Vergangene Nacht erwachte ich um halb Vier Uhr morgens durch ein Rütteln und Zittern: ein Erdbeben! Für einige lange Sekunden blieb ich reglos liegen – lange genug, um zu überlegen, ob ich aufstehen und hinaus rennen sollte! Doch das Vibrieren hörte wieder auf. In den Minuten danach holte mein Hirn reflexartig alles Wissen hervor: Nordafrika, Erdbeben-Risikogebiet, Assuan-Staudamm, Haus verlassen - nicht auf den Balkon stehen, Erzählungen eines Bekannten, der 1992 als kleiner Bub nahe Alexandria das Erdbeben erlebte, Revolution in Ägypten, Revolten in der ganzen arabischen Welt…
Jetzt auch noch ein Erdbeben zu allem, was schon geschehen ist? Für einen Moment hatte ich erstmals Angst – überlegte, was zu tun wäre, wenn… meine Gedanken eilten fort… die Wassermassen des Nassr-Sees…
Ich schlief wieder ein.
Mein leichter Schlaf lässt mich ungewöhnliche Bewegungen oder Geräusche wahrnehmen; das hat Vor- aber auch Nachteile. Im Internet habe ich heute jedoch nur Angaben über ein Erdbeben im Golf von Aden gefunden. Vielleicht war jenes heute Nacht nicht stark genug, um publiziert zu werden?
Die Berichte über menschliche Gewalt sind dafür allgegenwärtig. In Bahrein, Libyen, Jemen und Algerien wiederholen sich die Ereignisse von Ägypten und die Brutalität der Regime in unterschiedlicher Härte. In Syrien und Kuweit, jetzt auch im Iran, in Marokko und China beginnt das Volk zu demonstrieren. Es ist erschütternd mit anzusehen, wie die Sicherheitskräfte mit dem plötzlich auftretenden Aufstand ihrer Völker umgehen. Noch tragischer fast empfinde ich, wie die Weltengemeinschaft tatenlos dabei zusieht, wie ihre bis anhin hofierten Wirtschafts- und Vertragspartner ihr wahres Gesicht zeigen. Eindrücklich formulierte Appelle von Aussenministern und Präsidenten – das ist alles, was zu hören und zu sehen ist. Inzwischen wird weiter gemetzelt und abgeknallt.
Es ist eine neue Zeitrechnung angebrochen, mit der sich nicht nur die direkt betroffenen Staaten schwer tun. Das bisher gültige Machtgefüge beginnt zu zerbröseln wie trockenes Laub vom letzten Herbst im Frühling nach der Schneeschmelze. Unbrauchbar, vergänglich. Was über Jahrzehnte Gültigkeit hatte, gilt plötzlich nicht mehr und muss hinterfragt werden. Neue geopolitische Strategien können nicht in einem Tag geplant und angewendet werden. Welcher Partner (sprich: Herrscher) ist morgen noch da? Welcher ist es Wert unterstützt zu werden? Wo liegen unsere wirtschaftlichen und politischen Interessen? Ich stelle mir vor, wie in den USA und der EU Diplomaten und Berater heisse Köpfe bekommen. Israel wird zittern. Und das alles nur, weil plötzlich Millionen von Menschen das verlangen, was die anderen schon lange haben: Freiheit, Würde und Menschenrechte.
Je länger ich mich mit dem Thema beschäftige, umso widerlicher erscheint mir Politik. Früher hiess das Feindbild „Kommunismus“, dann „Islamismus“. Was wird jetzt folgen? Möglicherweise lässt sich die Welt künftig nicht mehr so leicht in „Gut“ und „Böse“ aufteilen – es wird kompliziert für die Weltmächte. Und China ist ja auch noch da!
Doch zurück zu meiner kleinen Welt: In Hurghada ist heute Sturm: Sandsturm. Die Stadt ist in Staub gehüllt, die Bergkette im Westen ist unsichtbar. Aber es ist warm, der Winter ist vorbei. Nachdem die meisten europäischen Länder ihre Reisewarnungen – wenigstens für das Rote Meer - aufgehoben haben, landen auch wieder mehr Flugzeuge. Meine Bekannten in der Tourismusbranche sprechen von einer raschen Zunahme der Buchungen und Ankünfte. Seit meinem Wohnungswechsel wohne ich sozusagen unter der Landeanfluglinie der Flugzeuge. Ich machte mir nie gross wegen dem Lärm Gedanken, höchstens wegen der Nacht. Aber ehrlich gesagt: momentan freue ich mich über jedes Flugzeug, das uns seinen Bauch zeigt und über unsere Dächer braust!
Auch die Deutsche Schule hat ihren Betrieb wieder aufgenommen, dank dessen kommen auch meine Teenager wieder zum Nachhilfe-Unterricht. Und endlich sind seit heute die Banken wieder geöffnet.
Ägypten hat einen Hilfskonvoi mit Medikamenten und Blutreserven nach Libyen geschickt. Fleisch- und Gemüsehändler haben in Ägypten aus Solidarität mit den vielen Arbeitlosen ihre Preise gesenkt, obwohl jetzt ja die Lebensmittelpreise mangels Nachschub in die Höhe schnellen müssten. Vor wenigen Monaten hat das Kilo Tomaten 10 ägyptische Pfund gekostet – jetzt kostet es nicht mal mehr 2 Pfund. Doch selbst das ist noch zu viel, wenn man kein Einkommen hat. Nicht nur viele Ägypter leiden unter dem wirtschaftlichen Stillstand; es gibt hier auch Europäer, die ihre Mieten nicht mehr bezahlen können und Ägypter um Hilfe bitten!
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