Zwei extrem anstrengende Wochen liegen hinter uns. Doch jetzt fühle ich mich etwas besser und ruhiger.
Ich hab’s versprochen und ich halte mein Wort. Ich erzähle
euch, was da passiert ist, weshalb wir die Polizei riefen, einen Anwalt
engagierten und dann unsere Anzeige zurückzogen.
Von der Drohung
Geht nicht, denn wir alle haben 10% des Kaufpreises für
Unterhalt für immer („life time“) bezahlt. Das bedeutet eigentlich, dass wir
niemals irgendwelche weiteren Kosten übernehmen müssten, auch nicht bei einer
Renovation oder einem Ersatz, wie z.B. eines Motors.
In diesem Schreiben listet S., der Besitzer der Wohnanlage, auf, welche Ausgaben monatlich zusammenkommen und wie viel der Zins unserer Einlagen abwerfe. Wenn wir nicht zustimmen, müsse er die Unterhaltsleistungen reduzieren.
Wir lehnen das ab. Wir verlangen eine detaillierte
Aufstellung, ein Kassabuch wenigstens, Rechnungen und Bankauszüge. Das haben
wir schon letztes Jahr verlangt, als er uns dazu drängte, uns an den Kosten für
die Registrierung des Hauptwasserzählers zu beteiligen. Dem Frieden zuliebe
haben wir damals nachgegeben und bezahlt. Wir, das sind die Wohnungsbesitzer,
jedoch ohne den Compoundbesitzer. Damals verlangten wir auch nach einer
Eigentümergemeinschaft. S. sagte zu, handelte aber nie.
Er redete sich heraus, die meisten Zahlungen würden bar erfolgen,
es gebe keine Rechnungen und sonst bräuchte es einen Fachmann, einen
Buchhalter.
Einige meiner Nachbarn äussern sich ausfallend im
Gruppen-Whatsapp-Chat. Irgendjemand leitet ihm das weiter. Wir werden also
verpfiffen. Ich bin zwar auch sauer, aber tu meiner Wut nur mündlich kund. Auf
keinen Fall werde ich den Forderungen nachgeben.
Der Doorman fleht uns an, doch nur noch dieses eine Mal
nachzugeben. Klar, für ihn steht sein Job auf dem Spiel. Einige zahlen, einige
nicht.
Mitte September taucht ein weiteres Schreiben demselben
Weg auf. Wir werden informiert, dass
- ab 1. Oktober sein Anwalt unser Ansprechpartner ist und sich um die Belange der Wohnanlage kümmere. Dafür stehe ihm eine Entschädigung zu. Diese dürfen wir bestimmen und der Anwalt dürfe in Höhe der Zinseinnahmen verfügen.
- wir unseren eigenen Wasserzähler registrieren lassen müssen, denn was wir jetzt haben, sei illegal. Bis dahin müssten wir Wasser per Tankwagen liefern lassen.
- er enttäuscht über unsere Undankbarkeit sei, bisher habe er beträchtliche Beträge aus einer eigenen Tasche bezahlt.
Dass er nie Unterhalt bezahlt und für die verkauften
Wohnungen auch nicht die 10% aufs Bankkonto überwiesen hat, lässt er aus.
Logischerweise hat jeder der Besitzer – der noch in der
Whatsapp-Gruppe verblieben ist – eine andere Meinung darüber, wie wir vorgehen
sollten. Und prompt bricht Streit aus. Schade. So kommen wir nicht weiter. Aber
das liegt sicher im Kalkül von S.
Ich marschiere mal wieder zur Wasserfirma und versuche, mit
meinen Dokumenten für mich einen Wasserzähler zu beantragen. Wird abgelehnt.
Der Besitzer der Wohnanlage müsse einverstanden sein und eine Vollmacht
erteilen.
Ich bin stocksauer. Ich rufe seinen Anwalt an. Der meint, er
müsse S. fragen und rufe mich zurück. Das macht er nie und er antwortet auch
nicht.
