Kairo ist
die Stadt der Tausend Minarette und am besten versteht man das, wenn man von
der Salah El Din Zitadelle über die Stadt blickt – oder durch das islamische
Kairo spaziert. Zur Zitadelle wollte ich, doch der Tag war zu kurz. Anderes
erwartet mich.
Ich lass
mich weitertreiben, vorbei an weiteren Moscheen mit herrlich verzierten
Minaretten, vorbei an wundersamen Geschäften, vorbei an lebendiger Geschichte.
Die Eindrücke überwältigen, ja überfordern mich fast, doch es drängt mich weiter.
randvoll mit Kohle |
Tand oder Antiquität? |
irgendwie überleben |
Plötzlich
stehe ich vor der grässlichen Azhar Strasse. Da stand ich schon öfter vor oder
nach einem Besuch des berühmten Khan El Khalili. Verglichen mit dem, was ich
heute sehe, ist der weltbekannte Bazaar langweilig.
Nur ein gewöhnlicher Markt?
Ein
Polizist erklärt mir, wo ich eine Unterführung finde, um auf die andere
Strassenseite zu gelangen. Vor lauter Fahrzeugen und Menschen sehe ich nämlich
keine Chance.
Drüben
dann, solange ich noch an der Hauptstrasse bin, werde ich dauernd angequatscht…
Taxi? Shopping? See my
shop, Madam! Where you go? You
need help? Sehe ich so aus?
Erleichtert biege ich
in die Al Moaz L din Allah Gasse ein und werde beinahe verschluckt. Verschluckt
von den Billigwaren aus China, die sich vor und in den Geschäften stapeln,
herunterbaumeln und deren bunten Farben meinen Sinn für Schönes arg
strapazieren. Bunte Bettdecken, altmodische Nachthemden, Jeans und Unterwäsche,
Hausrat, Spielwaren – alles gibt es. Verschluckt auch von den vielen Menschen,
die sich durch die Auslagen drängen, feilschen, plaudern und von durcheilenden
Trägern gestört werden. Ich bin in einem eher volkstümlichen, typischen Souq
gelandet.
Rohbaumwolle und
Tarbuusch
Vor einem Geschäft
stehen blaue Säcke mit einer weissen Ware… ist das die berühmte Baumwolle, die
Ägypten einst reich gemacht hat? Die davorsitzenden Männer ermuntern mich, ins
Innere des Gassenlabyrinths zu schauen, dort sei noch mehr Baumwolle zu sehen.
Und tatsächlich: in einem Lagerraum türmen sich Säcke des einst wertvollen «weissen
Goldes». Im Labyrinth entdecke ich auch
Möbelgeschäfte… hier kommt wohl nur her, wer das weiss. Zwei Männer behaupten,
es sei jetzt grad nur so leer, weil jetzt Siesta sei… Käufer kämen am Abend.
Nun denn, ich wünsch es ihnen.
Rohbaumwolle |
Kurz darauf stehe ich
vor einem weiteren wundersamen Geschäft: Hutmacher. Tarbuusch-Macher. Die roten
randlosen Hüte wurden vom Beginn des 19. Jahrhunderts und bis in die erste
Hälfte des letzten Jahrhunderts von Männern am Gericht, von Beamten, in der
Armee und am Hof getragen. Eingeführt wurde der Fez, wie er auch genannt wird, von
den Ottomanen und nach der Abdankung des letzten Königs per Gesetz verboten.
Die Kopfbedeckung hat manche Gemüter erhitzt und diplomatische Krisen
verursacht. Amüsante Hintergründe dazu können hier nachgelesen werden.
Heute tragen nur noch Scheichs
diese Kopfbedeckung. Hergestellt werden die Hüte aus geflochtenen Palmblättern,
dann mit dem roten Stoff bezogen und gefüttert. In dem kleinen Laden türmen sich
Hüte, die ab 800 Pfund (das war noch vor der Währungsabwertung, ca. 75 Euro) erhältlich
sind.
Ein ganz gewöhnlicher Souq war es doch nicht.
Ein ganz gewöhnlicher Souq war es doch nicht.
Imbiss oder Kunst gefällig? |
Die Strasse der
Zeltmacher
Noch eine Strasse ist zu
überqueren und ich sehe vor mir den einzigen noch bestehenden überdeckten
Markt, die Strasse der Zeltmacher, die Kheyameia. Hier werden Stoffe geschneidert,
bestickt und gefüttert. Die Zelttücher werden für Hochzeiten, Trauerfeiern, im
Ramadan und für alle möglichen Anlässe verwendet. Quilts dekorieren Kissen,
Betten und Wände. Männer sitzen im Schneidersitz mit Nadel und Faden bei der
Arbeit. Ballen von Tüchern und Stoffen stauen sich in den Auslagen. Hier wurde
früher das Tuch für die hl. Kabaa in Mekka hergestellt. Saudi Arabien war
damals zu arm (!), um für das aus Seide hergestellte Gewebe zu bezahlen – Ägypten
schenkte es ihm.
