Freitag, Mai 18, 2012

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen (II)

Worum geht es in den Kampagnen zu den Präsidentschaftswahlen?
Auf den ersten Blick: um Religion.
Auf den zweiten Blick: um Religion.


Offenbar wählt Ägypten nächste Woche seinen neuen religiösen Führer. Diesen Eindruck zumindest habe ich und ich bin nicht die Einzige. Wichtig erscheint nur, ob der Kandidat sehr religiös oder moderat religiös ist. Es gibt zwar säkulare Kandidaten, aber die sind chancenlos.

Daneben geht es um: Vertreter des alten Regimes ja oder nein? Momentan scheint das Nebensache, ist es aber nicht, wie sich bald zeigen wird.

In den Kampagnen geht es um Religion, um den Schleier, um die Scharia, erstens. Zweitens geht es um Israel: Friedensvertrag und Gaslieferungen neu verhandeln.

Dieser Stimmenfang hat zu seltsamen Konstellationen geführt:
Die extremen Salafisten unterstützen den moderaten Abu El Fatuh (ehemaliger Muslimbruder; wahrscheinlich wollen die Salafisten den MB eines auswischen). Gleichzeitig versucht dieser aber auch die Stimmen der Liberalen zu gewinnen. Kopfschütteln.
Der Kandidat der sich stets moderat gebenden Muslimbrüder, Mohamed Morsi, will plötzlich die Scharia einführen.

Darüber, wie die wirklichen Probleme des Landes gelöst werden sollen, ist kaum etwas zu hören. Bildung, Infrastruktur, Arbeitsplätze und Arbeitslosigkeit, Sicherheit, Armut und Frauenrechte sind offenbar unwichtig. Vordergründig geht es um Religion und um das verhasste Israel.

Und kaum einer merkt's.

Mittwoch, Mai 16, 2012

Pilze und Pflanzen und Demokratie

Wenn ich so zurück blicke, was in Ägypten seit dem 25. Januar 2011 geschehen ist, sehe ich in Gedanken immer dasselbe verzerrte Bild:

Pilzchen, wild wachsend, winzig, chaotisch, drunter und drüber, schneller, höher, stärker, andere erdrückend, erstickend. Wie Champignons im Frühling. So schnell sie kommen, so schnell verschwinden sie wieder.

So entwickelt sich Demokratie nicht. Schon gar nicht unter den gegebenen schlechten Vorbedingungen.

Besser wäre: das zarte, verletzliche Pflänzchen in der vergifteten Erde zu hegen und zu pflegen, ihm behutsam Wasser und Nahrung zu geben, es vor zu viel Sonne, aber auch vor Kälte zu schützen und vor allem: ihm viel Liebe und Geduld zu widmen. Viel viel Geduld.

Kurz vor den Präsidentschaftswahlen (I)

Meine Hausaufgabe im Arabischunterricht lautete: schreib über die wichtigste Sache, die dir in der Woche widerfahren ist.

Hab ich gemacht.

Als Gegenstück erzählte mir meine Lehrerin, was für sie momentan die seltsamste Sache ist. Sie wird ständig gefragt: „Madam, wen werden Sie wählen?“

So eine seltsame Frage ist das für mich gar nicht. Ich stelle mir vor, dass es eher die einfachen, ungebildeten Leute sind, welche sich Rat von der Frau Lehrerin erhoffen. Doch halt! Oh nein, erzählt sie mir, nein, auch sehr gebildete Leute, solche aus der Oberschicht stellen diese Frage. Ich muss noch hinzufügen, dass meine Arabischlehrerin politisch aktiv ist und immer schon war.

Sie ist schockiert darüber, wie wenig die Ägypter sich für einen der dreizehn Kandidaten entscheiden können.

Und doch ist es nicht verwunderlich. Dreissig (30!!!!!!) Jahre das gleiche politische System. Dreissig Jahre musste sich niemand Gedanken über Verfassung, über Menschenrechte, über politische Rechte und Pflichten, über Gesetze, über Parlament, über Wahlen und über Politiker machen. Dreissig Jahre lang war alles klar: es gab eine Partei, einen Präsidenten. Die verfügten über alle Macht und wer nicht drin war, der war draussen. Draussen hiess: im Knast, im Ausland, im Untergrund oder zu arm, um an mehr zu denken, als daran, was es morgen zu essen geben würde. Dreissig Jahre, das ist eine gesamte Generation. Über 30% der Bevölkerung sind jüngerals 14 Jahre, d.h. gegen 50% der Bevölkerung kannten nie etwas anderes. Man muss sich das mal in Ruhe vorstellen!