Ok, ich verstehe das Spiel.
Zur Tat
Ende Monat verabschiedet sich der Doorman, er gehe für ein
paar Tage nach Hause.
Ein paar Tage später informiert uns unser russischer
Nachbar, O., der sich (unter Zwang) um die Infrastruktur kümmert, dass der
Wassertank beinahe leer ist. Wir wissen schon, dass die Wasserleitung nur
zweimal pro Woche geöffnet wird – aber der Tank des Nachbargebäudes ist voll.
Einen Tag danach stellt O. fest, dass die Wasserleitung
durchgetrennt worden ist. Er ruft unseren Doorman an. Der hatte das gewusst.
S.s Anwalt habe dazu den Auftrag gegeben. O. informiert auch uns. Meine
italienischen Nachbarn und ich sehen uns das Ding an. Sonst ist keiner da.
Betroffen sind wir aber alle: Mieter, Besitzer, auch jene, die S.s Forderungen
nachgekommen waren.
Ich bin zutiefst schockiert. Ich höre mich fassungslos stotteren:
„Das ist eine kriminelle Handlung.“
Was machen wir jetzt?
Wir müssen die Polizei rufen.
Ich bitte um etwas Zeit, kühle mich im Pool ab, um einen
klaren Kopf zu bekommen und mich zu beruhigen. Wenn die Polizei involviert wird,
dann dauert es.
Ich rufe an, weil ich am ehesten auf Arabisch mitteilen
kann, was los ist. Der Typ spricht sogar Englisch und ich gebe alle
Informationen durch. Sie würden jemanden schicken.
Stattdessen werde ich telefonisch belästigt.
Mein italienischer Nachbar SM ruft an - sie würden jemanden
schicken.
Zwei Polizeiwagen tauchen auf, viel Uniform, einer in Zivil.
Viel Telefon, ein paar Fotos. Wir müssen zur Polizei und eine Anzeige
erstatten. Das gehe ganz schnell.
Geht es nicht. SM, seine Frau und ich verbringen dort drei
Stunden. Ich versuche mit meinem Arabisch zu erklären, was da passiert ist.
Unsere Daten werden aufgenommen, wir schreiben in Englisch, ein zufällig
Anwesender schreibt unsere Anzeige auf Arabisch um. Dann warten wir. Auf was?
Auf Bescheid des Staatsanwaltes.
Inzwischen ist es Abend und garantiert kein Staatsanwalt
macht mehr eine Anhörung. Wir müssen am folgenden Nachmittag zum Gericht in
Dahar.
Da warten wir inmitten Männern in Handschellen auf unsere
Anhörung. Ein Tscheche sitzt auch da. Er hatte Haschisch bei der Einreise dabei
und wurde vom Flughafen abgeführt. Was ihm passieren würde? Eine Geldstrafe
erwarte ihn, meint einer, der unser Übersetzer sein möchte.
Nach einer Stunde des Wartens werden wir in ein sauberes,
gekühltes Büro vorgelassen. Überall liegen Stapel von Dokumenten. Der
Staatsanwalt spricht auch bloss Arabisch. Ich kann inzwischen kaum mehr
zwischen den Sprachen hin- und herpendeln, muss mich aber nochmals
zusammenreissen und erkläre erneut, was geschehen ist. SM zeigt ihm die
Fotoaufnahmen und Briefe.
Wir kriegen einen winzigen Zettel, auf den er die
Aktennummer notiert hat. Jetzt gebe es kein Urteil, das folge später.
Wir fahren nach Hause. Inzwischen hat jemand einen Tankwagen
organisiert und wir bekommen das ersehnte Nass. Und wir überlegen, wie es weiter
gehen soll.
Wir brauchen einen Anwalt, der unsere Interessen gegen den
supermächtigen und Angst einflössenden S. vertritt. Drei Anwälte sind schon
davon gelaufen.
