Wer ein wertvolles Erbstück besitzt und dieses reparieren
lassen möchte, tut gut daran, die Papiere über den Eigentumsnachweis
mitzuliefern. Sonst kann der Versuch dramatisch enden. Zumindest in Ägypten.
Als MA. nach der Arbeit seinen Bruder H. nicht wie gewohnt
zu Hause oder im Kaffee antrifft, wird er nervös. Sein Bruder braucht
Medikamente, um psychisch stabil zu bleiben. Solange er seine Medikamente
nimmt, geht das; DASS er sie aber regelmässig nimmt, kommt einem täglichen
Hürdenlauf gleich und das ist MA.s Sorge.
Wenn also sein Bruder verschwunden ist, läuten bei ihm alle
Alarmglocken. MA. fragt alle Verwandten und Freunde. Niemand hat ihn gesehen.
Er läuft durchs Quartier, klappert alle Kaffeehäuser ab. Nichts. Mitternacht
naht. Hatte H. einen Anfall? MA. ruft die Krankenhäuser der grossen Stadt an. Auch
nichts.
Erst um drei Uhr morgens findet er den Vermissten in einer
Polizeistation. Verängstigt, zitternd, schwitzend und bleich.
Was war geschehen?
H. war auf die Idee gekommen, die Uhr ihres verstorbenen
Vaters reparieren zu lassen. Ein wertvolles Erbstück, der Vater war einst ein
reicher Mann gewesen, ein erfolgreicher Geschäftsmann. Bis er in eine Spirale
des Elends geriet: Tod der Ehefrau, Alkohol, fehlende Aufträge, unbezahlte
Steuern, Krankheit, Armut.
Guten Mutes und in Erinnerung des Vaters packt H. die Uhr
ein und marschiert zu einem Juwelier. Der begutachtet das Stück und bespricht
sich mit seinem Kollegen. Doch anstatt den Auftrag anzunehmen und einen
Kostenvoranschlag zu machen, wie das üblich ist, ruft er die Polizei.
H. sei ein Dieb, er habe eine teure Uhr gestohlen. H. wird
von der Polizei abgeführt und verhört.
Psychisch labil wie er ist, kann er sich
gegen die Vorwürfe nicht wehren. Seine Beteuerung, es sei die Uhr seines
Vaters, verpufft ins Leere. Seiner Bitte, den grossen Bruder anrufen zu dürfen,
wird nicht stattgegeben. Apathisch, kreideweiss und zusammengefallen harrt er der
Dinge, die da noch auf ihn zukommen sollen.
Kraftlose Beweise
Als MA. auf die Polizeistation kommt, ist sein Bruder in
erdenklich schlechter Verfassung. Er erklärt den Sachverhalt um die Uhr. Er
bittet um Verständnis für seinen kranken Bruder. Er legt den Kaufvertrag für
die Uhr vor. Die Polizei hört zu, schaut sich das Papier an, versteht.
Trotzdem wird der Bruder nicht entlassen. Es soll doch ein
bisschen was kosten. Erst, als MA. Bekannte anruft, die gute Beziehungen zur
Polizei haben, darf er seinen Bruder mitnehmen.
Warum das alles? Der Juwelier und die Polizei wollten sich
die Uhr aneignen und sich die Beute teilen.
Zu Tode geprügelt
Ungefähr zur gleichen Zeit (im Spätherbst 2015, in Luxor und
Ismailia) wurde je ein Fall bekannt, wonach Familienväter unter dem Vorwand,
Drogenhändler zu sein, festgenommen wurden. Eine Abrechnung angeblich. Im
Gefängnis wurden sie so arg zugerichtet, dass sie kurz darauf ihren Verletzungen
erlagen. Das ist nicht wirklich etwas Neues hier – Aufsehen erregt hat aber,
dass die Familien und Freunde der beiden auf die Strassen gingen, um gegen Willkür und
Gewalt der Polizei zu protestieren.
H. hatte Glück gehabt. Es hätte ihm ähnlich ergehen können.
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