Samstag, April 08, 2023

Zivilcourage oder Fehler?

Gestern sass ich frühabends vor meinem Laptop, betrachtete Bilder meiner letzten Ausflüge nach Oberägypten und wollte eigentlich darüber schreiben. Es kam aber anders und das wirkt noch immer nach. Jetzt schreibe ich über das, was da gestern passiert ist, um es loszuwerden.

Vom oberen Stockwerk klangen seltsame Laute und dumpfe Geräusche herunter, dazwischen schrie jemand.

Schon vor zwei Wochen hörte ich etwas, ging hinauf, konnte aber nicht zuordnen, woher der Lärm gekommen war.

Und gestern Nachmittag ging es wieder los, diesmal länger. Entschlossen ging ich hinauf und klingelte. Ein Mann riss die Türe weit auf und ich fragte die Frau im Hintergrund: „Are you okay?“.

So habe ich das gelernt. Man soll das Opfer ansprechen, nicht den Angreifer. Damit nimmt man dem Angreifer den Wind aus den Segeln. Die Frau erwiderte wenig überzeugend: „Yes, but my husband…“. Ich blickte den Mann an und wiederholte meine Frage. Er meinte, ja, es sei alles ok. Nochmals wiederholte ich meine Frage der Frau zugewandt und sie bejahte.

Na gut, dann hört mit dem Lärm auf. Ich ging wieder in meine Wohnung runter und es blieb ruhig.

Bis am Abend. Mir gefror das Blut in den Adern und ich stürmte entschlossen hinauf. Gleichzeitig kam meine Nachbarin herauf, sie hatte die Schreie auch gehört. Ich klingelte. Der Mann öffnete und bat uns einzutreten. Nein, danke. Ich sprach die Frau an. Sie schluchzte und zitterte und taumelte die wenigen Schritte in den Gang zu uns heraus. Dort brach sie zusammen.

Sonntag, April 02, 2023

Begegnung am Markt

Unschlüssig trete ich vor die Markthalle. Gerne hätte ich mehr Obst und Gemüse gekauft, aber das Angebot hat mich nicht überzeugt.

Ein junger Mann lächelt mich an. Ich will ihn gar nicht wahrnehmen, aber er ist hartnäckig, drängt sich in mein Blickfeld. Über einem ausgesprochen hübschen Gesicht liegen wirr dichte, lockige Haare. Wieder lächelt er und zeigt tadellose Zähne. Mit den Armen fuchtelt er herum, sein schlanker Körper im blauen Overall tanzt mit und deutet eine Verbeugung an.

Mir dämmert, er macht mir ein Kompliment. Entschlossen gesellt er sich neben mich, weist mit dem Arm in die nächste Halle und sieht mich fragend an. Nein, da war ich schon. Er gibt nicht auf: und die? Interessiert mich auch nicht mehr. Meine Schritte führen mich ans Tor, wo mein Auto geparkt steht.

Seine Arme umschliessen ein unsichtbares Paradies, zeigen mir, dass es seines ist: Hier putzt er Autos. Ob er meines reinigen soll? Nein, danke. Schon gar nicht mit dem Lumpen da.

Inzwischen verstehe ich, dass er taub oder taubstumm ist. Er gibt zwar Laute von sich, aber unverständliche.

Sein warmer Blick lässt nicht los. Glückselig schreibt er in Englisch die Buchstaben D – E – A – F (taub) auf die verstaubte Fensterscheibe der Fahrertür. Ja, das habe ich verstanden und jetzt bitte, lass mich alleine. Mit weiteren Gesten fragt er zielstrebig, ob ich ihn heirate, und wendet mir nochmals sein hübsches Antlitz zu.

Kopfschüttelnd steige ich ins Auto. Erst da wendet er sich um und marschiert selbstzufrieden wieder Richtung Markt, winkt noch und überlässt mir einen letzten Blick auf seinen blauen Overall.