Meine
Arbeit erlaubt mir interessante, manchmal auch schmerzhafte Einblicke in den
seelischen Zustand von ägyptischen Menschen (meist Männern) allen Alters.
Zumindest in jene der (unteren und oberen) Mittelschicht.
Der politische,
wirtschaftliche und strukturelle Zustand des Landes lässt nicht viel Hoffnung
für eine rosige Zukunft aufkommen. Dazu kommen gesellschaftliche Probleme, die
besonders für jüngere Generationen bedrückend sind. Schlechte Ausbildung, keine
Arbeit, kein Geld, keine Aussicht auf Heirat und einengende Traditionen. Manch
einer sucht die Erlösung im Freitod. Oder im Schwindel und Betrug.
Andere
kämpfen oder versuchen es wenigstens. Von einigen möchte ich hier erzählen (die
Namen und Städte sind alle geändert).
Wael, 29
Jahre
Er kommt
aus einem Dorf nahe Port Said am Mittelmeer. Sein Vater arbeitete in Saudi
Arabien als Fotograf, während die Familie in Ägypten lebte. Aus der ersten Ehe
entstand ein Sohn, der es nach Italien geschafft hat. Als Kleinkind erlebte
Wael materiellen Reichtum – solange Geld vom Vater kam. Später, als der Vater
zurückkehrte und nicht mehr arbeiten konnte, war das Geld durch
verschwenderischen Lebensstil schnell aufgebraucht. Die drei Kinder aus der
zweiten Ehe mit einer völlig ungebildeten Frau (die Heirat war eine Rache
gegenüber der ersten Ehefrau) besuchten öffentliche Schulen. Wael studierte
Landwirtschaft. Er liebt die Natur, züchtet und pflanzt gerne. Er hat viele
gute Ideen – die wohl nie umgesetzt werden.
Er kam nach
Hurghada, arbeitete als Verkäufer am Strand, später als Masseur. Er kam zu mir,
um Deutsch zu lernen, in der Hoffnung auf einen besseren Job. Er lernte kaum,
liess Unterricht sausen, hörte auf. Irgendwann rannte er von seiner Arbeit weg,
weil dem hochgewachsenen, gutaussehenden jungen Mann eine ältere
Arbeitskollegin näher kommen wollte und ihn damit in Schwierigkeiten brachte.
Die Frau hüpft durch alle Betten des Managements, weshalb ihm niemand glauben
würde.
Wael träumt
von Europa. Sein Stiefbruder in Italien will davon nichts wissen. Auch davon
nicht, dass das Geld für die Ausbildung der jüngeren Geschwister einfach nicht
reicht.
Freunde in
England wollen ihm helfen, ein Visum zu bekommen. Die haben – so erzählt er - eine
Baufirma. Um Besitz vorweisen zu können, wollte er das Grundstück der Familie
auf sich umschreiben lassen. Seine Mutter war dagegen. Der wohlhabende Onkel,
der Wael seit seiner Kindheit einen Versager schimpft, steht im Weg.
Wael
beschloss, Englisch zu lernen. Enthusiastisch fing er an, doch nach drei Wochen
kamen wieder Ausreden: Er hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil die
Klimaanlage nicht funktionierte. Eine Lebensmittelvergiftung. Ärger mit der
Mama, zu der er inzwischen den Kontakt abgebrochen hat.
Tatsache
ist: Wael leidet unter Depression. Er sehnt sich nach Familie, nach einer
Partnerin, nach einer Zukunft – die ausser Reichweite scheint. Mit knapp 30
Jahren und unverheiratet sieht er sich als nutzlosen Versager und Verlierer.
Jene Frauen, mit denen er eine Beziehung hatte (eine Ägypterin, eine
Osteuropäerin), haben ihn hintergangen. Er hat Angst vor den Menschen, geht nur
nachts aus dem Haus. Hin und wieder vertraut er sich mir an.
Kimo, 38
Jahre
Der
gutaussehende, aussergewöhnlich intelligente und mehrsprachig aufgewachsene
Mann kommt aus einer guten Familie mit libanesischen, griechischen und
italienischen Wurzeln. Vielseitig begabt, charmant, überzeugend und
selbstsicher wird er zum Star im frankophonen Tourismus. In der Hoch-Zeit des
Tourismus verdient er glänzend und lernt die Liebe seines Lebens kennen: eine
russische Sängerin.
Sie kehrt
in ihr Land zurück, Kimo widmet sich anderen Frauen, die Revolution kommt und
der Tourismus geht. Kimo verliert wie Hunderttausend andere seinen Job und sein
Startum. In seiner Heimatstadt am Mittelmeer ist er oft arbeitslos, manchmal schlägt
er sich mit einem miserabel bezahlten Job herum.
Er fällt in
Depression, verbringt mehrere Monate in einer psychiatrischen Klinik.
In El Gouna
findet er wieder eine Stelle auf Manager-Ebene und arbeitet beinahe rund um die
Uhr. Schlaf braucht er nicht viel – er leidet seit Jahrzehnten unter
Schlafstörungen. Als ihm ein Landsmann vor die Nase gesetzt wird, hängt er den
Job an den Nagel.
Er träumt
seit Jahren davon, nach Kanada und später nach Australien auszuwandern. Sein
älterer, beruflich erfolgreicher Bruder arbeitet in Osteuropa, weit weg von der
älter werdenden Mutter, die Kimo nicht allein lassen kann. Frustriert,
depressiv schlägt er sich die Nächte irgendwie um die Ohren. Ab und zu zieht er
sich noch weiter zurück: in die Wüste, in eine Oase.
Mohamed,
um die 30 Jahre
Mohamed
steht für viele Mohameds und Ahmeds und Mahmouds. Sie kommen aus Qena, aus
Luxor, aus Hurghada, aus Kairo, aus Tanta oder aus einem Kaff im Delta, am
Mittelmeer, am Roten Meer oder dem Niltal.
(Fortsetzung folgt morgen)
glaube den Agyptern kein wort, alles lugner..
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