Ich habe eindeutig zu lange gewartet. Seit Monaten sammle
ich Material, Fotos und Links, um über das Thema zu schreiben, das jetzt in
allen Medien, ja sogar in aller Munde ist. Den Anspruch, einen ausgegorenen,
gut recherchierten Text zu schreiben, werfe ich jetzt über Bord. Denn jeden
Tag, wenn ich die Nachrichten lese und mit dem Flüchtlingselend aus dem Nahen
Osten konfrontiert werde, kämpfe ich mit Emotionen.
Eine Freundin schrieb mir vorgestern: „71 Flüchtlinge in einem Lkw erstickt. Habe das
Bild vor meinen Augen. Kann nicht schlafen, bin so wütend auf die Welt. Ich
will keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Solche und grausamere Dinge
passieren täglich. Aber nicht vor meiner Haustür... Soll ich lieber wegschauen
und mich mit den schönen Dingen der Welt beschäftigen? Soll ich das Beste aus
meinem Glück machen weiss zu sein und einen EU-Pass zu besitzen? Soll ich mich
um meine unmittelbar Nächsten kümmern und sagen, dass ich gegen all das Leid eh
nichts anrichten kann und lieber drehe ich den TV gar nicht auf und lese nur
noch Bücher und keine Zeitungen...“
Es ist zum Ersticken!
*****
In der Erklärung der Menschenrechte steht (ein Auszug):
Artikel 3
Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit seiner Person.
Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit seiner Person.
Artikel 7
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstösst, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstösst, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.
Artikel 13
[]
[]
2. Jeder hat das
Recht, jedes Land, einschliesslich seines eigenen, zu verlassen und in sein
Land zurück zu kehren.
Artikel 14
Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen.
Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu geniessen.
Papier ist geduldig. Die Politiker schwafeln vor sich hin
und in die Mikrofone der Medien hinein. Inzwischen sterben monatlich Tausende
von Menschen. Menschen, die zu Flüchtlingen werden, weil eben die Grundlage, um
in Freiheit und Sicherheit in ihrer Heimat zu leben, nicht mehr gegeben ist.
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„Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die sich außerhalb des
Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren
ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität,
Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen
Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses
Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung
nicht dorthin zurückkehren kann.“
„…. Einige Länder meinen jedoch weiterhin,
dass Menschen, die vor Kriegsgeschehen fliehen - oder die Verfolgung durch
nichtstaatliche Akteure wie Milizen oder Rebellen fürchten - keinen
Flüchtlingsstatus erhalten sollten. UNHCR ist hingegen der Ansicht, dass für
die Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft nicht der Urheber der Verfolgung
ausschlaggebend ist, sondern ob die Person internationalen Schutz benötigt,
weil dieser in ihrem Herkunftsland nicht gegeben ist.“
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Quelle: NZZ Online (Bild: Marco Djurica / Reuters) |
Als ich dieses Bild auf NZZ Online sah, dachte ich an den Grossen
Treck. Idealisiert, romantisiert und „abenteuerisiert“ denkt man beim Grossen
Treck an Planwagen, die von Amerikas Ostküste westwärts ziehen. Allerdings
haben sie dabei die ursprünglichen Bewohner ihrer künftigen Heimat umgebracht. Die
Menschen hier auf dem Bild gehen zu Fuss, tun niemandem etwas an und werden
trotzdem bedroht.
Quelle: Courrier International (Bild: Sakis Mikrolidis / AFP) |
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Menschen verliessen immer wieder ihr Heimatland, flohen vor
Hungersnöten, Seuchen und Kriegen. Alle hatten einen Wunsch, einen Traum: l e b e n ! Leben in Freiheit, Sicherheit und
Unversehrtheit. Sie nahmen unmenschliche Strapazen und Risiken auf sich, um ihr
Ziel zu erreichen – und viele kamen dabei um.
Wir in Westeuropa vergessen leider gar schnell: im 19.
Jahrhundert und noch vor weniger als 100 Jahren verliessen die Menschen in
Strömen Deutschland, Österreich und die Schweiz, um ein besseres Leben in Südosteuropa,
Russland oder Übersee zu finden. Kinder aus der Schweiz und Österreich wurden
an Märkten verschachert, um fremden Bauern in Oberschwaben (deshalb der Begriff
„Schwabenkinder“) zu dienen und der eigenen, armen Familie nicht zur Last zu
fallen. Innerhalb der Schweiz geschah dasselbe unter dem Deckmantel der
Erziehung. Sie waren „Verdingkinder“. Junge Männer gingen in die Fremdenlegion, weil
es in ihrem Heimatland kein Auskommen für sie gab.
