ich kauf mir ein Mäppchen für 10 Pfund. Damit will ich zurück in die
Halle, als mich irgendjemand laut mit „Hello“ zurückruft. Ich müsse noch Marken
dazu kaufen. 5 Pfund, im Kabäuschen daneben, wo es nur Marken zu kaufen gibt. Mit
beidem ausgestattet darf ich zum Flirter, der mich sofort wieder erkennt.
Wenigstens muss ich nicht lang warten, es hat nicht so viele Leute und er macht
relativ zügig vorwärts: er füllt meinen Antrag aus, klebt irgendwo weitere Marken
drauf, 5 Pfund nochmals, und setzt ein paar Stempel drüber. Für den Antrag zahl
ich nochmals 7 Pfund oder so etwas – ich hab den Überblick schon fast wieder
verloren, das Kleingeld behält er grad ein. Ausserdem schickt er mich nochmals
zu dem Kabäuschen, wo ich das Mäppchen gekauft hab: ich brauche dort ein Papier
fürs Gericht wegen den möglichen Verkehrsbussen. Auch das hol ich. Und nach dem
Gericht soll ich grad auch die Fahrzeug-Steuer bezahlen, empfiehlt mir der
Flirter freundlicherweise.
Mit dem inzwischen imposant gewordenen Mäppchen oder Dossier
spaziere ich wieder zur Halle. Der Blick des Schnauzbärtigen, der die Ausländer
bearbeitet, erhascht mich und er grinst. Ich darf ihm mein Dossier reichen. Er
prüft es, schreibt irgendwo etwas drauf und schickt mich zum Gericht im anderen
Stadtteil. Dort war ich noch nie, ich meine das Gericht.
Beim Gericht
Wie bei allen öffentlichen Gebäuden, ist es verboten, auf
den davor und darum herum liegenden Parkplätzen zu parken. Aus Sicherheitsgründen.
Also parken die Besucher irgendwo, wo es grad möglich ist: am Strassenrand, in
Seitenstrassen, vor Geschäften, auf dem Gehsteig und überall dort, wo es
einfach stört und wo es verboten sein sollte. Ich mach das auch und spaziere zurück,
vorbei an der Polizei, die wie immer mit Handys, Funk und Tee beschäftigt ist,
zum Eingang bzw. zu einem engen Durchgang durch den Zaun, um zum
Gerichtsgebäude zu gelangen.
Erster Stock links, hallt es in meinem Kopf, als ich das
bedrohliche Gebäude betrete. Eigentlich würde mich der Schlag treffen – hätte ich
inzwischen nicht schon mehrere solche öffentlichen Gebäude von innen gesehen.
Aber hej, das hier ist das Gericht! Drinnen ist es finster und schmutzig. Überall
sind Leute, die warten und schwatzen. Auskunft oder so etwas gibt es nicht. Ich
steig eine Treppe empor und versuch mich links zu halten. Das ist eigentlich
sinnlos, denn der Korridor geht rund um die Büros herum, seitlich gehen Treppen
ab, die aber verbarrikadiert sind. Also hätte ich auch rechts herum gehen
können. Ich treff nämlich überall auf das gleiche Bild: Wartende, die sich um
ein vergittertes Büro drücken, ihre Fackel in die Höhe und durch die Gitterstäbe
halten. Kaum Frauen.
Ich nähere mich dem Ende einer Warteschlange (die gibt es
gezwungenermassen, weil der Gang so schmal ist) und halt mein Papier jemandem
vor die Nase. Sofort beginnen zwei, drei Männer zu diskutieren, ob ich das Ding
überhaupt brauche oder nicht. Blöd. So komm ich nicht weiter. Ich quetsch mich
an den Wartenden vorbei, direkt vor das Gitter. Frauen dürfen/müssen das. Nach
ein paar Minuten erbarmt sich einer der Beamten da drin, guckt mich an und sagt
„nebenan“. Ok, d.h. Frauen nebenan. Nur: nebenan ist das Büro verwaist. Es hat
weit und breit ja auch keine Frauen!
Ich geh den Gang entlang weiter, bis ich wieder eine
Büroöffnung entdecke, und frage höflich, ob ich hier richtig sei (ich weiss ja,
dass ich das nicht bin). Ein junger, höflicher Beamte, der auch noch sehr gut
Englisch spricht, steht sofort auf, öffnet das Gitter und läuft mir davon. Ich
hinterher, zurück zum Büro „nebenan“ von vorhin. Er öffnet das Gitter, setzt
sich an das winzige Pult und studiert meine Papiere. Das eine, das ich extra
noch im Kabäuschen geholt hab, brauche ich nicht – es gilt für die zweifarbigen
Nummern. Ich hab eine neue, einfarbige. Er sucht meinen Akt (ich bin überall
dokumentiert!) und findet keine Verkehrsbussen. Er steht wieder auf, sagt mir,
dass ich in einem anderen Büro bei zwei Beamtinnen warten solle. Beide
begrüssen mich freundlich. Die eine bereitet sich Tee zu, die andere guckt ihr
zu und beide schwatzen. Ob ich auch Tee will? Nein danke. Warum nicht? Ich mag
keinen Tee. Wasser? Nein danke, hab ich selbst. Woher…? Und so weiter…. bis mich
der junge höfliche Beamte erlöst. Er gibt mir meinen Fahrzeugausweis zurück, an
den er einen kleinen Zettel geheftet hat. Geschafft.
