Freitag, Juni 18, 2021

Ein Wort des Mitgefühls

Im Zentrum von Hurghada befindet sich einer dieser vielen mobilen, dauerhaften Polizeiposten. Wenn ich in der Gegend zu tun habe, lasse ich mein Auto meist stehen und erledige meine Besorgungen zu Fuss. Parkplätze sind dort rar, die Verkehrsregelung ist durch Einbahnstrassen, einem Kreisel mit Ampeln, herumfuchtelnden Verkehrspolizisten, Minibussen und Taxis mit Wildwestmanieren, Bettlern und unberechenbaren Fussgängern etwas komplex.

Am Polizeiposten gehe ich immer mit mulmigen Gefühlen vorbei. Einmal sass dort ein junger, uniformierter Mann stocksteif auf einem Stuhl. Von weitem sah er aus wie eine Statue. Ich ging vorbei, erhaschte aber aus den Augenwinkeln einen Blick auf ihn und merkte, dass irgendwas nicht stimmte. Ich guckte weg, ging weiter meinen Besorgungen nach.

Auf dem Rückweg aber ergab es sich, dass ich ganz nah an ihm vorbei ging. Der schmächtige junge Mann sass noch immer stocksteif auf dem Stuhl, den Blick geradeaus gerichtet, seine Uniformjacke war aufgeknöpft, der Helm lag auf dem Boden. Die groben, schweren Stiefel standen daneben. Warum nur?  Geht denn das?

Meine Augen wanderten suchend weiter: Seine feingliedrigen Füsse waren Blutunterlaufen und voller Hämatome und Blasen. Die Hitze? Ohne Socken in den derben Stiefeln? Stundenlanges Stehen? Gedanken rasten mir durch den Kopf und malten aus, wie sehr der junge Mensch da litt. Mein Blick glitt hinüber zur Apotheke… Sollte ich… hineingehen und was für ihn holen? Oder nur Geld hinterlegen und um Verarztung für ihn bitten? Doch dann schoss es mir durch den Kopf: Finger weg! Das ist die Polizei! Bring dich nicht in Gefahr! Fall nicht auf, du bist Ausländerin!

Aber ich wollte dem Mann mein Mitgefühl, ein bisschen Menschlichkeit zeigen – denn in dem Wirrwarr dort beachtete ihn eh niemand. Ich sagte zu ihm dieses eine Wort, das in so vielen Situationen passt: „Ma’alisch“ und blickte ihn an.

Über sein Antlitz huschte für einen Moment die Sonne: Er lächelte mich voller Dankbarkeit an, wendete mir für eine Sekunde oder zwei sein Gesicht zu und zeigte mir einen Blick in sein miserables Leben. Er war nicht nur mager, sondern er hatte noch etwa ein Drittel seiner Zähne – in dem jugendlichen Alter! Geschlagen, gedemütigt, ausgenützt. Die Bezeichnungen, die solche Zustände beschreiben, jagen mir jetzt noch durch den Kopf und mir wird schwindlig bei dem Gedanken an ihn und jene Tausende und Zehntausende, denen das Leben kein besseres Los geschenkt hat.

3 Kommentare:

  1. Ich finde es besonders schön, dass du die Sonnen- und auch Schattenseiten deiner neuen Heimat zeigst.

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  2. Was mir in die Birne nicht hineingeht ist: Viele Behörden-Angestellte laufen in tiefschwarzen Klamotten herum. Wissen die nicht, dass diese Farbe in diesen Breiten völlig kontraproduktiv ist wenn es geht sich vor Hitze zu schützen? Ich erzählte davon einem Hotel-Kellner und dieser meinte, er wüsste nicht, dass dunkle Farbe Sonnenlicht absorbiert und das daher alle dunklen Flächen viel wärmer sind als helle Flächen die der Sonne ausgesetzt sind. Die Leute tun mir daher alleine deswegen schon leid. Polizeitposten die in der grössten Hitze angewiesen sind in dunklen Klamotten herumzulaufen.

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  3. Die schwarzen Uniformen sind für den Winter; bis Ende "Winter" kann es halt schon mal 30° werden. Im Sommerhalbjahr tragen sie weisse Uniformen.
    Bildung hier ist nicht gleich Bildung in D ;)

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