Die Türe geht auf und eine weibliche Stimme ruft konsterniert „Welcome to Egypt!“. Aus meiner Toilettenkabine heraus erwidere ich „Exactly!“.
Frappant springen dem Reisenden die Unzulänglichkeiten ins Auge: Ungepflegt, unsauber, unordentlich. Hurghadas Flughafen nennt sich immerhin international und Ägypten lebt zu einem grossen Teil vom Geld der Touristen, will die Ankünfte sogar steigern. Aber an der Basis, an den einfachsten Leistungen fehlt es noch immer. Mildernd mag gelten, dass es morgens um zwei Uhr war und Ramadan. Aber die Schweinerei, die sich dem Fluggast gleich nach Ankunft bietet, ist nicht verzeihbar.
Sie hilft nur, sich auf das weitere Prozedere einzustellen: Übertrieben
lange auf den Erhalt des Visums warten, weil der einzige anwesende
Bankangestellte sich im Zeitlupentempo bewegt – so langsam könnte ich mich
nicht mal bewegen. Ist man dann endlich seine US$ 25 los und hat den begehrten
Kleber im Pass, darf der Reisende die einstündige Wartezeit an der
Passkontrolle antreten. Zwei Beamte fertigen die Pässe von drei ankommenden
Flugzeugen ab. Am meisten tan mir die Kinderchen leid, die konnten sich
teilweise nicht mehr auf ihren Beinchen halten, so müde waren sie.
Die Toiletten sind nur ein Teil des Willkommenspaketes:
dreckige Busse vom Flugzeug zur Ankunftshalle, lange Wartezeiten, Benimm und
Verhalten der Reiseleiter und Beamten (die Schreierei!), die betrügerischen
Preise der Flughafen-Taxi-Mafia und so weiter und so fort. Die Regierung hat
angeblich das Management aller Flughäfen einer ausländischen Firma übertragen.
Ob es mit denselben Angestellten besser wird?
Ägypten hat’s einfach selten im Griff. Keine Überraschung
nach knapp fünf Monaten Abwesenheit.
Ermüdend
Für mich waren es nicht wirklich Ferien, denn ich hatte
vieles zu erledigen und jeden Tag Termine. Dass Ramadan war, verkomplizierte
und verzögerte alles noch mehr, weil die Öffnungszeiten von Banken, Ämtern und
Dienstleistern stark eingeschränkt sind.
Einen Tipp möchte ich euch geben: Wenn ihr jemals einen
neuen Pass habt und euch mit eurem alten Pass bei der Bank, beim Verkehrsamt
oder beim Telefon-/Internetprovider oder sonst wo registrieren habt lassen,
nehmt euren alten Pass mit! Eure alte Passnummer ist hinterlegt und die neue
muss erst registriert werden, bevor ihr irgendeine andere Änderung vornehmen
könnt. Bei der Bank hat das vier Arbeitstage gebraucht – ja, wirklich!
Mustafa, der nette, junge, saubere Klempner verschob unsere
Termine drei Mal, dazwischen antwortete er auf meine Nachrichten erst nach
mehreren Tagen. Er entschuldigte sich höflich. Verstehe. Ich brauchte aber eine
Lösung während ich da war und nicht irgendwann. Als mich ein Freund besuchte, fragte
ich ihn, ob er mir einen zuverlässigen, gute Arbeit liefernden Klempner
empfehlen könne. Und siehe da: Sie kamen zu zweit, mit Auto, hatten Material,
Werkzeuge und Ersatzteile dabei und erledigten die Arbeit mit grösster
Sorgfalt. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Neben dem Klo sammelte sich manchmal
mehr, manchmal weniger Wasser. Der junge Klempner hatte das letztes Jahr schon
mal in Ordnung gebracht, aber offenbar nicht richtig. Wie sich nun
herausstellte, musste das Abflussrohr ersetzt werden. Ich bin meinem Freund Maged
äusserst dankbar für die Empfehlung.
Erstaunlich
Natürlich wollte ich auch wissen, was in unserem Compound läuft.
Mir fiel auf, dass wir keinen Poolman mehr hatten. Der hatte im Auftrag des
Besitzers die Wasserpumpen geklaut! Ich kann’s jetzt noch kaum glauben. Der
kommt nie wieder, er würde von meinen Nachbarn zu Brei gemacht. Die Anlage
läuft technisch einwandfrei, ein Nachbar kümmert sich um alles, was Strom,
Wasser und Maschinen betrifft. Ein anderer Nachbar und seine Frau pflegen die
Pflanzen und putzen.