(Das WC beschreib ich jetzt lieber nicht).
Wieder beim Verkehrsamt
Es ist halb elf. Ich hol mir das Papier für die
Fahrzeugsteuer bei dem jungen Mann, der nicht wie auf einem Bazaar herumbrüllt.
118 Pfund. Ein tolles Papier. Ich lege es in mein Dossier und spaziere schon
fast froh wieder in die Halle hinein, zurück zum Schnauzbärtigen. Der nimmt
mein Dossier, prüft nochmals alles, notiert meine Telefonnummer und winkt mir, ihm
zu folgen.
Zu einem anderen Beamten, der bleich die allerletzten
Kontrollen macht. Vor mir steht ein furchtbar dicker junger Mann, der mehrere
Fahrzeuge einlöst. Ich hab keine Chance, mich bemerkbar zu machen. Mein Dossier
liegt vorerst. Der dicke geht und ich werde bemerkt. Der bleiche Beamte
kontrolliert mein Dossier minuziös und streicht sich in einer Geste der
Verzweiflung über das Gesicht. Fehler. Scheibe. Was? Englisch gibt es nicht.
Aber ich verstehe: die Fahrzeugsteuer-Police ist falsch. Sie muss zwei Monate
länger gültig sein als der Fahrzeugausweis. Zwei Monate zusätzlich kaufen. Ok.
Ich geh wieder hinaus zu dem jungen Mann, der nicht wie auf dem Bazaar brüllt. Der andere daneben brüllt noch immer jedem Kunden entgegen. Ein anderer Kunde vor mir hat das
gleiche Problem – das macht uns zu Genossen. Der junge Mann schreibt eine neue
Police, fotografiert sie, trägt sie in seiner Liste ein. 27 Pfund.
Zurück zum bleichen Beamten; er guckt die Police an und weist
mich an einen weiteren Schalter, wo ich zahlen soll. Durch ein winziges
vergittertes Fensterlein reiche ich 225 Pfund und erhalte dafür eine
unleserliche Quittung. Die bringe ich dem bleichen Beamten und er bedeutet mir,
dass alles ok sei.
Das heisst warten.
Inzwischen studiere ich die Menschen, die da ein und
ausgehen. Ein Mann mit völlig verkrüppelten Beinen hangelt sich die Wand
entlang. Er kann nur ein oder zwei Schritte frei gehen und braucht Stütze. Sein
Begleiter reicht ihm die Hand und sie verschwinden aus meinem Blickfeld.
Ich warte. Neben mir wartet eine Ägypterin. Wir lächeln uns kurz an.
Ein Nachbar taucht auf. Er ist Italiener und hat einen
ägyptischen Bekannten dabei, der ihm bei dem Prozedere hier hilft. Wir
quatschen eine Weile. Dabei erfahre ich, dass der Fahrzeugausweis zwei Monate
nach Ablaufdatum gültig ist. Aha!!! Nun verstehe ich.
Ich warte immer noch.
Ein weiterer Bekannter taucht auf. Wir plaudern über die
politische und wirtschaftliche Situation. Er geht weg. Ich guck die Leute an.
Er kommt wieder. Wir plaudern weiter. Ich hol mir nun doch noch eine Flasche
Wasser am Kiosk. Es dauert halt schon noch 'ne Weile. Ich mach mir auch gar keine Illusionen.
Warten.
Logisch, können die das überdimensionierte kafkaeske
Bürokratie-System in diesem Land nicht umkrempeln und auflösen. Es gibt ca. 7,2
Millionen Beamte für die 90 Millionen Einwohner. Würde man dieses Verhältnis
auf ein halbwegs normales Niveau reduzieren, würden auf einen Schlag mehrere
Millionen Menschen ohne Arbeit dastehen. Zusätzlich zu den 20 oder so Prozent Arbeitslosen. Unmöglich. Also werden die Bürger weiterhin von Stockwerk zu
Stockwerk, von Büro zu Büro, von Dossierverkäufern zu Stempeldrückern und von
Stadtteil zu Stadtteil gejagt. In Hurghada geht das übrigens noch glimpflich
zu und her. Den wahren Albtraum erlebt jeder Antragsteller in Kairo, in der
Mugamma – einem kafkaesken Gebäude, indem beinahe zwanzigtausend Beamte arbeiten bzw. so tun, als ob. Dieser völlig überdimensionierte
Beamtenapparat belastet dabei – zusammen mit den sinnlosen Subventionen – das Staatsbudget
am meisten. Derjenige, der wagt, daran zu rütteln, riskiert einen Volksaufstand. Klägliche Versuche sind in der Vergangenheit gescheitert.
Mein Name wird gerufen. Um Viertel vor Eins – also nach
knapp vier Stunden – reicht mir der Schnauzbärtige den neuen Fahrzeugausweis. Er
lächelt: sogar mein Name ist nun richtig geschrieben!
Wow. Gut gegangen. Allein hab ich es geschafft. Zufrieden,
eine weitere Hürde hinter mich gebracht zu haben, fahr ich davon.
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