Mittwoch, November 09, 2016

Im Herzen des islamischen Kairo (Teil 1)

Gehört und gelesen hab ich schon so viel darüber. Und wunderbare Bilder gesehen. Kairo war zur Zeit der Fatimiden Hochblüte des Handels zwischen Asien, Europa und Afrika. Die Fatimiden bauten nördlich des damaligen Stadtzentrums eine neue Stadt mit dicken Stadtmauern; Ein Teil davon sowie drei Stadttore stehen noch. Die Gasse, die vom nördlichen Stadttor Bab El Fatuh nach Süden zur Bab El Zuweila führt, heisst El Muaz El Din, später dann El Motaz El Din. Dieser alte islamische Teil wird von Ost nach West von der fürchterlich verstopften und verpesteten Al Azhar Strasse auseinandergeschnitten. Zwischen den Fahrbahnen wurde ein mannhohes Gitter verbaut, damit keine Fussgänger über die gefährliche Strasse eilen können. In der Gegend befindet sich auch der weltberühmte Khan El Khalili Bazaar und die Hussein Moschee. Beide gehören neben den Pyramiden und dem ägyptischen Museum zu den wichtigsten Stationen für den Kairo-Besucher.

Der nördliche Teil von Bab El Fatuh bis zur Al Azhar Strasse wurde während den letzten Jahren sorgfältig renoviert. Es wimmelt hier auf allerengstem Raum von hunderten von historischen Häusern, Palästen, Mausoleen, Moscheen, Schreinen, Madrassen, Gedenkstätten und Zisternen. 

Dahin wollte ich!


Mein Weg auf einen Blick

Zurückversetzt in 1001 Nacht
Ich hab mich per Taxi in die Nähe des nördlichen Stadttors mit dem Namen Bab Al Fatuh bringen lassen. In die Nähe nur, weil der Taxifahrer nicht so genau wusste, wie hinfahren und Passanten fragen musste. Keine Geduld mehr, lief ich auf eigene Faust los… und stehe schon bald vor den Stadtmauern aus dem 11. Jahrhundert. Ausserhalb der Stadtmauer brummt so früh am Morgen der Verkehr noch gemächlich. Die Häuser auf der anderen Strassenseite verfallen: mit kunstvollen Holzarbeiten - den Maschrabeyas - vergitterte Fenster und Balkone, und islamische Ornamente sind Überbleibsel aus besseren Zeiten.

in der Nähe der Stadtmauer

in der Nähe der Stadtmauer
am Bab El Fatuh mit Minarett der Al Hakim-Moschee
Neugierig gucken mich die jungen Leute auf der Strasse an: eine Europäerin? Ohne Reiseleiter? Wie rar! Ältere Männer lächeln mich freundlich an – ihr Lächeln heisst „Willkommen!“. Manch einer fragt mich, wohin ich wolle, ob ich mich verlaufen hätte, ob sie mir helfen können… überall Freundlichkeit.


Ich geh die paar Stufen hinab, durch das mit einer dicken Holztür verschliessbare Stadttor. Was wird mich erwarten? Ein Freiluftmuseum? Ein enger, verschlungener Bazaar wie der Khan El Khalili? Lästige Bazaar-Verkäufer? Ich hab keine Ahnung, lass mich treiben und gleite mit jedem Schritt tiefer in eine völlig andere Welt, in eine andere Epoche.


Bab El-Fatuh

Bab El-Fatuh

... und entdecke ein lebendiges Gemisch aus renovierten Palästen und riesigen Lagerhäusern, Moschen und Mausoleen, Nischen und Plätzen, Toren und Durchgängen in enge Seitengassen, in denen Menschen ihren Tätigkeiten nachgehen.  Sie betreiben Imbissbuden, Reparaturwerkstätten, verkaufen frisch geerntete Zitronen und Oliven, Brotfladen und eingelegtes Gemüse. Frisch gewaschene Wäsche flattert an den Balkonen, ambulante Verkäufer bieten Süssigkeiten, Kurzwaren und im Holzofen gebackene Süsskartoffeln an. Motorroller knattern mit den Schellen des Tamarindensaft-Verkäufers um die Wette. Alles wie überall, wie in jedem beliebigen Ort in Ägypten, in jedem beliebigen Stadtteil Kairos. 

Gemüse und "Torschy"




Tamarindensaft gefällig?

Und doch ist es anders. Die kunstvollen Holzverzierungen. Der Häuserstil. Die Farben. Die fantastischen islamischen Dekorationen an den Fassaden, über Türen, Toren, Fenstern und Balkonen. Die vielen Minarette in unterschiedlichsten Formen. Die unzähligen Moscheen. Der Duft. Die Gelassenheit. Die Stille, nur zwei, drei Schritte weg von der Hauptgasse. Die Würde einstiger Noblesse. Es ist, als ob die Mauern erzählten, wie prächtig, kultiviert und gebildet Kairo einst war.