Und wen wird sie wählen? Ich habe nicht gefragt, denn es ist völlig unwichtig. Was nützt ein Präsident ohne Verfassung? Welche Rechte hat er? Ohne Verfassung ist er eine Marionette wie das jetzige Parlament. Darüber sind wir uns einig.

Auch darüber, wer der nächste Präsident wird. Und dann? Dann wird es noch schwärzer in Ägypten, sagt sie. Und ich krieg wieder dieses schlechte Gefühl im Bauch, das mich jedes Mal befällt, wenn ich mit meinen Schülern über die aktuelle Situation diskutiere.

Rätsel

Was ist das: es ist drückend heiss, die Sicht beträgt nur zweihundert Meter und jeder Gegenstand fühlt sich an, als ob er am Strand gelegen sei? Und ich zu mir sage: zum Glück hatte ich heute keine Zeit!

Keine Zeit zum Putzen, meine ich.

Richtig: es ist schon wieder Sandsturm. Morgen fängt also das Spiel von vorne an: waschen, putzen, wischen… grrrr….

Freitag, Mai 11, 2012

Kitchner’s* Island Assuan – Botanischer Garten

Zehn Minuten per Motorboot und da liegt sie endlich vor mir: die „Pflanzeninsel“ - جزيرة النباتات باسوان  - die ich schon im Januar 2011 besuchen wollte.

Natürlich musste ich um den Fahrpreis feilschen. Natürlich hat mich der Bootsmann angelogen. Aber das ging rasch vergessen…

Uralte Bäume ragen in die Höhe, ihre Blätter und Palmwedel rascheln lieblich in der leichten Brise, spenden wohltuend Schatten, schützen vor der sengenden Sonne Afrikas. Dünne und dicke Baumstämme, glatte und knorrige, wie Säulen in den Himmel ragend oder quer treibend – alle sind fein säuberlich mit Lateinischem, Englischem und teilw. Arabischem Namen sowie ihrer Herkunft angeschrieben. Sie kommen aus Mexiko, Brasilien, Argentinien, Malaysia, Indonesien, Madagaskar, Indien, Australien und und und….

Einige protzen mit faszinierenden, knallbunten, üppigen Blüten, andere wiederum zeigen zierliche, feine, duftige Blütchen, deren Wunder dem Betrachter nur aus der Nähe erschlossen wird.

Ich lasse mich durch die sauber gepflegten Alleen treiben, lasse mich durch das Rauschen der Blätter und den Duft der Blüten bezirzen und wegtragen, geniesse das lange vermisste Grün und die farbige Pflanzenwelt. Bänkchen laden ein, auf den Nil und die gegenüber liegenden Ufer zu blicken, den Booten nachzusehen, zu verweilen, zu träumen…

Zuhinterst auf der Insel steht ein Gewächshaus. Ein Gärtner führt mich zu jungen Mimosen und Zitronengras, zu Papyrus und anderen Pflanzen und Kräutern, deren Namen ich nicht verstehe, nicht kenne, aber deren Duft ich tief einatme.

Die Insel ist Ort der Stille, Ort zum Auftanken. Im kleinen Museum beim Eingang sind zahlreiche Pflanzen, ihre Samen und Früchte samt Beschreibungen ausgestellt – Botaniker mögen darüber staunen.

Allzu schnell erfasst mich die Wirklichkeit wieder: das Feilschen mit dem Fährmann für die Überfahrt bringt mich in den ägyptischen Alltag zurück. Trotzdem: es hat gut getan.

Bilder zum Miterleben:





*Lord Horatio Kitchner (1850-1916) erhielt 1890 die Insel als Dank für seine Dienste für Ägypten während der britischen Kolonialzeit. Er war General-Gouverneur und regierte faktisch Ägypten. Als Pflanzenfreund hat er Pflanzen aus exotischen Ländern importiert und die Insel in einen Botanischen Garten verwandelt.

