Also, wo war ich mit meinem (fiktiven) Rückblick ins Jahr
2020? Ah, ja, hier, beim Überwachen.
Grüsse von George Orwells „1984“
Ich kann mich noch erinnern, wie paradiesisch sich die neu
gewonnene Freiheit anfühlte, als wir endlich alle Einschränkungen los waren.
Endlich wieder normal leben, endlich wieder Freunde und Familie treffen, sich
umarmen, lachen, ins Kino gehen, Eis essen, schwimmen gehen und halt all das
tun, was wir so lange nicht mehr tun durften.
Die wahre Freiheit hatten wir derweil schon längst verloren.
Wir wurden überwacht. Rund um die Uhr. Und das Schlimme ist: Wir sind selbst
daran schuld.
Hinterliessen wir zuerst unaufgefordert unsere Spuren via
Computer im Internet, taten wir dies zunehmend mit unseren Smartphones. „Peilgerät“
hat es mal ein Kommentator genannt – ein Gerät zum Orten einer Person. Mit
jedem Klick, mit jeder Nachricht und jedem Anruf wurden wir geortet. Mir ist noch immer schleierhaft, wie sich
jemand eine Apple Watch anschaffen konnte, um jeden seiner Schritte, Schnaufer
und Schubser aufzuzeichnen. Es war ein
Trend, der viele Nachahmer und Weiterentwickler fand. Andere zeichneten ihre
Trainings auf und veröffentlichten sie im Netz. Nach der Krise wurden uns Corona-Tracker
aufgeschwätzt. Mitmachen war quasi freiwillig – und die Leute stürzten sich
kopflos auf diese neue Überwachungsmöglichkeit. Ich kann es heute noch nicht begreifen.
Nach dem Tracker kam das Gesundheitsattest, das wir immer auf uns tragen
sollten, weil wir es bei Reisen und beim Eintritt in Restaurants und andere
öffentliche Räume vorweisen sollten. Da dies unpraktisch war, wurde es bald mal
in einem Chip verpackt. Irgendwann wurde der Chip in eine App ausgelagert, die
wir wiederum „freiwillig“ und „kostenlos“ herunterladen durften.
Gleichzeitig mit dem digitalen Boom, den zunehmend
leistungsfähigeren Winziggeräten und den regulierungs- und kontrollbesessenen
Behörden kamen weitere „freiwillige“ Aufzeichnungsprogramme hinzu. Die
warnenden Stimmen von Gegnern wurden in den Wind geschlagen, man schimpfte sie „Fortschritt-Verhinderer“.
Zum vermeintlichen Wohle aller ordnete sich die Menschheit gierig und
dienstbeflissen der Totalüberwachung unter: Die Apps speichern, was wir wann und
wo und mit wem essen, wo wir uns wie und wann und mit wem bewegen. Sie wissen,
ob unser Herz schnell oder langsam schlägt, ob wir übergewichtig sind oder
nicht. Es zeichnet auf, welche Radio- und Fernsehprogramme wir uns anhören bzw.
ansehen und welche Apps wir anwenden. Alle Daten werden gesammelt und
verschlüsselt an die Behörden geschickt. Klasse. Eine Heerschaar von
Statistikern verarbeitet die Masse zu einem sinnlosen Brei, den wir regelmässig
mit Warnungen oder Lob vorgesetzt bekommen.
Wir können uns kaum mehr davor schützen. Haben wir früher
freiwillig unsere Spuren im Internet gelegt, die wir, wären wir nur klug genug
gewesen, jederzeit mit etwas Aufwand hätten löschen können, werden wir jetzt
gezwungen, sie preiszugeben. Seit einem Jahr oder so erhält der Widerstand aber
wieder mehr Unterstützung. So gibt es in einigen westeuropäischen Ländern
endlich Bestrebungen, diese Totalüberwachung wieder etwas zurück zu schrauben
oder jedem Menschen das Recht einzuräumen, die Daten regelmässig löschen zu
lassen. Die digital-verliebten Skandinavier sind schon weiter: Den Einwohnern
steht es zu, selbst auszuwählen, ob und wie sie überwacht werden und ob sie
diese Daten weiterleiten möchten oder nicht.
Ich habe noch immer kein Smartphone, verwende jedoch zu
Hause und auf Reisen ein kleines Tablet. Doch mir und ein paar Gleichgesinnten wird
das Leben wegen meiner Abstinenz schwer gemacht. Oft erhalte ich keinen Zugang
zu einer Leistung oder einem Angebot oder ich muss mich jeweils an den
Kundenschalter begeben und mich umständlich erklären. Ich nehme es in Kauf – so
kann ich mir noch eine winzige (eingebildete?) Freiheit wahren.
Und das Gesundheitswesen?
Das ist logischerweise durch die Krise auf den Kopf gestellt
worden. Wurde im Jahrzehnt davor quasi zu Tode gespart – die Politiker
brüsteten sich mit den gelungenen Kosteneinsparungen – wird nun mit der grossen
Kelle angerichtet – die Politiker brüsten sich mit ihrer Grosszügigkeit. Wie
immer: Das berühmte Fähnchen im Winde. Die höheren Kosten im Gesundheitswesen
belasten natürlich wieder die Steuerzahler, und zwar mehrfach: höhere Prämien,
höhere Einkommenssteuern, höhere Mehrwertsteuern, höhere Beiträge an die Altersversorgung,
längere Lebensarbeitszeit.