Nach nur wenigen Stunden schlechten Schlafs wache ich auf. Alles tut mir weh – wohl vom Packen und Putzen. Doch ich habe auch Kopfweh.
Meine Mutter ruft mich an, noch bevor ich sie grüsse, rufe ich ins Telefon: „Ich lebe noch!“.
Um 11 Uhr kommt der Fernseh-Fachmann und stellt die Satelitenschüssel korrekt ein und ich kann mich endlich wieder über das Geschehen in Ägypten informieren.
Die Demonstrationen waren die ganze Nacht weiter gegangen, es gibt bereits über einhundert Tote. Im Laufe des Tages gehen sie weiter. Die Polizei ist spurlos verschwunden und die Menschen strömen wieder zahlreich auf die Strassen.
Ich versuche auszupacken, putze erneut und warte auf eine ägyptische Putzfrau. Sie kommt mit einer Stunde Verspätung mit ihrem Kleinkind, macht eine Sauerei und Lärm. Ich ertrage das nicht und sage ihr, so ginge das nicht. Sie geht. Der Wohnungsbesitzer verspricht, mir jemand anderen zu senden. Aufgrund der Umstände kommen aber erst am Abend zwei Männer von einem Hotel. Somit ist das Gröbste wenigstens gemacht – nachdem ich bereits die Hälfte der Wohnung gereinigt habe.
Im Fernsehen wird über Plünderungen berichtet. Gefangene entfliehen aus den Gefängnissen. Menschen berichten, dass Polizisten in Zivil bei Plünderungen und Einbrüchen erkannt wurden. Im Laufe des Tages fährt die Armee in die grösseren Städte ein und die Menschen begrüssen sie frenetisch. Doch Stunden später müssen sie feststellen, dass die Soldaten nur staatliche Gebäude schützen, nicht aber Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen.
Ich fahre ins Einkaufszentrum. Dort treffe ich zufällig eine ägyptische Freundin, die sehr mitgenommen aussieht. Sie erzählt, dass sie um ihr Familienhaus in Kairo bangt. Es geht ihr nicht um Haus und Inhalt, sondern um die Erinnerungen aus ihrer Kindheit und an ihre Grossmutter, die eine bekannte Malerin war. Ja, sie komme aus einer reichen Familie, aber alles sei auf ehrliche Art und Weise hart erarbeitet worden, nicht gestohlen und nicht durch Korruption angeeignet.
Im Supermarkt sind einige Regale fast leer und an der Kasse muss ich über eine halbe Stunde anstehen. Jetzt erst wird mir bewusst, dass die Leute sich auf schlimmere Zeiten vorbereiten. Ich kann nicht. Ich bin überzeugt, dass es nicht lange gehen wird, bis sich die Situation radikal ändert.
Am Abend ruft mich eine Freundin an, sie stecke mitten im Zentrum und es ginge schrecklich zu und her. Ich solle nicht ausgehen. Ich wusste es und hatte es auch nicht vor.
Einer meiner Schüler erzählt mir, dass er bis auf weiteres nicht kommen kann. Er macht sich unendlich Sorgen um seine Familie in Kairo und ist ständig telefonisch in Kontakt mit ihnen. Seine Stimme zittert. In Kairo und anderen Städten haben junge Männer Milizen gebildet, um Mensch und Eigentum zu schützen. Er würde gern hinfahren, doch das ist nun unmöglich.
Nachts um 11 Uhr ruft mich die ägyptische Bekannte aus dem Supermarkt an und fragt mich, ob ich alleine oder mit Freunden sei. Alleine, antwortete ich. Sie bot mir an, zu ihr zu kommen, falls ich Angst hätte. Es habe in Hurghada mehrere Plünderungen und Einbrüche da und dort gegeben und einige ihrer Freunde würden bei ihr übernachten. Ihr Angebot berührt mich sehr und ich spürte, dass sie es ehrlich meinte. Ich bedanke mich und sage ihr, dass ich mich sicher fühle.
In Al Jazeera berichteten Menschen, wie sie um Leib und Leben fürchteten, weil Kriminelle und zivile Polizisten sie angriffen und Soldaten dabei nur zusahen – sie hätten keinen Befehl, ihre Mitbürger zu schützen.
Ich überlege mir, ob ich noch meine erste Schülerin vom nächsten Tag anrufen soll, denn ich weiss, dass auch sie Familie in Kairo hat. Es war aber schon Mitternacht und deshalb lasse ich es sein.
Offenbar waren Gefangene von der Polizei aus den Gefängnissen entlassen worden, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Es wird berichtet, dass Polizeiwagen vorfuhren und Polizisten in Zivil Geschäfte plünderten und zerstörten.
Morgens um eins gehe ich ins Bett und versuche zu schlafen. Ich bin überzeugt, dass Mubarak, wie die reichen Geschäftsleute nach Dubai, noch in der Nacht fliehen würde.
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