Dienstag, Juni 30, 2015

Auge um Auge…

Gestern wurde der General-Staatsanwalt auf dem Weg zur Arbeit durch die Explosion einer gewaltigen Autobombe getötet. Mit ihm wurden weitere Menschen in den Tod gerissen, auch Zivilisten.

Der General-Staatsanwalt hatte schon länger Morddrohungen erhalten. Er wusste, dass sein Leben in Gefahr war. Warum nur hat er nicht seinen Arbeitsweg regelmässig geändert? Warum ist er nicht in einem gepanzerten Fahrzeug unterwegs gewesen? Nachlässigkeit? Dummheit?

Die Muslimbrüder haben schon seit einiger Zeit die Justiz im Visier. Sie rächen sich, sie werden keine Ruhe geben, bis der Staatsstreich vom 30. Juni 2013 rückgängig gemacht wird – das ist ihre Forderung. Geht das? Sie wenden gegen die Einrichtungen und Personen der Justiz, Armee und Sicherheit tödliche Gewalt an.

Das Regime reagiert mit Gewalt: in Ägyptens Gefängnissen schmoren über 40‘000 Gefangene. Ihr Verbrechen: sie unterstützen (wirklich oder angeblich) die Muslimbrüder, sie haben das Regime kritisiert, sie halten Unrecht und Tatsachen auf ihren Fotokameras und schriftlich fest. Vielleicht haben sie sich nur als Atheist oder Homosexuell geoutet, haben wegen nicht ausbezahlten Löhnen gestreikt. Viele wissen nicht mal, weshalb sie im Gefängnis sitzen und die Mehrheit wartet monatelang auf Anklage.

Der Justizapparat hat Tausende von Menschen zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, über Tausend erhielten die Todesstrafe und wurden hingerichtet – unter fadenscheinigen Gründen, ohne Beweise, ohne die Möglichkeit, sich zu wehren. Das schürt Hass und Wut.

Auge um Auge, Zahn um Zahn, wie in der Steinzeit. Theoretisch müsste das aufhören, wenn sich alle gegenseitig in die Luft gesprengt haben – denn Vernunft gibt’s hier keine mehr.



Mittwoch, Juni 24, 2015

Augenblicke

Etwas zupft mich am Arm, zieht energisch an mir. Ich dreh mich um: ach, die kleine, alte Bettlerin, die tagaus- tagein am Markt ist und beharrlich um Almosen bittet. Beim Umdrehen ist mein Blick an einem hageren, lang gewachsenen Mann hängen geblieben. Er ist in einen dieser HEPCA-Overalls gekleidet, welche die Strassenfeger tragen.

Tomaten brauch ich noch. Dann geh ich hinüber zum Obst, kauf noch Aprikosen. Dazwischen bleib ich wieder stehen, weil mir der Mann nicht mehr aus dem Kopf geht. Zuerst denke ich, er bettle auch, er sieht so elend und armselig aus. Er wischt sich den Schweiss mit einem Zipfel seines Kragens von der Stirn. Er steht da und wartet und wartet und wartet, bis sich niemand mehr vor ihn drängt und auch niemand mehr kommt. Ist es Respekt oder Unterwürfigkeit oder Scham? Dann verlangt er Gemüse.

Irgendetwas stimmt mit seinen Augen nicht, er schielt oder ist einseitig blind. Unendlich dürr ist er. Die Rückseite seines Overalls ist nass.

Ich geh weiter, will hinaus aus dem Souq. Nochmals dreh ich mich um: der Mann trägt diese grässlichen weissen Gummistiefel, die zur HEPCA-Uniform gehören. Gummistiefel bei 40 Grad Celsius! Er bückt sich schwer und mühsam, nimmt seine Plastiktüten mit seinen Einkäufen in die Arme. Aus einer Stofftasche rinnt eine Flüssigkeit über seinen Rücken – drum ist der Overall nass. Seine Bewegungen sind langsam, wie die eines Erschöpften.

*****

Die Ampel vor dem riesigen Kreisel steht auf Rot. Dreispurig stehen die Fahrzeuge ungeduldig dahinter. Von rechts fährt ein dickes Motorrad heran. Der Fahrer: ein Polizist in makellos weisser Uniform, Glatze, ohne Helm, das Mobiltelefon zwischen Ohr und Schulter geklemmt. So schlängelt er sich durch die wartenden Fahrzeuge hindurch, ganz links an der Ampel vorbei. Er fährt quer über die Kreuzung, links um den Kreisel herum. 

In Ägypten gilt Rechtsverkehr – aber nicht für alle.



Dienstag, Juni 23, 2015

Unterschriftensammlung für mehr Sicherheit auf Hurghadas Strassen

Eine Mitbewohnerin hat die Initiative ergriffen, um den Gouverneur mit einer Unterschriftensammlung für mehr Sicherheit auf Hurghadas Strassen zu bewegen. Bitte unterzeichnet die Petition. Danke.

Hier der Link.


Freitag, Juni 19, 2015

Hinter dem Lenkrad

Autofahren in einem Land, das eine der höchsten Raten an tödlichen Verkehrsunfällen hat, ist eine riesige Herausforderung. Während fünf Jahren habe ich zugeschaut: als Fahrgast im Taxi, im Minibus, als Fussgängerin und als Rennrad-Fahrerin. Haarsträubend geht es auf den hiesigen Strassen zu und her, gelinde gesagt. Schliesslich habe ich mich selbst hinters Lenkrad gesetzt.

Verwahrloste Infrastruktur
In den letzten drei oder vier Jahren ist Hurghada im wahrsten Sinne des Wortes „heruntergekommen“: nicht nur Gebäude und Plätze sind verwahrlost und verfallen, sondern auch die Strassen sind eine einzige Katastrophe. Seit mehr als zwei Jahren werden da und dort im Schneckentempo und mit langen Unterbrechungen Wasser- und Gasleitungen verlegt: die Haushalte sollen Nilwasser aus der Fern-Pipeline und Gasanschluss erhalten. Folglich wurden und werden überall Strassen aufgerissen und wenn überhaupt, dann nur notdürftig wieder repariert. Hauptstrassen sind i.d.R. geteert, aber trotzdem uneben. Werden nicht bewusst Schwellen aufgebaut, um die Fahrer zum Abbremsen zu zwingen, dann sind es Löcher, die nicht abgedeckt werden, hochragende Gulli-Deckel, Schutt oder Bodenwellen, weil der Untergrund nachgibt. Nebenstrassen sind vielerorts ungeteert oder der Asphalt zu zwei Dritteln zerstört. Hurghada steht auf versteinerten Korallenbänken und Sand, d.h. Naturstrassen und zugeschüttete Gräben gleichen einer Mondlandschaft. Es gibt in Hurghada keine einzige unbeschädigte, gefahrlos zu fahrende Strasse. So kommt es immer wieder zu schweren Unfällen und zu Autos, die kopfüber in Löcher oder Gräben fallen.