Es ist noch nicht heiss, die Sonne steht erst knapp über dem Horizont. Die meisten Leute schlafen noch.
Er ist vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt. Vielleicht auch jünger. Der Junge ist nicht gross, hager. Seine kinnlangen, von der Sonne ausgebleichten Haare hängen ihm wirr ums Gesicht. Er trägt einen schäbigen, dunkelblauen Sweater und ausgebeulte, löchrige Hosen, die früher vielleicht mal grün waren. Oder grau. Oder blau. Im morgendlichen Schatten lässt der Junge seine Augen suchend über den Boden, in Mulden, in Gräben, in Baustellen wandern. Seine rechte Hand zieht einen riesigen, weissen, reissfesten Plastiksack neben sich her, während seine Füsse behende über all die Unebenheiten gleiten, welche die Konsumgesellschaft abgelegt hat. Zerbrochene Ziegelsteine, zerquetschte Büchsen, Kartonfetzen, Bierverschlüsse, Glassplitter, Zigarettenschachteln, Plastikrohre, Fruchtsaftpackungen, Pet-Flaschen, Metallstifte… und natürlich Sand und Steine.
Der Junge verschwindet zwischen den Mauern, weiss wo er findet, was er sucht, was bei den Abfallverwertern Bares bringt.
Eineinhalb Stunden später bewegt sich ein weisses, rundes Ungetüm auf dem Gehsteig am Strassenrand in Richtung Barriere, wo im Schatten ein Eselskarren wartet. Der Junge ist kaum mehr zu sehen: mit beiden Händen hält er das Sammelgut über dem Kopf zusammen, sein Rücken ist so tief gebeugt, dass sein Kopf fast auf Höhe der Knie ist. Sein Blick gilt den nächsten 50cm Asphalt. Die Last ist schwer, er kriecht fast auf allen Vieren, würde er, wenn er die Hände nicht bräuchte, um die Last zu halten. Wenige Meter noch, aber er fällt um und bleibt einen Moment auf dem heissen Asphalt liegen um zu atmen. Dann rappelt er sich hoch, trägt seine Last weiter, hin zu seinem Vater, der im Schatten des Eselkarrens wartet.
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