Sonntag, Juni 11, 2017

Ramadan Momente

„Nein, ich faste nicht, ich sehe auch keinen Sinn dahinter“, war meine Antwort auf die Frage, ob ich es schon mal ausprobiert hätte oder ausprobieren wollte. Der Fragesteller, ein untersetzter Mann mittleren Alters, fastet. Aber er ist einer von jenen, die den „einfachen“ Weg gehen. Er arbeitet am Tag nicht, sondern schläft. Das ist nicht die Idee vom Fasten im Ramadan, aber viele tun es ihm gleich. Zu hart ist es, knapp vierzehn Stunden am Tag nichts zu essen und nichts zu trinken. Bei Temperaturen von 35°C bis 40°C.

Ich kenne medizinisches Fasten. Da wird gar nichts gegessen. Eine Woche lang, zwei Wochen lang. Nur flüssige Nahrung wird aufgenommen, zuerst Suppen, dann noch Säfte. Hier im Ramadan wird aber nachts zugelangt, worauf man am Tag verzichtet hat. Ist das Fasten? Und gesund soll es sein, bei diesen Temperaturen nichts zu trinken? Ich bezweifle das. Aber schlussendlich ist es nicht mein Entscheid, sondern ich gucke nur zu.


*****
Die Zehnjährige fastet teilweise. Wie viele Kinder hat sie ständig irgend etwas in den Händen und im Mund, meistens den Füller oder den Bleistift. Heute stopft sie sich gedankenverloren zerbröckelten Radiergummi in den Mund – und spuckt ihn sogleich aus. Wir lachen beide: „Ich hab grad vergessen, dass ich ja eigentlich faste.“

*****
Ihre kleine Schwester, zwei Jahre jünger, fastet auch schon teilweise. Als ich zu ihr komme, erklärt sie mir bedeutungsvoll, dass sie heute faste. Und deshalb sei sie müde und nicht willens, sich zu konzentrieren. Genauso ist es und sie stopft sich gedankenverloren Papierschnipsel in den Mund. Ich grinse und sie sieht mich verlegen an, grinst dann auch und meint: „Oh, ich faste ja!“

*****
Amr, der Kellner hier, der immer gut drauf ist, wenn Gäste da sind und mir bei meinem Expresso oft das Gesicht hinter der Animatoren-Maske zeigt, ist glücklich. Glücklich, weil er durch das Koran-Lesen im Ramadan ganz nahe bei Gott sei. Ich sehe es ihm an – er ist in einer anderen Dimension. Eine Weile grüble ich darüber nach und finde dann die Erklärung… es ist wohl wie meditieren.

*****
S., der Leiter einer Bankfiliale ist recht übergewichtig und hat mir schon ein paar Mal anvertraut, er würde gerne abnehmen. Doch er liebt italienische Küche über alles: vom Tiramisù über im Öl getränkte Pasta. Er fastet auch tagsüber. Er hat ein Gedächtnis wie ein Computer. Er ist immer pünktlich. Ausser jetzt. Denn wenn er dann endlich essen darf, isst er so viel, dass sein Körper nicht will, was sein Hirn befiehlt. Der Geist ist willig – das Fleisch ist schwach.

*****
Der junge Muslim mit rundem Bauch – wenn er Sorgen hat, stopft er sich voll – fastet nicht. Er sieht keinen Sinn dahinter. Seine Arbeitskollegen nennen ihn deswegen Juden. Er sieht sich als Atheist. Mutig, finde ich.

*****
Laut rezitiert der Bazaar-Wächter aus dem Koran. Als ich vorbeimarschiere, sieht er auf, guckt mir nach. Hmm – er scheint voll konzentiert zu sein, aber nicht auf seine Rezitationen, die er mit schöner Stimme vorträgt. Als ich am Rückweg wieder an ihm vorbeimarschiere, sieht er auf, mir direkt in die Augen. Spontan rutscht es mir auf Arabisch heraus: „Konzentrier dich auf deinen Koran, nicht auf die Frauen.“ Ja, das mache er ja, beteuert er mir dienstbeflissen…

*****
Einem Freund habe ich gestern geklagt: „Alle riechen unangenehm, egal, ob sie am Morgen, vor dem Fastenbrechen oder danach kommen. Hoffentlich ist das bald vorbei!“
Warum das so ist, weiss ich eigentlich auch nicht. Duschen, Seife und Deo sowie frische Kleidung ist ja nicht verboten.

*****

Die Hälfte haben wir, nur noch zwei Wochen vor uns und der Ausnahmezustand ist vorbei.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.