Ich gehe die Liste meiner Bekannten durch. Die Italiener
machen dasselbe.
Und so gelangen wir zum Anwalt in der Szene von „Il Padrone“
oder „The Godfather“. Das habe ich bereits hier beschrieben.
SM und seine Frau gehen am Folgetag mit ihm aufs Notariat
und bevollmächtigen ihn. Nur, um am Nachmittag festzustellen: Wir haben keine
Chance. Alle sagen das, alle Ägypter. Wir steigen in der Nacht aufs Dach und
drehen allen, die uns nicht unterstützen und bisher kein Geld für die Tankwagen
locker gemacht haben, den Wasserhahn zu.
Wir Europäer lassen uns beeinflussen von diesem „Vergesst
es, ihr habt keine Chance! Der hat mehrere Firmen, fährt in Kairo mit
Begleitschutz herum. Ist Richter.“ Wir wissen, dass das Land durch und durch
korrupt ist und das Recht des stärkeren gilt. Wir ziehen die Anklage zurück. Das
habe ich hier kurz erwähnt.
Dazwischen lassen wir weitere Tankwagen kommen. Eines Morgens
ist der Tank wieder fast leer. Jemand hat die Nacht über in der Wohnung den
Wasserhahn offen lassen. Ich bin darauf gekommen, weil ich mit dem
Wohnungsbesitzer am Vormittag geredet habe und wusste, dass er da war. Und O.
hat gesehen, dass dessen Wasserzähler wie wild dreht. Der Wohnungsbesitzer war
ausgezogen. Er hat sofort zwei Wassertankwagen kommen lassen und einen aus der
eigenen Tasche bezahlt.
Inzwischen bin ich Sekretärin und Buchhalterin und Psychologin
des Compounds. Mein Whatsapp füllt sich mit Nachrichten, ich brauche mehrere
Stunden um alles abzuarbeiten, zu beruhigen, zu überlegen. An Schlaf ist nicht
zu denken. Ich versuche aufzumuntern, nicht alles verloren zu wähnen. Es gibt
eine Lösung, auch wenn ich die nicht kenne. Nicht aufgeben! Wir geben nicht
auf! Ich gebe nicht auf!
Wir kriegen wir Hilfe? Wie kommen wir aus dem Schlamassel
raus? SM springt über seinen Schatten und bittet S. um Verzeihung, wir würden
zahlen, was immer S. wolle. Der schweigt.
Zwei unserer ägyptischen Nachbarn versuchen S. und seinen
Anwalt zu erreichen. Beide schweigen beharrlich.
Zwei Tage später fahre ich mit O. zur Wasserfirma, um wieder
einen Tankwagen zu bestellen. Wir bekommen nur 16 t, das sei momentan das
Limit. O. findet, wir sollen doch zur Managerin gehen und fragen. (Das ist
übrigens „meine“ Managerin). Sie lässt uns warten, gibt Unterschriften, gibt
Antworten, lässt uns mehr warten. Bis wir alleine sind.
Sie fragt, was denn los sei. Ich erzähle es ihr, halb auf
Englisch, halb auf Arabisch. O. versteht kaum was, er kann nur Russisch. Die Managerin
sagt, dass S.s Anwalt am Vortag dagewesen sei und bestimmt habe, die
Wasserleitung nicht zu öffnen. Wie ist das möglich? Die Managerin sieht mich
hilflos an. Sie meint, wir sollten unsere eigene Wasserleitung beantragen. Ja,
klar. Und der Motor dazu? Und der Tank dazu? Stellen wir das auf S.s
Grundstück? Wir sollen Anzeige beim obersten Boss der Wasserfirma machen. Ja.
Und dann?
S. spielt mit seinem Machtvorteil oder mit der heissen Luft
darüber. Jeder Europäer hier weiss, dass ein Grossteil der Anwälte nicht viel
taugt. Sie wollen kassieren, kennen sich nicht aus oder haben selbst Respekt vor
der Macht. Meiner meinte zum x-ten Mal „Ich habe es dir ja gesagt, vergiss es!“
Pfeiffe!
