Jetzt ist Ägypten wieder in den Schlagzeilen, in denen Angst
und Panik verbreitet werden. Sobald – sofern! – sich das wieder beruhigt hat,
denkt man wieder an die bunten Korallenriffe und die wundersamen Lebewesen des
Roten Meers, an den Nil und an die sagenhaften Tempel und Gräber der Pharaonen.
In diesem riesigen, alten Land steckt noch so viel mehr drin
und ich bin jedes Mal glücklich, wenn ich wieder einen Teil der reichen und
vielfältigen Kultur entdecken darf. Im August habe ich zufällig von einem „Characters of Egypt Festival“ gehört und mich gleich danach erkundigt. Allerdings habe ich
nur spärliche, nicht aktuelle Informationen gefunden – bis mir eine Freundin
sagte, dass das Festival dieses Jahr in ihrer Nähe stattfände.
Ursprung
Die Idee für das Festival kam von einem Mann, der viele
Jahre in der Wüste bei und mit den Beduinen gelebt hat. Er wollte die
verschiedenen Stämme zusammen führen. 2008 fand das Festival erstmals im
Nationalpark Wadi El Gamal, um die 300 km südlich von Hurghada, statt. Bis 2012
wurde der Anlass jährlich durchgeführt und gemäss Aussage des Festival-Gründers,
Waleed Ramadan, nahmen Vertreter der meisten Beduinenstämme Ägyptens daran
teil.
Heuer nun gab es einen Neustart etwas ausserhalb von Port
Ghalib. Für die in der Gegend lebenden Beduinen, die Beschary, ist ein Gelände
für Kamelzucht und Rennausbildung aufgebaut worden. Um die Rennbahn herum
liegen Beduinen-Zelte, ein Gästehaus, sanitäre Anlagen, eine grosse Tribüne und
Wirtschaftsgebäude mit Büro und Küche. Der perfekte Ort also für den Anlass.
Festival
Das Festival ist für die Beduinen und nicht ein künstlicher
Folklore-Anlass. Es gab Zeiten, in denen sie sich bekriegt haben – heute kämpfen
sie mit den gleichen Sorgen und Problemen und sollen dies künftig gemeinsam tun.
Am Festival messen sie sich bei Kamelrennen (Reiter und Fahrer im Sulky) sowie
Hoch- und Weitsprung. Es wird ausgiebig diskutiert, gesungen, getanzt und
musiziert. Zu jeder Tageszeit ertönt irgendwoher Gesang, klatschende Hände
oder die Klänge einer Semsemeya begleiten ihn.
kurz vor dem Start |
Blick von der Tribüne |
Das Festival steckt in den Kinderschuhen. Der Anlass wurde
kaum beworben, folglich haben sich nur wenige Besucher (Ägypter wie Ausländer)
dorthin „verirrt“. Eine einzige
Journalistin (hier ihr Artikel) fiel mir auf. Ein Programm versprach, was die ägyptische Realität gar nicht einhalten konnte. Die Stimme des Ansagers krächzte in ein Mikrophon; trotzdem verstand ihn kaum jemand. Die Bühne lag am Abend im Dunkeln - die Sänger und Musiker störte das nicht. Man konnte sich auch verpflegen; allerdings mit viel Verspätung, Detektivarbeit und Geduld. Sympathisch ägyptisch eben.
Es fehlten aber nicht nur Besucher, sondern auch Teilnehmer.
Die Organisatoren hatten mit den für Ägypten typischen Widrigkeiten zu kämpfen:
Zusagen und Versprechen, die nicht eingehalten wurden, Desinteresse,
Selbstüberschätzung. Viele Beduinen konnten gar nicht herkommen, weil es an
Transportmöglichkeiten fehlte. Die hätte eigentlich das Ministerium für
Tourismus zugesagt, zwei Tage vor dem Anlass aber wieder abgesagt. Ausserdem
hatte es kurz davor in ganz Ägypten enorme Überschwemmungen gegeben.
Einige Details wurden liebevoll vorbereitet und umgesetzt.