Freitag, Mai 04, 2012

Assuan im Frühling 2012

Ich sass auf einem Betonbänkchen und ass ein Hawauschi (eine Art Pfannkuchen, gefüllt mit gut gewürztem Hackfleisch). Ein Ladenbesitzer schimpfte einen Jungen, der etwas auf den Boden geworfen hatte. Er forderte den Jungen auf, den Abfall aufzuheben. Tatsächlich: alles war sauber. Kein Papier, keine Zigarettenkippen, keine Plastikflaschen.

Das war im Januar 2011 im Souk. Knapp drei Wochen vor dem Ausbruch der berühmten Revolution am 25. Januar 2011.

“Assuan, ia gamila, hassal eh?“ Assuan, du Schöne, was ist aus dir geworden?

16 Monate später sieht Assuan aus, wie jeder Ort in Ägypten. Ihr Attribut als sauberste Stadt Ägyptens hat sie verloren. Im Souk wurden Pflastersteine entfernt und nicht wieder ersetzt, Löcher nicht wieder zugemacht, Abfall liegt achtlos herum. Viele Geschäfte sind zu. Der fingerdicke Staub vom vortägigen Sturm lässt alles noch trostloser aussehen. Vorgestern demonstrierten die Bazaar-Inhaber und –Angestellte: die Reiseführer bringen die Touristen lieber in die grossen Souvenirgeschäfte Richtung Flughafen, weil sie dort mehr Kommission bekommen.

Die riesigen Kreuzfahrtschiffe liegen gespenstisch dunkel am Ufer vor Anker. Kutscher warten vergeblich auf Gäste. Eine Handvoll Feluken fährt über den Nil. Mein Hotel in einem prachtvollen Garten ist praktisch leer – 15 Gäste sind da. Kaum ein Tourist verirrt sich nach Assuan. Tristesse pur.

Dabei lockt die Landschaft noch immer grosszügig mit ihren Reizen, ist ihre Lage ein Juwel. Sehenswürdigkeiten werden nicht herdenweise belagert, sondern können in Ruhe und Stille bestaunt werden. Goldgelbe Hügel, blau schimmernder Nil und grüne Inseln bilden eine uralte Einheit, vermitteln Ruhe und Gelassenheit. Unablässig, zuverlässig, den Verlauf der Ereignisse ignorierend. Schicksalsergeben, wie sein Volk?

Assuan, du Schöne, was ist aus dir geworden? Ägypten, mit deiner tausendjährigen Geschichte, wie tief fällst du noch?






Donnerstag, Mai 03, 2012

Abtauchen – Eintauchen

Hurghada - Luxor
Ich fahre nach Assuan. In die Stadt, in die ich mich verliebte, die als die sauberste in Ägypten galt.
Vier Stunden im Bus bis Luxor. Sandsturm im Gebirge, in der Wüste. Sicht 200 m.
Erleichterung in Luxor.
Nur für einen Moment.
Schon im Buseingang drängen sich Taxifahrer „Taxi Madam?“. Einen Schritt weiter erdrücken mich fast Hitze und Sturm.
Kämpfe mich durch Taxifahrer zum Kofferraum, erbeute mein Gepäck und schiebe mich durch „Taxi Madam?“-Männer zum Bahnhof hin.
150 Meter nur. Wie Fliegen kleben sie an mir, wie von einem Magnet angezogen stürzen sie aus Hauseingängen, hüpfen wie Sprungfedern von Stühlen und Treppen hoch, zwischen Autos und Kutschen hervor. „Taxi Madam?“

In der Bahnhofshalle ist es kühl. „Where do you go?“-Rufe ignorierend gehe ich zielstrebig zur Gepäckaufbewahrung. Der Bahnsteig quillt über von Wartenden, dränge mich auch hier hindurch. Zwei Pfund fünfzig zahle ich, damit mein Koffer in einem siebzigjährigen Holzkästchen ruhen darf. Auf dem Weg zurück zum Ausgang höre ich noch mehrmals, wann der Zug nach Assuan fährt, bzw. fahren soll, verbunden mit der Hoffnung auf ein Bakschisch für diese ach so hilfreiche, ungebetene Auskunft. Auf dem Bahnhofplatz und beim Überqueren der Strasse bin ich erneut der Magnet für Zimmervermieter, Taxi- und Limousinenfahrer, Ausflugsanbieter und Kutscher. Wer nicht will, wird bestraft: „f* you!“ darf ich hören.