Montag, Februar 14, 2011

Ein bisschen Normalität

Auch in Hurghada versuchen wir wieder zurück zu einem normalen Alltag zu kommen. Ich habe zwei Stunden unterrichtet. In El Memsha wurde eine Aktion „I love Egypt“ gestartet, um den Touristen und der Welt zu zeigen, dass es hier ruhig und sicher ist. Davon habe ich leider zu spät erfahren, um teilzunehmen.

Ich versuchte, gebrauchte Bücher bei einem Second Hand Buchhändler einzutauschen – er hat aber geschlossen und ist nur nach Absprache vor Ort. Nun habe ich aber seine Telefonnummer und wenn ich das nächste Mal in jene Gegend fahre, rufe ich ihn vorher an.

Die Deutsche Schule unterrichtet provisorisch in einem anderen Gebäude, das offizielle Schulhaus bleibt weiterhin geschlossen. Gemunkelt wird von Beziehungen des Inhabers zum Regime – ich weiss es nicht.

Was mich innerlich den Kopf schütteln lässt, ist eine stets widerkehrende Aussage von Ägyptern: Mubarak hab auch gute Seiten gehabt. Nicht glücklich, nicht traurig sei er nach den Ereignissen – eine weitere Antwort, auf meine Frage. Die Ägypter kennen und kannten gar nichts anderes! Eine Tatsache, die ich nicht verdauen kann, auch wenn mir mein Verstand dies sagt. Nun kommt für diese Menschen etwas Neues auf sie zu, etwas, das sie mitgestalten sollen, dabei wissen sie ja gar nicht, wie das genau aussehen soll.

Ich möchte diese Situation mit einer (viel unbedeutenderen) Situation vergleichen, an die ich mich oft erinnere. Eine junge Ägyptern, die ich in Alexandria kennen gelernt hatte, fragte mich vorsichtig, ungläubig und allen Ernstes, ob sich Männer bei uns wirklich zu einer einzelnen Frau an einen Tisch im Café oder Restaurant sitzen dürften…

Ägypten steht erst am Anfang eines riesigen Umbruchs. Das Vertrauen in den Militärrat ist nicht besonders gross. Die Regierung besteht aus Mubarak-Leuten. Führungspositionen sind von Regime treuen Leuten besetzt. Das Militär ist gleichzeitig ein riesiger Industriekonzern und wichtiger Wirtschaftsfaktor. Fragen tauchen auf: wo ist Mubarak wirklich? Wo ist sein Vermögen? Wo ist das Vermögen seiner Familie, all der Minister und Geschäftsleute, die sich dank des Regimes schamlos bereichern konnten? Was ist am letzten Donnerstag und Freitag hinter den Kulissen wirklich geschehen?

Es wird lange dauern, bis das ganze System auseinander genommen, gesäubert und anschliessend in die richtige Position gebracht sein wird… wenn es denn überhaupt möglich ist, diese Herkulesaufgabe durchzuführen. Die Aufräumaktion in Kairo ist sinnvoll und herzig. Ob die Aktivisten und Bürger noch so engagiert sein werden, wenn es Jahre dauert? Ich bin zwar zuversichtlich, denke aber, dass den Ägyptern noch einige Zerreissproben bevorstehen.

In Hurghada hat die HEPCA offiziell die Abfallentsorgung (die echte, nicht jene des Regimes!) vorgenommen. Die alten, knorrigen Männer sind jetzt in knallrote, saubere Overalls gekleidet, gut ausgerüstet und durch ein Heer von jungen Helfern und richtigen Müllwagen verstärkt worden. Es ist für mich ein seltsamer Anblick, wie plötzlich Strasse für Strasse, Quartier für Quartier von all dem frei herumliegenden, stinkenden Abfall und herumfliegenden Plastiksäcken befreit wird. Allein, bis sie jeden Winkel, jeden unbewohnten Hohlraum und vielleicht auch die Wüstenstrassen bearbeitet haben, wird es Monate dauern. Ich tu mir schwer bei dem Gedanken, dass Ägypter plötzlich nichts mehr auf die Strasse werfen sollen. Die Vorstellung daran ist aber sehr reizvoll: ein blitzblankes, sauberes Hurghada?

Ein wirklich demokratisches, korruptionsfreies Ägypten???

Wie immer, wenn ich in der Sheraton Strasse bin und eine halbe Stunde Zeit habe, trinke ich in einem italienischen Restaurant einen Espresso. Das Restaurant ist leer. Die Banken sind heute schon wieder geschlossen – es ist Feiertag. Hurghada ist leer und bleibt es noch für ein paar Wochen. Meine befreundeten Franzosen sind niedergeschlagen, denn viele Buchungen für eine Fahrt auf dem Nil mit ihrer wunderschönen Dahabeya wurden annulliert. So wie ihnen geht es allen im Moment. Per Email werden die Einwohner Hurghadas aufgefordert zum Tauchen zu gehen, auszugehen, sprich: diejenigen zu unterstützen, die noch dageblieben sind.

Air Berlin hat alle Flüge von und nach Hurghada bis Ende März ausgesetzt. Ein Tauchlehrer ist aus Deutschland gestern angekommen; im Flugzeug sassen 15 Personen. Es ist leer in Hurghada, aber wir versuchen uns am Alltag. Die Sonne scheint weiterhin von einem stahlblauen Himmel. Bald wird es wieder wärmer.

Jemen übt Revolution. Algerien und Bahrein auch. Iran demonstriert wieder. Wie Dominosteine werden sie alle früher oder später aufstehen und umfallen.


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