So wurde z.B. eine eigene Währung erfunden, der „Gaoud“, der als alleiniges
Zahlungsmittel angenommen wurde. Ein Camp mit Zelten stand bereit, in denen die
freiwilligen Helfer untergebracht waren und die Besucher mieten konnten. Ein
Shuttlebus pendelte zwischen dem „Camel Yard“ und einem eigens für den Anlass
eingerichteten Strand an einer wunderschönen geschützten Bucht, einige Kilometer weiter nördlich. Eine von Hand
gemalte Tafel zeigte auf, wo die jeweiligen Beduinenstämme ihre Zelte
aufgestellt hatten.
Camel Yard Port Ghalib |
Die Währung im Camel Yard - eine Illusion :) |
In einem der Zelte wurde ein Film über die Bedeutung der Kamele gezeigt: das „Wüstenschiff“ spielt noch immer eine grosse Rolle im Leben der Beduinen. Es ist Transportmittel, Milch-, Fleisch- und Wolllieferant und bringt Geld ein, wenn es Rennen gewinnt oder an reiche Araber verkauft werden kann.
der Nachwuchs |
„Typisch“ Ägypten und trotzdem oder sogar genau deshalb war der
Anlass unverfälscht, echt und liebenswürdig. Genauso neugierig, wie unsereiner
die Beduinen bestaunten, bestaunten sie uns. Als ich von Beduinenzelt zu
Beduinenzelt schlenderte, wurde ich überall herzlich begrüsst und eingeladen, mich
auf den ausgebreiteten Teppichen niederzulassen und Kaffee oder zu trinken. Eine
wunderbar friedliche Atmosphäre lag über dem Gelände und dem Anlass.
Beduinen Ägyptens
Ursprünglich stammen die meisten Beduinen von der Arabischen
Halbinsel (eine Ausnahme bilden die Jabaleya vom Katharinenberg im Sinai; sie waren vor
1‘400 Jahren von Mazedonien geschickt worden, um das Katherinenkloster zu bauen
bzw. zu bewachen). Über die Sinai Halbinsel sind sie auf den afrikanischen
Kontinent gekommen und haben sich in den Oasen der Westlichen (d.h. westlich
des Nils) und Östlichen Wüste (auch Arabische Wüste) und den Redsea Mountains niedergelassen; sie
folgten dem Nil entlang bis in den Sudan und Eritrea. Beduinen leben
ursprünglich von Viehzucht und jene, die am Meer leben, von der Fischerei. Viele
sind zwangsweise sesshaft geworden und leben vom Safari-Tourismus.
Aufgefallen sind mir die Unterschiede in ihrer
traditionellen Kleidung. Jene der Beduinen vom Sinai und der Oase Siwa im
Nordwesten Ägyptens gleicht eher der Kleidung der Saudis, mit den rot-weissen
Kopftüchern und dem schwarzen Ring; ihre Gewänder sind weiss, wenn es kühl wird
tragen sie dazu ein Sakko; die Beduinen der Oasen in der Westlichen und
Östlichen Wüste hingegen tragen eine um den Kopf geschlungene Kufya und ihre
Gewänder sind aus verschiedenen Farben: grün, braun, beige, weiss, grau. Einige
tragen Gilets, andere, z.B. die Nubier, tragen Gürtel – zumindest bei Festen.
Auch die Art der Zelte ist unterschiedlich: sie sind aus geflochtenen Matten, aus
Wolle gewobenen oder aus Stoffen zusammen genähten Bahnen. Gemeinsam ist ihre Form: die Front ist einladend offen und lässt auf bunte Stoffwände und
Teppiche sowie Dekorationen blicken.
Anwesend waren Beduinen aus Siwa und Farafra, Nord- und
Südsinai, Arab El Shararat, Nubien, Bashareya und Ababda.
Bashery |
Die ursprüngliche Musik von Naturvölkern hat mich auf all
meinen Reisen immer wieder magisch angezogen. Auch diesmal: Es sind
rhythmische Melodien aus warmen Klängen, die sich immer wiederholen, bis man fast in
Trance fällt und Ruhe… vielleicht Glück empfindet. Rein und mit einfachen
Instrumenten erschaffen: klatschende Hände, Tabula, Semsemya. Nur Männer haben musiziert,
gesungen und getanzt – mit einer Ausnahme: bei den Nubiern gehörten auch die
Frauen dazu.