Gerichtsverfahren schleppen sich Jahre dahin und können sich
im Nirgendwo verlaufen. Also schlucken viele Europäer die Schikanen, zahlen,
geben klein bei und ärgern sich grün und blau. Und jeder Ägypter hat zu viel Angst
vor der Macht. Also schlucken auch sie lieber alles runter und geben klein bei.
Das ist natürlich verallgemeinernd. Wir haben Nachbarn, die jetzt verkaufen
wollen. Ich glaube nicht, dass das der richtige Moment ist.
O. und ich fahren nach Hause, haben die Quittung dabei, doch
der Tankwagenfahrer ruft mich an, er dürfe uns kein Wasser bringen, jemand „von
oben“ habe das so verordnet. Ich verstehe nicht alles, gebe aber SM die
Nachricht weiter.
Und ich bitte jemanden, den Fahrer nach dem Grund zu fragen.
Ich müsse zur Abfüllstation fahren, heisst es, um die Quittung dort abzugeben.
Also mache ich auch das noch. Die letzten Tage habe ich mehrere Hundert
Kilometer abgespult, mit einem Auto, das mir gar nicht mehr gehört.
Das Wasser wird eine halbe Stunde später geliefert.
Die Wende
Zu Hause dann gehe ich zu meinen Nachbarn. Ich bin am Ende,
habe keine Kraft mehr und auch keine Idee mehr. Doch jetzt baut mich SM auf, er
hat inzwischen herumtelefoniert, Kontakte gesucht, die uns helfen könnten.
Innert Kürze meldet sich ein Armeegeneral und gibt ihm den Kontakt seines
Anwalts. Fünf Minuten später ruft dieser an, 30 Minuten später schütteln wir im
Compound Hände.
Etwas durcheinander erzähle ich den Sachverhalt, SM zeigt Fotos,
Briefe, Quittungen. Der Anwalt sieht sich die zerstörte Wasserleitung an, liest
unsere Dokumente. Er verlangt kein Geld noch bevor er etwas unternimmt. Er sagt
nur, er werde jetzt alles genau durchstudieren.
Einige Stunden später treffen wir uns in einem Café. Er
stellt sich und seine Arbeitsweise vor, seine Philosophie und Denkweise. Es ist
unsere erste Strategiesitzung. Wer der Mann wirklich ist, erfahre ich erst
einige Tage später, mein guter Nachbar wusste es natürlich.
Wir fassen wieder Hoffnung, erkennen, dass da endlich jemand
da ist, der uns helfen wird und helfen kann. Dass da auch einer ist, der zum
Recht verhilft und Gerechtigkeit liebt.
Erste Resultate zeigen sich schon.
Aber darüber kann ich noch nichts erzählen. Beizeiten mache
ich das. Und irgendwann gibt das ein Buch.
Was ich die letzten zwei Wochen erlebt habe, ist einmalig, unglaublich und schier unerträglich. Ich fühle mich zwar noch immer sehr erschöpft und müde, aber ich bin nun überzeugt: In diesem Land kann mir niemals mehr etwas antun.
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Ich bewundere Deine Kraft und Ausdauer. Ich wäre sicher schon längst am diesen Umständen verzweifelt.
AntwortenLöschena) Wer sagt, dass ich das zwischendurch nicht tue?
Löschenb) Das hilft auch nicht weiter :(
ich wünsche dir von Herzen, dass sich alles zum Guten wendet!!! ---- Eigentum zu erwerben, scheint dort nicht einfach zu sein.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank! Erwerben schon, aber auch besitzen und behalten ;)
LöschenZynismus und bittere Realität diktieren dass diese unappetitliche Wendung der Ereignisse nicht einmal unvorstellbar, sondern sogar vorhersehbar ist ...
AntwortenLöschen... verstehe ich nicht ganz...
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