Ende Monat finden die ersten „freien“ Parlamentswahlen
statt. Ob sie denn wirklich so frei sein werden, bezweifle ich.
Zweieinhalb Wochen vor den Wahlen versinkt Ägypten immer
tiefer im Chaos. Die schlechten Nachrichten hören nicht mehr auf und drum mag
ich manchmal gar nichts mehr auf meinem Blog schreiben.
Die Muslimbrüder haben die Feiertage (Opferfest) dafür genutzt,
die grosse Masse der armen und ungebildeten Bevölkerung für sich zu gewinnen,
in dem sie den Kindern Spielzeuge schenkten und den Menschen Nahrungsmittel,
vor allem das für viele Familien unerschwingliche Fleisch, zum halben Preis verkauften.
Aktivisten haben schwarze Listen mit Namen von ehemaligen
NDP-Mitgliedern publiziert, die sich wieder wählen lassen möchten. Nicht nur
ehemalige, sondern auch Minister der jetzigen Übergangsregierung haben
Ex-Präsident Mubarak Glückwünsche zum Opferfest überbracht. Der Begriff „schmeicheln“
ist zu wenig kräftig, um das zu beschreiben… Es ist inzwischen jedem klar
geworden, dass erst der Kopf des alten Regimes entfernt wurde, der Körper lebt
jedoch noch heftig um sich schlagend weiter.
Der Oberste Armeerat hat ein Papier dazu erlassen, wer die neue Verfassung ausarbeiten
soll und was darin zu stehen hat. Quer über alle politischen Richtungen ging
ein Aufschrei durchs Land, weil die Armee darin ihre Macht festigen will.
Anklagen und Verurteilungen von Zivilisten durch das Militärgericht sind an der
Tagesordnung. Einige Aktivisten verweigern die Aussage vor dem Militärgericht;
einer von ihnen ist seit Monaten im Hungerstreik. Es wurde sogar versucht, ihn
als psychisch krank in eine psychiatrische Klinik einweisen zu lassen. Kopten
werden willkürlich als Unruhestifter und Verursacher des Massakers vom
9.10.2011 festgenommen und verurteilt. Eine unabhängige Untersuchung gibt es
nach wie vor nicht.
Inzwischen schlagen sich in Oberägypten die Menschen die
Köpfe ein. Die Tradition der Blutrache hat Oberhand genommen – kein Wunder in einem
Land ohne Recht und Ordnung. Ein Freund erzählte mir, dass sich die Leute
gegenseitig umbringen wegen einem gestohlenen Huhn, wegen einem Esel, der am
falschen Wegrand gefressen hat.
Ich wollte eigentlich zur Abwechslung ein paar Tage nach
Luxor fahren, liess es jedoch sein. Freunde raten mir allein schon von der
Busreise ab. Zudem herrscht auch dort Krieg zwischen Banden und Familien. In
Gruppen reisende Touristen mögen in Sicherheit sein. Aber dorthin alleine zu
reisen habe ich absolut keine Lust. Die historischen Stätten werden auch das
überleben und auf mich warten…
Somit bleibe ich in Hurghada, geniesse die Sonne und das
glasklare Meer und schreibe in der Marina sitzend über die schwierige und
langwierige Zangengeburt eines arabischen Landes, das sich aufgemacht hat, eine
Demokratie zu werden.
Hallo - habe eben auf Facebook in Deinem Blog einen Kommentar für Dich hinterlassen. Gruß, Conny
AntwortenLöschenHallo El-Qamar, ich lese schon seit längerem mit und mag deinen Blog!
AntwortenLöschenHierzu fällt mir nur ein “Unsichtbar wird der Wahnsinn, wenn er genügend große Ausmaße angenommen hat.“ Mich gruselt's ...
LG, Elia