Diese glorreichen
Zeiten sind wohl vorbei. Wie die Schneider und Schuhmacher heute überleben, ist
mir schleierhaft. Trotzdem werde ich überall freundlich gegrüsst, mache da und
dort eine Aufnahme. Doch ich bin müde, müde im Kopf und in der Seele. Wie lange
kann diese wundervolle Handwerkskunst noch bestehen? Armut und Elend lugt aus
jedem Winkel und läuft auch durch die Gasse.
Lastenträger
All die Waren, die
hier verarbeitet werden, kommen weder mit dem Lastwagen noch mit dem Kleinbus.
Sie kommen auf Karren her, die – nein, nicht von Eseln, wie auf dem Land,
sondern – von Menschen gezogen werden. Ein junger Mann… entsetzt entdecke ich ihn,
bewundere ihn jedoch. Er hockt nicht im Kaffee, raucht Wasserpfeiffe und wartet
darauf, dass Mama ihm Geld gibt, sondern er arbeitet. Doch dann sehe ich einen knochigen
Greis, der hinkt: auch er zieht einen Karren mit Waren durch die Gassen,
erkundigt sich vor einem Geschäft nach einer Adresse. Offenbar ist das ein
alltägliches Bild, jedenfalls scheint sich niemand daran zu stören.
Tief in Gedanken versunken gehe ich weiter Richtung Bab Zuweila, dem südlichen Stadttor und Ende meines Ausflugs in die Zeit der Fatimiden. Brutal werde ich aus diesen Gedanken gerissen: vor mir zerrt eine Frau einen solchen Karren über die Pflastersteine. Ihr Blick ist gesenkt, ihr Gesicht drückt Kampf und Entschlossenheit, aber auch Qual aus. Im Schock schlage ich meine Hände vors Gesicht, kann die Tränen in meinen Augen nicht mehr zurückhalten.
Tief in Gedanken versunken gehe ich weiter Richtung Bab Zuweila, dem südlichen Stadttor und Ende meines Ausflugs in die Zeit der Fatimiden. Brutal werde ich aus diesen Gedanken gerissen: vor mir zerrt eine Frau einen solchen Karren über die Pflastersteine. Ihr Blick ist gesenkt, ihr Gesicht drückt Kampf und Entschlossenheit, aber auch Qual aus. Im Schock schlage ich meine Hände vors Gesicht, kann die Tränen in meinen Augen nicht mehr zurückhalten.
Eine Frau! Eine Frau
zieht mehrere Hundert Kilo Waren auf einem Karren, wie ein Esel! Ich kann mich
nicht vom Fleck rühren, schau ihr nach, bis sie zwischen den Menschen
verschwindet. Keiner rührt sich. Im Kaffee hinter mir hocken Männer, rauchen
und trinken. Keiner schaut auf. Der Alltag geht einfach weiter.
Dämmerung ist
Rushhour
Benommen stehe ich
unter dem Tor Zuweila. Irgendjemand meint, ich soll doch auf die Minarette der
Mu’ayyad Moschee steigen. Der Bawab würde mich hineinlassen. Ich winke ab und
bleib unschlüssig stehen.
Minarett der Mu'ayyab Moschee am Bab Zuweila |
Eigentlich wollte ich
ja noch zur Zitadelle hoch. Doch die Sonne ist grad untergegangen und die
Strassen sind von nun an während mehrerer Stunden verstopft. Was tun? Die
Fahrzeuge hupen, kommen aber nicht vorwärts. Blöd gegangen. Zu Fuss gehen? Von
den Abgasen würde mir schlecht, ausserdem ist mir elend. Taxi rufen oder eines
der weissen Stadttaxis besteigen?
Ich bestelle ein Taxi. Es soll in 12 Minuten
kommen. Mitten auf der Kreuzung stehend beobachte ich das Treiben. Ein Bus
quetscht sich in die Kolonne. Es soll in 15 Minuten kommen. Zwei junge Frauen
stehen neben mir und warten auch. Es soll in 8 Minuten kommen. Mein GPS zeigt,
dass das Taxi nicht weit weg ist. Mein Kopf sagt mir, dass das nie ankommen
kann. Zumindest nicht in den nächsten zwei Stunden. Die Bestellung wird vom
Chauffeur annulliert. Super.
Ein Metzger fegt die Strasse vor seinem Geschäft.
Sorgfältig wischt er alles, was auf der Strasse liegt, zusammen, lässt sich von
den vorbei rollenden Autos nicht beirren. Wischt und fegt inmitten des Chaos
fein säuberlich… alles in die Mitte der Strasse vor einen Kreisel. So ist auch
aufgeräumt.
Ich steh nun schon
seit 40 Minuten, der Himmel hat sich blutrot verfärbt, die Abgase steigen in
den nun schwarzen Himmel, die Autos stehen immer noch im Stau. Die Huperei ist Nerv
tötend. Ich gehe einige Schritte in die Richtung, in welcher ich nach Hause gelangen
könnte und winke dann ein weisses Taxi herbei.
Glück gehabt. Wir unterhalten uns
prächtig über die wirtschaftliche und politische Lage, während wir über den
Tahrir Platz und geduldig über die Nilbrücke Richtung Zamalek rollen.
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