Versammlung und Diskussion
Auch wir „Nicht-Beduinen“ wurden eingeladen, der Versammlung
der Scheichs der teilnehmenden Stämme beizuwohnen. Es solle um Kämpfe und
Kriege gehen, hiess es.
Während wir auf den Beginn der Diskussion warteten und
warteten, erklärte uns der Festivalgründer, dass die Beduinen eine andere
Einstellung zur Zeit hätten. Auch wenn sie alle Uhren und Handys auf sich trügen,
sprächen sie nicht von „zehn Uhr“ sondern von „Sonnenaufgang“ und „Sonnenuntergang“.
Wenn es heisse „um Mittag“, dann könne das bedeuten, dass jemand halt erst eine
halbe Stunde später eintreffe; die Wartenden würden sich darüber nicht aufregen
und die später Eintreffenden sich nicht beschämt fühlen.
In der Wüste leuchtet das ein. Im
modernen Alltag hat sich diese Einstellung offenbar auf ganz Ägypten
ausgebreitet – ob sinnvoll oder nicht, sei jetzt mal dahingestellt. Jedenfalls
fiel uns das Warten weniger schwer.
Mit der Zeit füllte sich das Zelt mit Persönlichkeiten in
traditionellen Gewändern. Älteren wurde respektvoll Platz gemacht, höfliche
Grüsse ausgetauscht. Niemand schwatzte, niemand tratschte, es war von Anfang
bis zum Ende eine würdevolle Stimmung.
Eine Polin und ich waren die einzigen Ausländerinnen; ich
sass zwischen zwei jungen Ägypterinnen; die rechts von mir sollte übersetzen. Glücklicherweise
verstand ich das Meiste, was gesprochen wurde, und musste nur hie und da nach
der Bedeutung eines Wortes fragen.
Zu Beginn tauschten die Scheichs Höflichkeiten aus, lobten
das Festival und die Organisation, sprachen darüber, wie wichtig es für die
verschiedenen Stämme wäre, sich kennen zu lernen und auszutauschen. Ziel dieser
Zusammenkunft war, sich zu vereinen und künftig geeint der ägyptischen
Regierung gegenüber zu treten und Lösungen für ihre Probleme zu finden.
Ausgerechnet an diesem Morgen war das russische Flugzeug
über dem Sinai abgestürzt und noch ahnte niemand, welch katastrophale
Auswirkungen das erneut auf den Tourismus haben würde. Die Weisse Wüste und die
Bahareya Oase sind seit dem Zwischenfall im September mit den mexikanischen Touristen gesperrt. Der Nord-Sinani ist totales Sperrgebiet. Viele der anwesenden
Beduinenstämme leben vom Safari-Tourismus, der immer mehr eingeschränkt wird.
Ein Scheich betonte, niemand könne besser für Sicherheit in ihrem Gebiet
garantieren, als die Beduinen selbst. Das könne weder das Militär noch die
Polizei. Sie möchten in diesem Bereich vom Staat ernst genommen werden und das
gehe nur, wenn sie sich alle zusammenschliessen würden. Sie möchten Lösungen
erarbeiten, um die einzigartigen Naturschönheiten von Wüste und Gebirge ihrer
Heimat, ihre Tradition und ihre Kultur den Touristen wieder zugänglich zu
machen.
Ich lauschte den Worten, beobachtete diese Männer in ihrer
traditionellen Kleidung, studierte Gesichtszüge und Gesten. Tradition, Würde,
Respekt. Niemand fiel jemandem ins Wort, jeder durfte reden so lange er es als
nötig empfand. Wer sich melden wollte, hob die Hand. So ganz anders, als den
Eindruck, den ich vom lästigen Taxi-Bazaar-Pöbel in Hurghada habe. Nicht einmal
(während des ganzen Festivals) wurde ich blöd angemacht, angestarrt oder
belästigt. Die Worte von Freunden irrten in meinem Kopf herum, wonach Hurghada
unter den typischen negativen Krankheiten leide, wie jeder Touristenort. Das
hingegen, was ich hier in diesem Zelt inmitten dieser ehrwürdigen Männer
erlebte, ist Teil des wahren Ägyptens. Ich bin mir sicher, dass ein Grossteil
der Ägypter keine Ahnung davon hat, wie reich an Kultur, wie respektvoll im
Umgang mit ihresgleichen und mit der Natur die „einfachen“ Beduinen sind.