Unser Anwalt kämpft weiter, ist aber etwas frustriert, weil
ihm nicht alle Besitzer eine Vollmacht ausgestellt haben. Ich bin darüber recht
enttäuscht. Die einen wollen nicht mehr Geld investieren, die anderen sind im
Ausland. Blöde Situation.
Der Besitzer war seit den Vorfällen im Oktober nicht mehr
ins Compound gekommen. Ebenso wenig hat es ein Immobilienvermittler mit
Kaufwilligen geschafft. Überhaupt kann der Besitzer seine restlichen Wohnungen
momentan nicht verkaufen. Recht so.
Da ich mein Auto im Herbst verkauft hatte, war ich jetzt auf
öffentliche Verkehrsmittel und Taxis angewiesen. Etwas Kummer hatte mir das im
Vorfeld bereitet und mich an die Zeiten vor meinem Autobesitz erinnert. Die
Erlebnisse damals waren nicht immer angenehm.
Doch es war ein schönes Beispiel dafür, wie ich mir im
Voraus Sorgen über etwas gemacht habe, das ganz anders gekommen ist. Es lief
nämlich prima!
Manchmal bestieg ich einen Minibus, wenn es gut passte, wie
z.B. vom Souq retour nach Hause oder von mir zur Senzo Mall. Einem Busfahrer dankte
ich für seine vorsichtige Fahrweise. Oft bestellte ich ein Taxi mit der App
„InDrive“. Die hatte ich vorletztes Jahr im Delta verwendet und ist nun auch in
Hurghada in Betrieb. Ich kann sie nur empfehlen: Im Vergleich zu „Uber“ lief
fast alles bestens. Ein Fahrer schmierte die App aus und stornierte die Fahrt,
obwohl er mich heimfuhr und den Fahrpreis kassierte – ich meldete ihn. Ein
anderer wartete vor einem Hoteleingang 500 m weiter und sein Auto war in einem
jämmerlichen Zustand: Die Kopfstütze am Beifahrersitz fehlte, Fensterhebel
fehlten, die Dachabedeckung innen war lose und vieles mehr. Nicht ein Wort
Englisch konnte er. Er erzählte mir, dass es heute sein erster Tag als
Taxifahrer war in Hurghada. Er komme aus Luxor. So erklärte ich ihm den Weg und
riet ihm, sein Auto reparieren zu lassen und wenigstens ein paar Brocken
Englisch und Russisch zu lernen. Wie doof von mir, dachte ich mir, als ich mich
reden hörte. Er kam ja nach Hurghada, weil in Luxor nichts zu verdienen ist…
Ansonsten kamen Fahrer mit neuen Mittelklassewagen, sauber,
gepflegt, korrekt mit anständigem Fahrstil. Wenn ich fünf (!!!) Pfund Trinkgeld
geben wollte, meinten sie, ich bekäme noch Geld zurück…
Erheiternd
Eine der schönen Seiten war, ich traf viele Freunde, teils
zufällig, teils auf Verabredung. Gleich am ersten Tag lief ich in die Wüste
hinein, um zur Ruhe zu kommen, Energie zu tanken und den Blick auf Berge und
Meer aufzufrischen. Ich war schon etwa zwanzig Minuten marschiert, da zeichnete
sich am Horizont gegen die tief stehende Sonne eine Gestalt ab. Mit Hund.
Zuerst war ich verwirrt, denn in der Vergangenheit hatte ich in dem Gebiet nur
einmal einen Jogger getroffen, aber weiter südwärts, im Tal, wo der Sand tiefer
ist. Noch ein paar Schritte weiter und meine Vermutung wurde zur Gewissheit:
die langen Haare, die Postur… Ich nahm mein Handy aus der Gilettasche und rief
Robby von IQonTour an. „Hallo Robby, siehst du mich?“ fragte ich. „Ja, ich sehe
dich.“ Es war eine schöne Überraschung und wir begrüssten uns herzlich.
