Montag, März 20, 2023

Wie im Film

Ich fuhr noch ein klein bisschen verschlafen zur El Salam Klinik, um meine Augen untersuchen zu lassen. Alles gut. Aber die Strassenszenen heute Vormittag waren für mich mal wieder wie im Film.

Der Fruchtverkäufer leert frische Erdbeeren aus einer kleinen Kartonschachtel auf ein weites, rundes Tablett, das mit Alufolie bedeckt ist. Das wiederum steht auf einer hochkant gestellten Plastikkiste. Er dreht das Tablett hin und her, bis es ihm gefällt. Seine Welt besteht momentan nur aus Erdbeeren. Vor dem Tablett kniend beginnt er voller Hingabe, die grössten und schönsten Früchte reihum an den Rand zu legen, sie aneinander zu reihen, bis…

Sonntag, März 19, 2023

Sinai – mein Wunderland

Wieder Sinai. Wieder im Herbst, diesmal Ende November, als es nachts schon empfindlich kühl wurde. Ich lade euch ein, mit mir nochmals in mein Wunderland mitzukommen.

Der Blick von oben

Vom Flugzeug aus erkannte ich zwischen all den Tälern und Gipfeln Saint Catherine mit seinem berühmten Kloster und den Berg Moses (dort oben steht ein Steingebäude, deshalb ist er klar erkenntlich) und den oft gegangenen Pfad dorthinauf. Erinnerungen an Weihnachten 2015 wurden wach, als ich zum ersten Mal in dieses Gebirge kam.

Der Flug über Sharm löste dann eher einen Schock aus: Unter mir erstreckten sich nagelneue, breite, mehrspurige Strassen – wenn ich mich erinnere achtfache - und das Gelände, auf denen die Klimakonferenz COP27 soeben ihre Tore geschlossen hatte. Schrecklich, was da an Strassen für einen einzigen Anlass dazu gekommen waren. Für’s Klima!!! Allein das sollte den Menschen zeigen, wie lächerlich diese ganze „Klima-retten-Hyperaktivität“ ist. Wenn nicht, dann soll doch bitte jeder mal eine Woche durch dieses Land reisen.

Mit Wunderland hat das nichts zu tun. Das kam erst später.

Nuweiba

Nach meiner Arbeit in Sharm und Taba gönnte ich mir ein paar Tage in einem schlichten Camp in Nuweiba, direkt am Strand. Ein kuscheliges, warmes Deckbett hielt mich nachts warm; die Wellen lullten mich in einen tiefen Schlaf ein.

Der Blick von innen

Islam*, ein Beduine im besten Alter, führt mich ins Wadi Wishwashi. Ein lang ersehnter Wunsch geht endlich in Erfüllung: In ein Tal hinein laufen! Am Vorabend heisst es noch: Unmöglich, es werde in der Nacht ein starkes Gewitter mit Regenfällen geben.

Doch von wegen: Es blitzt und donnert zwar imposant, regnet aber nur ein bisschen. Am Morgen ist der Himmel wieder blitzblank geputzt!

Islam steuert seinen Pickup vorsichtig und bedächtig durch ein breites Flussbett, das mir wie die Reste eines Rüfeniedergangs vorkommt. Na ja, in Wirklichkeit ist es ja auch nichts viel anderes. Die Felsen nähern sich uns zunächst zögernd, dann entschlossener: Es wird enger, zu beiden Seiten recken sich rote, glattgeschliffene Granitfelsen und bunte Sandsteinformationen in die Höhe. Ein paar Kurven später geht es nicht mehr weiter, Islam wendet und schaltet den Motor ab. Bedächtig leert er einen handgearbeiteten Rucksack von Werkzeug und stopft Bananen, Wasserflaschen und die obligate Teekanne  sowie zwei Teegläser hinein.

Wir marschieren los. Zu meinem Erstaunen sind Islams Schritte lang und zügig – hätte ich ihm nicht zugetraut. Nicht nur wegen seiner Postur, sondern auch wegen seiner Sandalen. Mir passt’s so.

