Sonntag, September 17, 2017

Die Suche nach dem Weg aus der Misere (Teil II)

(Fortsetzung von Teil I)

Mohamed, um die 30 Jahre
Mohamed steht für viele Mohameds und Ahmeds und Mahmouds. Sie kommen aus Qena, aus Luxor, aus Hurghada, aus Kairo, aus Tanta oder aus einem Kaff im Delta, am Mittelmeer, am Roten Meer oder dem Niltal.

Er hat eine deutsche, österreichische oder schweizerische Freundin, die er zu seiner Frau gemacht hat. Sie erwartet schon ein Baby. Oder auch noch nicht. Mit Baby ist aber sicherer. Er arbeitet als Tauchlehrer oder Fremdenführer. Oder in der Animation. Er kann ein klein wenig Englisch und Russisch, hat es so irgendwie bei der Arbeit gelernt. Er sieht nicht schlecht aus. Er ist höflich, das hat er bei den Touristinnen abgeguckt. Dass er aus einer sozial tieferen Schicht kommt, sieht der Tourist nicht sofort.

Nun muss er Deutsch büffeln, zum ersten Mal im Leben muss er richtig lernen. Gross ist das Ziel: die Prüfung A1 beim Goethe Institut zu bestehen (60% genügen) und damit das Visum ins Paradies zu erlangen. Die Freundin oder Frau bezahlt den Kurs (meistens). Sie lernt mit ihm, wenn sie das kann. Mohamed ist in Eile. Er will die Misere hinter sich lassen - das Glück liegt zum Greifen nah.

Ramy, Mitte 30
Arzt aus Kairo. Sitzt in einem goldenen Käfig, unter dem ein Pulverfass liegt. Der äusserst sympathische, gut aussehende Arzt arbeitet in einem Top-Hotel, verdient sich dumm und dämlich. Aber er weiss: innert Stunden kann alles zusammen brechen. Eine Bombe in einem Hotel am Roten Meer, ein Flugzeugabsturz, ein Aufstand oder eine andere Katastrophe lässt den Tourismus erneut zusammen brechen.


Seine Freundin möchte, dass er kommendes Jahr nach Europa zieht. Er kann nicht weg, will auch nicht wirklich. Seine Mama ist krank und somit ist für ihn ausgeschlossen, das Land zu verlassen. Er lernt Deutsch, damit er sich mit seinen Patienten in ihrer Muttersprache verständigen will. Also bleibt er in seinem goldenen Käfig, frustriert, oft launisch und deprimiert. Er weiss nicht, was er sonst machen soll.

Yasin, um die 50
Geschäftsmann, verheiratet, Kinder. Er stammt aus dem Regierungsbezirk Rotes Meer, südlich von Hurghada. Er hat gute Beziehungen, berät in finanziellen und rechtlichen Fragen. Das reicht aber nicht mehr aus. Er will auch nicht weg, sondern ein Exportgeschäft mit einem europäischen Land aufbauen. Er war schon mehrmals dort, obwohl es ziemlich mühsam und aufwändig ist, ein Visum für Geschäftsreisen zu erhalten. Neue Absatzmärkte erschliessen ist sein Ziel. Er hat Partner in Europa. Ob die zuverlässig sind? Ob es klappen wird? Oder ob er dort über den Tisch gezogen wird?

Salah und Dalia, beide knapp 30
Beide haben vor gut einem Jahr in ihrer Heimatstadt Ismailia geheiratet. Salah kam davor kurze Zeit zum Deutschunterricht. Der anstrengende Job als Tauchlehrer, Frau und Hund liessen ihm nicht genügend Zeit zum Lernen. Kürzlich hat Dalia ihr Fahrrad zum Verkauf angeboten und so konnte ich die hübsche junge Frau kennen lernen.

Dabei erzählte sie mir, dass sie all ihr Hab und Gut verkaufen, weil sie nach Kanada auswandern. Salah ist Softwareingenieur und Dalia ist Architektin, Berufe, die in Kanada gefragt sind. Glück gehabt.

Shadi, Mitte 30
Aus Port Said am Mittelmeer, hat Wirtschaft studiert und arbeitet in leitender Position in einer Bank. Seine Frau stammt aus einem osteuropäischen Land. Der rundliche Mann kommt mit dem immensen Druck bei der Arbeit nicht klar und träumt davon, sich in Westeuropa eine neue Zukunft aufzubauen. Kanada ist schon ausgeträumt. Neben Französisch und Italienisch lernt er jetzt noch Deutsch. Ich habe nicht den Eindruck, dass er genau weiss, was er will. Er hat eine ausgezeichnete Position, verdient exzellent – der Preis dafür ist ihm einfach zu hoch. Ob das in Europa einfach wird?

Und dann könnte ich noch von jenen erzählen, die schon weg sind: Ärzte, Animatoren, Kaufleute, Ingenieure. Sie sind in Österreich, Deutschland, Holland, in den Emiraten, Kanada.
Und dann gibt es jene, die es illegal versuchen… Gemeinsam ist ihnen allen: ein besseres Leben in einem freien, fairen Land. Verständlich, nicht wahr?



1 Kommentar:

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