In den Städten Unterägyptens gibt es heute noch zahlreiche
Häuser, Strassen und Geschäftsschilder mit den Namen von deutschen,
österreichischen, italienischen, französischen und schweizerischen
Auswanderern. Vielleicht waren sie keine Flüchtlinge im Sinne von den Menschen,
die jetzt zu uns kommen, aber sie waren Fremde, die ein besseres Leben suchten –
und fanden. Sie vermischten sich mit Griechen, Türken und Armeniern.
Niemand kann die Menschen aufhalten, die zu Abertausenden
den Nahen und Mittleren Osten verlassen. Es gibt dort nichts Lebenswertes mehr!
Die angrenzenden Länder beherbergen bereits Millionen von Flüchtlingen und sind
finanziell heillos überfordert. Die reichen arabischen Länder – die Golfstaaten
und Saudi Arabien – tun nichts für ihre „arabischen Brüder“. Sie schauen weg
und unterstützen weiterhin das Regime und die Rebellen. Auf den sozialen Medien
drücken viele Araber ihre Empörung und Scham darüber aus. Der Libanon,
Jordanien, Palästina und Ägypten haben Flüchtlinge aufgenommen. Hier in
Hurghada hat es auch immer mehr, sie integrieren sich, werden wegen ihrem
Fleiss, ihrer Ehrlichkeit und ihrem Anstand geschätzt und respektiert. Damit
unterscheiden sie sich angenehm von den oft filzigen und schludrigen ägyptischen
Arbeitern und Dienstleistern.
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Der grosse Treck: die Menschen aus Syrien und Irak tragen
nur einen Rucksack, einen kleinen Koffer mit sich. Sie kommen nicht mit
vollgestopften Autos. Sie sind seit Monaten zu Fuss unterwegs, haben im Freien
geschlafen, in dreckigen Kellern und Wohnungen ausgeharrt, sind in
Schlauchbooten übers Mittelmeer gefahren, haben gehungert und haben täglich dem
Tod in die Augen geblickt. Sie haben Familie und Heimat hinter sich gelassen. Aber
sie leben.
Nun sind sie da, vor unserer Türe: Mazedonien konnte sie
nicht mehr halten, Ungarn mit ihrem hilflosen, lächerlichen Zaun auch nicht.
Jetzt sind sie da, sie kommen nach Wien, nach München, nach Buchs ins St.
Galler Rheintal. Und jetzt?
Noch immer ist die europäische Politik hilflos. Nicht der
Schutz der Menschen, das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit steht im
Zentrum ihres Tuns, sondern die Frage, wie sie ihre Partei und ihre Wähler
befriedigen kann. Das Wohlergehen der Rüstungsindustrie ist wichtiger, als die
Menschenrechte. Würden keine Waffen und kein Geld mehr in die Kriegsgebiete
gelangen, hätte das Morden schnell ein Ende. Aber dafür ist es jetzt schon zu
spät.
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Wir haben einfach ein riesiges Glück, den richtigen
Pass zu besitzen und im richtigen Land geboren worden zu sein. Das ist
aber kein Garantieschein! Vielleicht sind wir in Westeuropa auch mal wieder
gezwungen, die Erfüllung der Menschenreichte in einem anderen Land, auf einem
anderen Kontinent zu suchen? Wer nimmt uns dann auf?
Vor zwei Jahren fotografierte ich diese Notiz in einer Ausstellung
im MuCEM in Marseille:
"Die Grenzen öffnen, ist wie die Arme öffnen!" |
Wann öffnet Europa seine Arme?
Ich glaube, dass der direkte – menschliche – Kontakt mit den
Fremden manchen von uns betroffen machen wird und sein von den Medien und der
Politik verunstaltetes Bild von den Flüchtlingen korrigieren wird. Es wird
allmählich Zeit.
Hier noch ein Link über den Irak und seine eindrückliche FlüchtlingsGeschichte: die Iraqi Odyssey.
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