Es gibt interessantere Wadis, aber die liegen weiter entfernt, bzw. die Polizei lässt unsereiner nicht durch und man muss riesige Umwege auf sich nehmen. So begnüge ich mich mit diesem oft besuchten Tal, das zu dieser Jahreszeit aber menschenleer ist. Besonders bekannt und beliebt ist es auch, weil ein Stück weiter hinten ein Pool zwischen den Felsen liegt, der in der wärmeren Jahreszeit zu einem Sprung hinein einlädt. Ich springe nicht hinein, der kühle Wind zwischen den engen Felsen reicht mir. Wendig wie ein Junge schiebt sich Islam über die glatten Felsen, klettert über Leitern, duckt sich unter Hindernissen hindurch. Ich mache es ihm gleich und ich geniesse die Lauferei und Krabblerei.

Islam spricht kein Englisch. Er kann auch nicht lesen und schreiben. Aber er kennt seinen Boden. Als Kind hütete er Ziegen in der Wüste, pendelte zwischen Schule und Bergen. Er beklagt sich auch darüber, dass es in Nuweiba nur Primarschulen gebe und die Kinder bis nach Sharm fahren müssten, um weiterführende Schulen zu besuchen. Krank sein darf man hier auch nicht, meint er. Er erzählt mir auch, warum es noch immer Terroristenangriffe im Nordsinai gibt, obwohl die Beduinen dem Staat jeweils rechtzeitig Hinweise geben. Falsche Prioritäten, falsche Reaktionen, lasch – halt wie es hier i.d.R. ist, nur dass es auch tödliche Folgen hat.

Er zeigt mir einen Busch mit roten und grünen Früchten. Eine öffnet er, hält mir die Hälfte her. Er pflückt auf dem Rückweg Dutzende und ich stopfe sie in seinen nun halbleeren Rucksack. Es sei etwas Leckeres – aber ich verstehe nicht, worum es sich handelt. Erst zu Hause dann kann ich mithilfe des Internets das Rätsel lösen: Kapern! Also gibt es hier Kapern, in Hurghada gibt es aber nur die sündhaft teuren aus Italien, unmöglich einheimische Kapern aufzutreiben.

Während wir weiter laufen, weist er mich auf Spuren im Sand hin. Ein Ibex oder eine Gazelle – er ist nicht ganz sicher – meint aber, die sei in der Nacht hier durch gekommen. Zu meinem Leidwesen habe ich davon keine Aufnahme gemacht.

Ein andermal verschwindet er unter einer Akazie und macht sich in den Ästen zu schaffen. Später zeigt er mir seine Ernte: ein tiefrotes, wunderschönes Stück Harz.

Mit ein paar trockenen Ästen der Akazie entzündet er im Nu ein Feuer, mit dem Tee gekocht wird. Er schmeckt köstlich, wie immer und nur da. Sonst trinke ich nie diesen stark gesüssten Tee – nur in der Wüste und da gibt es nichts Besseres zu trinken.

Der Blick aus der Nähe

Nach einer weiteren kalten, aber kuscheligen Nacht mit elf Stunden Schlaf marschiere ich am nächsten Tag alleine los. Unweit des Camps ist ein weiteres Wadi, von dem ich gehört habe, wo wunderbare Felsen und Steine in allerlei Farben zu finden seien.

Ein halbstündiger Fussmarsch südwärts entlang der Hauptstrasse bringt mich zum nächsten Flussbett. Ich folge der Fahrpiste taleinwärts und sehe zu meiner Enttäuschung Bauarbeiten. Ein Camp? Eine Bühne für ein Konzert? Toilettenhäuschen und Wasserschläuche. Holzkonstruktionen. Ich treffe auf ein paar junge, hippe Leute, die Englisch reden. Die fragen mich ein bisschen aus und ich sie auch ein bisschen. Ich solle aber nur soweit laufen, wo ich ohne Klettern hinkommen könne. Eine Frau sei vor x Jahren weiter gegangen und nicht mehr zurückgekommen. Die Art und Weise wie der Eine mit mir redet, macht mich stutzig, aber ich bedanke mich höflich. Habe genug Bergerfahrung um zu wissen, wo die Grenzen zwischen Vergnügen, Risiko und Dummheit verlaufen. Aber das sieht man mir ja nicht an.

