Sonntag, Januar 15, 2012

„Haramy“ zum Abschied und zur Begrüssung

Am Spätnachmittag vor meinem Abflug in meine Heimat war ich zu Fuss in meinem Quartier unterwegs. Als ich zwischen zwei Häusern auf die Teerstrasse trat, sah ich ein Dutzend Menschen aufgeregt beieinander stehen. Ich war erstaunt: so viele Menschen habe ich noch nie in Magawish auf einmal gesehen! Hinter mir kam unser Doorman mit einem Kollegen gerannt und grüsste mich. Ich fragte Hosni, was denn dort vorne los sei. „Haramy, haramy“ antwortete er, „ein Dieb, ein Dieb“.

Ein Dieb? Am helllichten Tag? Inzwischen war ich auch bei den Leuten angekommen. Hier wohnhafte Ausländer und Ägypter standen herum: Mütter mit Kindern auf dem Arm, an der Hand, Senioren, Männer in Anzügen, Doormen in Kaftanen und Turbanen. An die Wand des Rohbaus drängten sich einige Doormen. Ich fragte die Hausbesitzerin, was denn passiert sei. Bei ihnen sei eingebrochen worden, während sie und ihr Mann daheim waren, erzählte sie. Der Einbrecher habe ihre Taschen mit ihren Habseligkeiten gefüllt, Kleider, Pässe, Geld, Schmuck und…, als sie sich über Geräusche im oberen Stock wunderte. Der Einbrecher versuchte zu flüchten, wurde aber von den aufmerksamen Doormen gefasst.

Da sass er nun,  an die Wand gekauert, umringt von einer aufgeregten Menge. Es ist so gar nicht mein Ding, neugierig zu sein, zu „gaffen“. Trotzdem wollte ich unbedingt mal einen echten Dieb sehen, hab ich ja noch nie. Kindliche, naive Gedanken… Ich drückte mich herum, versuchte einen Blick auf das Gesicht desjenigen zu erheischen, konnte mir nicht ausmalen, wie so jemand aussah. Die Polizei kam, zerrte ihn grob ins Polizeiauto. Da sah ich ihn – und war enttäuscht. Ein hagerer, hilflos dreinblickender Mann Mitte zwanzig… oder vielleicht jünger. Armer Kerl, in jeder Hinsicht. Aber anscheinend ist er ein bekannter Einbrecher.

Nachdenklich liess ich die Menschen hinter mir, ging meines Weges und da fiel mir ein, dass ich immer alle Fenster offen lasse, auch wenn ich aus dem Haus gehe…

*****

Und heute, nach meinen Ferien, ging ich ins Einkaufszentrum, um Lebensmittel zu besorgen. Ich stand nahe den Kassen und bestellte noch etwas, als plötzlich Männerstimmen laut wurden. Ich folgte mit meinem Blick den Stimmen und sah, wie Männer im Gang draussen zwischen Supermarkt und Boutiquen einem Mann nachrannten. „Haramy, Haramy!“ Blitzschnell reagierten alle Sicherheitsleute und Anwesenden in Kettenreaktion und rannten in jene Richtung. Ein Elektrogerät fiel laut klatschend zu  Boden, ein Mann rutschte aus, Sicherheitsleute beugten sich über ihn, fassten ihn an Armen und Beinen und trugen ihn fort… Am helllichten Tag, in einem Einkaufszentrum, am Spätnachmittag, wo die Hauptgeschäftszeit beginnt?

Mir traten Tränen in die Augen… Schon wieder ein Dieb… schnelle Reaktion der Anwesenden – egal wo, die Ägypter reagieren blitzschnell… Ich habe noch nie Diebe gesehen… Soll ich mich jetzt sicher fühlen, dank der Schnelligkeit und Aufmerksamkeit der Menschen? Oder unsicher, weil ich vorher noch nie Diebe und Diebstahl miterlebt habe?

Ich bin wieder zurück in der Welt, wo das Leben ein bisschen härter und ein bisschen rauer ist. Meine Ferien in der Heimat, im Schnee, im Paradies sind definitiv zu Ende.


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