Und dann schlug jemand vor, sie sollten doch auf Facebook
eine Gruppe gründen, auf der ihre Probleme diskutiert und Lösungen besprochen
werden sollten. Ich musste lachen: das passte so gar nicht in diese Atmosphäre!
Und doch: auch die Beduinen leben im Jahr 2015!
Ein Vertreter des Tourismusministeriums und ein Foto-Journalist
mischten sich in die Diskussion über das Festival ein und schoben sich – auch
das typisch Ägypten – gegenseitig die Schuld für die schwache Vermarktung des
Festivals in die Schuhe. Gleichzeitig würden ja Parlamentswahlen stattfinden –
an die sowieso niemand ging, die Stimmbeteiligung lag bei etwas über 20% und
gefälscht waren sie auch – und ein bekannter Sänger in Kairo auftreten. Damit
wären die (staatlich gesteuerten und überwachten) Medien schon so beansprucht, dass
sie nicht auch noch ein paar Journalisten in die Provinz senden könnten – so
die Meinung. Zwischenbemerkung: und das bei einer Bevölkerung von fast 90
Millionen!? Künftig, so wurde versprochen, soll das besser werden. Wer’s
glaubt.
Der Festivalgründer sprach auch davon, Sponsoren kontaktiert
zu haben, aber keine Rückmeldung von Egypt Air und anderen Grossunternehmern erhalten
zu haben. Wundert das jemanden?
Zurück zu den Problemen der Beduinen. Facebook allein genügt
doch nicht. Nach langem Debattieren wurde beschlossen, einen Rat von Vertretern
eines jeden Stammes zu bilden; endlich wurden Telefonnummern und Namen notiert.
Zu diesem Rat sollten aber nicht nur die Scheichs sondern auch Junge gehören. Die Vertreter sollen sich regelmässig treffen und mit der Regierung in Kontakt treten.
Idee dieses Treffens ist auch, dass die Anwesenden in ihren
Stammesgebieten von diesem Festival berichten und Bekannte und Freunde
auffordern teilzunehmen. Die Bewegung solle alle Beduinen bis an die
Nilquelle und bis Marokko aufnehmen, sofern sie einen gemeinsamen Ursprung mit
den ägyptischen Beduinen hätten. Grosse Worte und Gedanken…
Nach eineinhalb Stunden zerstreute sich die Versammlung. Ich
ging nochmals in der wunderschönen Bucht schwimmen.
Naturvölker am Rande
Auf der langen Rückfahrt zurück nach Hurghada haderte ich
über die Ungerechtigkeiten dieser Welt: es sind immer die ehrlichen, einfachen
Menschen, die indigene Bevölkerung, die Schwachen, die sich dem Diktat der
Politik und den Mächtigen gegenüber sehen und früher oder später einknicken. So
viel wertvolles Wissen, reiche Kulturen und Traditionen gehen verloren, werden
unterdrückt. Sie sind es auch, die sorgfältig mit den Ressourcen unserer Erde umgehen. Sie denken und handeln nachhaltig.
Das macht mich traurig. Gleichzeitig bin ich aber dankbar, dass ich wieder einen wunderbaren, verborgenen Teil Ägyptens wenigstens ansatzweise entdecken durfte.
Das macht mich traurig. Gleichzeitig bin ich aber dankbar, dass ich wieder einen wunderbaren, verborgenen Teil Ägyptens wenigstens ansatzweise entdecken durfte.
Nachfolgend einige Bilder und Videos. Die Videos publiziere
ich vor allem wegen der Musik – es war schon zu dunkel für meine kleine Kamera.
der Eine guckt ins Handy - der andere döst |
Nubische Musiker in Festkleidung |
Rennvorbereitungen am zweiten Tag |
erste Runde gefahren |
von Siwa |
vom Stamm der Rashidy |
ein Nubier |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.