Nur ein paar hundert Meter weiter vergesse ich das alles. Ich stehe da und staune stumm. Um mich herum strecken sich bizarre Felswände gegen den Himmel. Ich bin fasziniert von dem Farbenschauspiel, das sich mir hier offenbart. Ich weiss nicht, ob ich weiter laufen soll, stehen bleiben und staunen oder fotografieren soll. Ich mache alles. Intensiv. Ich fühle mich überwältigt von dem, was mir die Natur hier zeigt.

Mit jedem Schritt, mit jedem Drehen des Kopfes entdecke ich neue Formen aus Sandstein und Granit. Querliegende Felsschichten in harmonischen Farben liegen übereinander. Zart gezeichnete lila Linien schwingen sich parallel mit Grau- und Weisstönen wie auf einem abstrakten Gemälde über Fels. Ja, es sind Felsen, aber für mich sind es Gemälde! Lavaschichten in der Grösse von Ziegelsteinen gleiten senkrecht herab und geben darunter weitere Sandsteinschichten in Ocker, Beige und Hellgrau frei. Oder Gelb. Oder Blau.

Dazwischen drängen neugierig Pflänzchen zwischen Felsspalten hervor. Da, wo sich das Regenwasser länger sammeln kann, wachsen auch Büsche; der Kapernbusch begegnet mir wieder, diesmal mit violetten und weissen Blüten.

Was für ein Meister, was für ein Künstler die Natur doch ist! Wie benommen gehe ich weiter, entdecke, bleibe stehen, fotografiere, streiche mit der flachen Hand über die Felsen, setze mich hin, um besser zu sehen  und in die Stille zu lauschen.

Viel zu früh erreiche ich die ausgewaschene Felswanne, die mir hochkant den Weg versperrt. Rauf käme ich. Aber da ist leider kein Seil und somit käme ich mit meinem lädierten Knie nicht mehr retour. Also ist hier für mich Endstation.

Meine Gedanken verbleiben für einen Moment bei der Frau, die da weiter gegangen war. Sie muss verzweifelt gewesen sein. Irgendwann muss sie realisiert haben, dass sie hier gefangen war. Dass sie hier niemand finden kann. Vielleicht war sie verletzt. Hatte sich verlaufen. Sicher hatte sie Durst…

Ich dachte auch an meine Bergerlebnisse in den Alpen. Wenn mein Knie noch ganz wäre, wäre ich ganz bestimmt nicht hier.

Mit einer Handbewegung verscheuche ich die finsteren Gedanken und wende mich dem Rückweg zu. Zu meiner riesigen Freude bietet er mir nochmals neue Ansichten. Die tief stehende Herbstsonne legt über die Felsen einen Farbfilter, der alles noch viel intensiver erscheinen lässt.

Viel zu schnell erreiche ich wieder den Talausgang. Viel zu schnell, weil ich mich nicht satt sehen kann, obwohl ich schon mehre Stunden unterwegs bin!

Selbst jetzt noch, wenn ich die Fotos ansehe, staune ich über den Künstler, der dies geschaffen hat. Meine Freundin meinte, ich solle doch einige rahmen lassen und aufhängen. Mache ich!

*Name geändert

Hier sind einige meiner Fotoaufnahmen:

  

Frühstücksraum, Yogaraum, Leseraum,
Meditiationsraum u.v.a.m.

Typisches Frühstück mit Omelette,
Frischkäse, Salat, Foul und Fladenbrot

Wadi Wishwashi - ab hier geht's zu Fuss

es wird ein bisschen enger

doch, es geht noch weiter


noch ein bisschen krabbeln

der Pool


Blick talauswärts

Granit - perfekt zum Klettern

Kapernbusch mit Frucht


Kapern

Kapernbusch mit Blüte

Harz der Akazie

im Tal der Farben




























und am Ende wieder der Blick über den
Golf von Akaba zu den Bergen Saudi Arabiens