Koranverse und die libanesische Zeder

erlaubt den Blick auf das Treiben in den Gassen

Sind sich die Passanten des historischen und kulturellen Wertes dieses Stadtteils bewusst? Sind sich die Bewohner der Bedeutung ihrer Heimat aus einer wichtigen Epoche im Klaren? Wohl kaum. Ein Blick, ein paar Schritte in Seitengassen lässt die Antwort erahnen: dort hausen die Menschen in halbverfallenen Mauern und dunklen Winkeln aus der gleichen Epoche, wo der Staat nichts renoviert hat und dies wohl auch nie geschehen wird.





vor dem Kaffeehaus



Im mittleren Teil der El Muaz El Din Strasse wird es etwas touristischer: Schmuck, Gewürze und Souvenirs statt Obst und Gemüse werden angeboten. Es ist früher Nachmittag und ich geh fast unter im Strom von jungen ägyptischen Besuchern. Sie probieren Beduinen-Kostüme und lichten sich per Selfie-Stick ab; sie sitzen auf den Steinquadern alter Gemäuer und gucken in ihre Smartphones. Der kleine Vorplatz einer Moschee dient als Fussballplatz. 





wunderschön dekorierte Fassade der Zisterne

Detailaufnahme des Sabil Kuttab aus osmanischer Zeit


In diesem Gewühl entdecke ich einen Rennradfahrer. Huch? Ich bin so überrascht, dass ich ihn anquatsche. Der junge Mann ist von irgendwo ausserhalb Kairos 70km hergefahren und will noch am selben Tag zurück. Ich gratuliere ihm zu dieser Leistung, beneide ihn aber überhaupt nicht: Eine dicke Smogglocke hängt über Kairo und die Menschenmassen und Autokolonnen wären nichts für mich.



Beit El Seheimy
Das einzige Gebäude, das ich von innen besichtige, ist das Haus des Scheichs El Seheimy. Es liegt im ersten Viertel dieser wundersamen Strasse, in der „gelben Gasse“ und ich bin eigentlich zufällig hingeraten, weil ich mich in Seitengassen treiben liess. Das Haus wurde in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts gebaut und dann mit einem Nachbargebäude verbunden. Es hat sage und schreibe zweitausend Quadratmeter! Der Palast wurde nach einer umfassenden Renovation im Jahre 2000 wiedereröffnet und dient als Kulturzentrum. Während meines Besuchs sitzen in jedem Winkel, im Garten und in den zahlreichen Räumen Kunststudenten und zeichnen.

Der Palast gilt als rares Beispiel islamischer Architektur und zeigt, wie die Oberschicht damals lebte. Alle Räume sind quadratisch oder rechteckig angelegt und jeweils um mit Palmen und Büschen bepflanzten Innenhöfen gruppiert. Anstatt Fenster gibt es kunstvolle, luftdurchlässige Holzverkleidungen, die Maschrabeyas, durch welche auch das Treiben auf der Strasse und in den Innenhöfen verfolgt werden konnte, ohne dass der Beobachter selbst gesehen wurde. Im Erdgeschoss befanden sich die Besucherräume der Männer. Im oberen Geschoss befanden sich die Frauenräume, zu denen neben Frauen und Mädchen nur Buben und Väter Zugang hatten. Die Mashrabeyas erlaubten den Frauen, den Besprechungen der Männer im Geheimen mitzulauschen.

Diese Art von Palästen wurden so angelegt, damit sie im Sommer kühl blieben: Innenhöfe, sehr hohe Räume mit Kuppeln, durch deren Öffnungen frische Luft zirkulieren konnte, und kleine Marmor-Brunnen in der Raummitte. Die Kuppeln und Decken waren mit ausgesuchten Holzarbeiten verziert.

Im grössten Innenhof steht ebenfalls ein Kuppelgewölbe, das an den Nachthimmel erinnert: verschieden farbige Glasmosaike in unterschiedlichen Formen wechseln mit kleinen Luftöffnungen ab, unterhalb sind verschieden farbige Mosaikfenster eingebaut: ein Prachtwerk.

Dort steht auch ein Brunnen und eine Mühle. Ich verbringe Stunden in diesem historischen Palast, beobachte, staune, fotografiere. Leider sind nicht alle Räume zugänglich. Im Internet habe ich Bilder von Bädern und Massageräumen gefunden. Schade finde ich auch, dass da und dort Unrat liegt, besonders im Innenhof.


Übersicht der "gelben Gasse"


einer der Innenhöfe

Aussenansicht der Mashrabeya vom 
Besucherraum im Erdgeschoss und Obergeschoss


der grosse Innenhof mit dem Dome

die Kuppel im Dome





Arbeit einer Kunststudentin
Marmor-Nischen

Teilansicht des Schränkchens neben den Marmor-Nischen


der Boden!

Blick in einen Innenhof

und hier nun die Sicht nach Aussen der
Mashrabeya vom Besucherraum im Erdgeschoss

Einbauschrank

irgendwo habe ich gelesen, dass diese Decke persischen Ursprungs ist

wer will es sich da nicht gemütlich machen?


Holzdecke mit Holzkuppel


noch eine Holzkuppel

Detailaufnahme einer Türe eines Wandschranks



Ich glaube, dieses Quartier ist etwas vom Allerschönsten, was ich in Kairo je gesehen habe.
Das sind nicht mal alle Bilder... Der 2. Teil folgt demnächst.

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