Ashraf sitzt auf dem Treppenabsatz vor seinem Geschäft. Links und rechts des Eingangs stehen dicht gedrängt grosse Körbe, Taschen und Kisten mit bunten, verlockenden Gewürzen, exotischen Teesorten, zarten Naturschwämmen und rauen Bimssteinen. Bescheiden ist sein Laden, nur 2 x 2 m gross. Innen stapeln sich in den hohen Regalen duftende Seifen, weitere kräftige Gewürze, vielerlei Nüsse, parfümierter Tabak, Räucherstäbchen, lauter Sinn betörende Köstlichkeiten.
Ashraf lächelt. Er ist immer fröhlich, hat für jeden ein freundliches Wort, ist hilfsbereit, beantwortet in gebrochenem Englisch, Russisch oder Deutsch jede Frage, springt Kollegen zu Hilfe, wo es nötig ist.
Heute ist der vierte des Monats. Morgen ist die Miete fällig.
Vor sechs Monaten hat Ashraf diesen winzigen Laden an einer mässig frequentierten Strassenecke im älteren Stadtteil eröffnet. Das Geld dafür hat er sich während zweieinhalb Jahren mit der harten Arbeit als Tellerwäscher und Gemüserüster in einem Hotel für Ausländer zusammengespart.
Vor drei Jahren hat Ashraf sein ländliches Dorf im Nildelta verlassen. Seine wenigen Habseligkeiten fanden in einer kleinen Tasche Platz. Er wollte sein Glück im berühmt-berüchtigten Badeort finden. Seine Eltern konnten ihn nicht mehr ernähren, Arbeit gab es in seinem Heimatdorf für ihn wie für zahlreiche andere Jugendliche nicht. So ist er losgezogen, in die Fremde, von der er viel Wundervolles gehört hatte. Man werde dort in kurzer Zeit reich. Die Touristen liessen viel Geld liegen. Nach fünf Jahren könne er nach Hause zurückkehren und für seine Familie eine bescheidene Wohnung kaufen. Vielleicht mit zwei Zimmern und einem Bad mit Dusche. Und vielleicht – wer weiss? – vielleicht reichte das Geld für eine Heirat mit seiner Cousine?
Ashraf wollte nicht auf eines dieser gefährlichen Boote, um hinüber nach Europa zu fliehen. Seine Familie hätte das Geld für die Schlepper niemals auftreiben können. Nein, er wollte in seinem Land bleiben, hier eine Zukunft finden, aus eigener Kraft!
Doch als er hier ankam, fand er nur schlechte Arbeit, schlecht entlöhnt. Er arbeitete vierzehn Stunden am Tag, manchmal mehr. Die Unterkunft war schmutzig, aber wenigstens musste er nicht auf der Strasse oder in einem Rohbau schlafen wie so viele andere. Und zu Essen bekam er auch. Nicht so gut wie zuhause, aber er hungerte nicht.
Ashraf ging nie aus. Er suchte sich keine Freundin. Er lebte sparsam, legte jedes Pfund zur Seite.
Dann hatte er endlich genügend Geld beisammen, um diesen winzigen Gewürzladen zu eröffnen. Er hatte Glück, denn die Miete ist bescheiden und in dieser Strasse ist er der Einzige mit Gewürzen. Die Touristen schauen, fragen, riechen – aber sie kaufen wenig. Die Einheimischen holen hie und da Karkadee oder ein paar Gewürze.
Morgen ist die Miete fällig. Ashraf isst nur einmal am Tag, manchmal noch eine Handvoll Datteln, mehr liegt nicht drin. Hie und da kauft ihm ein Freund eine warme Mahlzeit, bestehend aus gekochten Bohnen, Reis und Fladenbrot.
Es ist ein Uhr morgens, Ashraf räumt die schweren Säcke und Kisten hinein und lässt laut ratternd den Rollladen herab. Lächelnd grüsst er seine Geschäftsnachbarn. Heute belaufen sich seine Tageseinnahmen auf zwei warme Mahlzeiten.
Morgen ist die Miete fällig. Er weiss nicht, wovon er sie bezahlen soll.
Fast 60% der Bevölkerung Ägyptens sind unter 25 Jahre alt. 90% aller Arbeitslosen sind unter 30 Jahre alt. Die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 23% (je nach Quelle auch 28%). Der Staat hat im nächsten Fünfjahresplan (2010 bis 2015) einen Betrag von 17 Milliarden ägyptische Pfund (rund 3,4 Milliarden Schweizer Franken) budgetiert, um 3 Millionen Arbeitsplätze zu schaffen und die Jugendarbeitslosigkeit auf 15% zu reduzieren [Al-Ahram l’Hebdo, Mai 2009]. Allerdings hat das immense Wirtschaftswachstum der vergangenen sieben Jahre keine Reduktion der Arbeitslosigkeit bewirk, im Gegenteil sie ist auf knapp 10% gestiegen. Dies sind offizielle Zahlen, die Realität sieht anders aus.
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