Es ist Freitag, der vierte Tag der Proteste. Internet gibt es in ganz Ägypten nicht mehr, sms können auch nicht mehr verschickt werden. Nun hänge ich von den ausländischen Fernsehsendern ab und von meinen Bekannten und Freunden in Ägypten.
Ich packe meine Habseligkeiten in Taschen, Koffer und Kisten. Nein, ich habe nicht vor, Hurhgada zu verlassen, nur meine Wohnung zu wechseln. Seit morgens früh läuft der Fernseher und ich schalte von Al Jazeera zu BBC zu CNN zu France24 und wieder zurück. Die Szenen sind unglaublich: die Ägypter, die seit Jahrhunderten gewohnt sind zu erdulden, sich zu gedulden, alles hinzunehmen, lehnen sich auf. Es sind nicht mehr nur Tausende, sondern Zehntausende, sie stellen sich gegen die brutale, alles niederschlagende Polizei und ein jede Freiheit unterdrückendes Regime.
Wie oft habe ich mit Ägyptern aus allen Schichten darüber diskutiert. Immer wieder fragte ich, weshalb sie sich nicht wehrten, weshalb sie sich nicht erheben. Die Antwort lautete sinngemäss immer gleich: wir sind geduldig, wir können alles hinnehmen, alles akzeptieren. Wenn wir nicht täglich Fleisch essen können, dann essen wir es halt nur noch einmal wöchentlich. Wenn wir nicht mehr wöchentlich Fleisch essen können, dann essen wir es halt nur noch an Festtagen. Aber wir brauchen Brot und ein Dach über dem Kopf. Innerlich verzweifelte ich über diese Haltung.
Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate in Ägypten und der Aufstand in Tunesien haben dies geändert. Tunesien war wohl der berühmte letzte Tropfen in ein übervolles Fass. Endlich, muss ich aus tiefstem Herzen sagen!
Mit Packen bin ich fertig, ich muss den Fernseher ausschalten. Zwei Stunden später komme ich nochmals in meine „alte“ Wohnung zurück, um zu putzen. Wieder schalte ich den TV ein: es wurde eine Ausgangssperre ab 16 Uhr für die grösseren Städte ausgesprochen. Die Demonstrationen gehen ungeachtet weiter. Die Ägypter, die riesige Angst vor dem Polizei- und Sicherheitsapparat haben, ignorieren Tränengas, Gummigeschosse und Knüppel, sie protestieren weiter.
Ich fahre ins Zentrum Hurghadas, um etwas zu essen. Vorübergehend sind die ausländischen Sender abgeschaltet worden und ich sehe nur noch die Bilder auf AL Jazeera Arabic. Inzwischen ist die Ausgangssperre auf ganz Ägypten erweitert worden, aber ich komme ungehindert in meine neue Wohnung ausserhalb Hurghadas. Auch hier schalte ich zuerst den Fernseher ein und suche nach den Englisch- und Französischsprachigen Sendern – es gibt keine. Ein Mitbewohner versucht mir zu helfen – keine Chance. Wegen der Ausgangssperre kann auch kein Fachmann mehr kommen. Ich muss wohl oder übel ohne auskommen.
Alle zwei Stunden bis kurz vor Mitternacht rufe ich eine Freundin an; sie informiert mich über die weiteren Ereignisse. Offenbar finden auch im Zentrum Hurghadas Demonstrationen statt und ein Supermarkt wurde gestürmt.
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