Ein andermal hatte ich eine Verabredung dort, wo ich vorher
acht Jahre gewohnt hatte. Schon am Eingang begrüssten mich Angestellte
sichtlich erfreut, schüttelten mir die Hand und übergossen mich mit arabischen
Willkommensworten. Weiter zum Pool, auf die Terrasse, wo ich einer Handvoll
Italienern in die Arme lief. Zuerst aber wollte ich meine Bekannte begrüssen,
die drinnen auf mich wartete. Da stand auch ihr ehemaliger Partner. Ich wollte
raus, Hände nach den vielen Begrüssungen waschen, bekam aber noch mehr Hände zu
schütteln und weitere Baccis und Umarmungen. „Ist Claudio auch hier?“, fragte
ich. „Ja, er ist oben, morgen fliegt er.“ Also lief ich noch rasch die Treppe in
den dritten Stock hoch und fand Claudio umringt von Nachbarn und seiner
Betreuerin, während gleichzeitig ein ehemaliger „Schüler“ und Freund aus dem
Lift trat. Weitere Baccis…
Beim dritten Anlauf schaffte ich es, meine Hände zu waschen
und hatte einen angenehmen, unterhaltsamen Abend mit meiner Bekannten R. Sie
erwähnte auch beiläufig, dass eine gemeinsame Bekannte aus der Schweiz kommen
sollte. Prompt sah ich am darauffolgenden Tag ihr Foto auf Facebook. Wir verbredeten
uns dann ein paar Tage später.
So lief es an vielen Orten: Ich traf ehemalige Schüler,
Freunde, einen Teilnehmer meines Schreibworkshops. Und natürlich meine
Freundin, die in Hurghada wohnt und zu meiner Wohnung sieht.
Erholsam
Nach zwei oder drei Tagen drängte es mich – kühle
Temperaturen hin oder her – Sand unter meinen Fusssohlen zu spüren. Durch meine
Füsse wollte ich Energie aufnehmen. Ich fuhr nach Sahl Hasheesh und lief
barfuss den Strand entlang, manchmal im lauwarmen, klaren Wasser, manchmal im
trockenen Sand. Ich liebe dieses Gefühl, wenn ich jedes Sandkörnchen ertasten
kann. Ich spürte die kleinen Muscheln, die spitzigen Korallenabbrüche und schmunzelte:
Meine Fusssohlen waren trotz mehreren Monaten in Schuhen nicht empfindlicher
geworden.
Laufen, innehalten, still betrachten und über das
bezaubernde türkisblaue Meer staunen, den Wellen lauschen, ins Wasser blicken,
den Horizont entschwinden lassen, den groben Sand und das Meerwasser spüren. Es
half mir, endlich „runterzukommen“, zu entspannen, abzuschalten. Ich legte mich
in Hose und Jeansjacke in den Sand, meine Handtasche unter den Kopf als Kopfkissen
und machte die Augen zu. Endlich ruhte auch mein Kopf. Während die Gedanken ins
Meer sickerten und mit den Wellen Richtung Horizont entschwanden, begann ich
allmählich, wieder mich selbst zu fühlen.
Das war meine Befürchtung, damals, als ich den Job annahm,
dass ich mich wieder ein bisschen selbst verliere, nur noch funktioniere, weil
da kein Raum für Freiheit ist, weil die Tage vollgestopft sind, weil die
Pflichten drängeln. Während diesen Kurzferien wollte ich, nein: musste ich
einen Weg finden, wie ich die nächsten Monate durchkomme, ohne mich wieder
selbst zu verlieren.
Wie es der Zufall will – eine Redewendung an die ich
eigentlich nicht glaube, denn ich bin überzeugt, dass es Bestimmung ist – ergab
sich mit meiner Yogalehrerin ein langes Gespräch. Da ich an den Yogastunden online weiterhin teilnehme,
bekommt sie mit, wie erschöpft ich ständig bin. Ihre Worte und ihren Rat, die
sie mir mitgab: „nicht meinen, alles alleine machen zu müssen“, sondern um
Hilfe zu bitten. Spirituelle Hilfe. Die mag jeder woanders suchen und finden. Auch wenn vieles im Land am Nil nicht klappt
und mühsam ist und die Defizite in vielen Bereichen enorm sind – Ägypten ist
ein altes Land und diese uralte spirituelle Kraft ist spürbar. In den vergangenen
Jahren habe ich glücklicherweise gelernt, sie zu fühlen und angefangen, sie zu
nützen. Aber hier in Europa war ich wieder wie abgeschnitten davon. Nun weiss
ich, was ich zu tun habe! Darauf weiter einzugehen, würde nicht hierher passen.
Vielleicht ergibt sich mal eine andere Gelegenheit dazu.
Meine Freundin tickt ebenfalls ähnlich wie meine
Yogalehrerin. Wir verbrachten viele Stunden gemeinsam am Meer, manchmal angekleidet,
weil es einfach zu kühl war, und erst die letzten zwei Tage im Bademodus und
erzählten uns alles, was uns während den vergangenen Monaten bewegt hat und
eben, wie wir damit umgehen können, sollen, wollen…
Und dann war noch das Schwimmen im Meer. Leider nur zwei
Mal, die Lufttemperatur war mir zu kühl, aber immerhin! Es war wie eh und je…
Zauberhaft!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.