Mittwoch, Juni 26, 2013

Rote Karte für Morsi

Geplant war ein Wiedersehen bei meiner Arabisch-Lehrerin. Seit sechs Monaten haben wir uns nicht mehr gesehen. Doch um 22 Uhr fand ich mich zusammen mit ihrer Familie in einer Autokolonne, die durch Hurghada fuhr, Morsi die Rote Karte zeigte und Pfiff. So viele waren es noch nie, haben sie und ihr Mann einstimmig gemeint.

Neu war für sie auch, dass die Morsi-Unterstützer am Strassenrand das Wort FÜR Morsi ergriffen. 




Dienstag, Juni 25, 2013

30. Juni 2013: es braut sich etwas zusammen

تمرد „Rebel“ nennt sich die Kampagne, die seit mehreren Monaten Unterschriften für vorgezogene Präsidentenwahlen sammelt. Die Kampagne wird quer durch die ägyptische Bevölkerung, über alle möglichen Parteien und Gruppierungen hinweg und jetzt sogar durch die Polizei unterstützt. Das Ziel,  15 Millionen Unterschriften zu sammeln, ist vor einigen Wochen erreicht worden. Man sammelt weiter, im Moment sind es 20 Millionen geprüfte, nicht gefälschte Unterschriften, und von Lebenden, nicht von Toten (wie bei den Wahlen).

Seit einigen Tagen wird punktuell und gezielt im Namen dieser Kampagne demonstriert und der 30. Juni soll der vorläufige Höhepunkt werden. Die Initianten sind dabei, politische Massnahmen für allfällige Szenarien auszuarbeiten.

Die Stimmung ist extrem gespannt, viele Menschen haben Angst. Angst vor Gewalt, vor blutigen Zusammenstössen und noch mehr Toten. Angst auch davor, dass das Land weiter entzweit, tiefer in den Abgrund stürzt und noch weiter im Chaos versinkt. Die Muslimbrüder haben angeblich Dutzende von Wohnungen an strategischen Orten in Kairo gemietet, um Scharfschützen aufzustellen. Hatten wir schon. Die Milizen der MB schwören auf ein Blutbad und Massaker, wenn „ihr“ Präsident zurücktreten müsse. Hatten wir auch schon. Die Touristen kommen seit Monaten nur noch ans Rote Meer, im Niltal ist der Tourismus praktisch nicht mehr existent. Also auch da nichts Neues.

Montag, Juni 24, 2013

Zum Blauen Mond: ein Platz für Notleidende (Teil II)

Klinik
Die Klinik ist eigentlich eine Galerie. Monique malt und ihr Mann ist Steinmetz. Nun ist der OP-Raum in der Galerie und das Atelier dient als Büro und Arbeitsraum. Überall sind liebevolle Arbeiten der beiden Künstler aufgestellt, aufgehängt und man tritt im wahrsten Sinne des Wortes auf sie: sogar die Bodenkacheln sind mit Weisheiten in verschiedenen Sprachen beschriftet und bemalt. 



Für Kunst bleibt kaum mehr Zeit, stattdessen werden hier verletzte Tiere operiert und – was sich in ganz Hurghada herum gesprochen hat – Strassentiere werden gratis kastriert. Monique ist seit Jahren treibende Kraft dafür, dass wilde Hunde und Katzen nicht mehr mit ausgelegtem Gift getötet, sondern kostenlos kastriert werden können. HEPCA und weitere Tierschützer standen ihr zur Seite.

Von Wohnung und Atelier zum Tierheim
Und wie fing das alles an?
„Vor unserer Haustüre miaute eine verletzte Katze.“ Ihr Mann holte sie herein, sie pflegten sie und irgendwann verschwand sie wieder. „Dabei hatten wir vorher mit Tieren überhaupt nichts am Hut!“ Kurz danach tauchte ihr Mann mit zwei Wellensittichen in einem Körbchen auf. Also bauten sie eine Voliere auf der Veranda des Ateliers. Und weil die Vögel gemäss Informationen aus dem Internet – da holte sie sich ihr erstes Wissen - nicht gerne alleine leben, kauften sie noch drei weitere Vögel hinzu. Beim Futterkauf in Kairo erstanden sie eine Katze, denn die andere war ja davon gelaufen. 

Der „Strassenmatador“ hat gleich dafür gesorgt, dass es Nachwuchs gab und bald standen Monique und ihr Mann inmitten einer Schar kleiner Kätzchen. Kastrieren müsse man sie; deshalb gingen sie zu einem Tierarzt. Der hat alle miteinander zu Tode kastriert. Als Ersatz wollten sie deshalb einen Hund haben. Der brachte gleich zwei weitere Kollegen mit und folglich mussten auch die kastriert werden. Der Gang zum Tierarzt brachte wieder das gleiche Resultat wie bei den Katzen.

Zum Blauen Mond: ein Platz für Notleidende (Teil I)

Ein Tierheim mitten in der Wüste, mit viel Herzblut aufgebaut


Hurghada bietet mehr als nur Sonne, Meer und billigen Alkohol und den damit verbundenen Sextourismus. Dank persönlichem Engagement entstehen da und dort Organisationen und Angebote, die entgegen dem üblichen Trend nicht kurzfristigen Gewinn erzielen, sondern eine langanhaltende Verbesserung eines unhaltbaren Zustandes erreichen möchten.  Das „Bluemoon“ ist eines davon und darüber berichte ich in diesem Blog.

„Bluemoon“ ist nicht der Name einer lauschigen Landbeiz, sondern der Name für ein Tierheim mitten in der Wüste. Monique erwartet mich in ihrem knallroten VW-Käfer an der Mittleren Ringstrasse. Über eine Sandpiste holpern wir weitere 500 m in die Wüste hinein. Wir steigen aus und stehen praktisch im Herzen des Tierheims. Ein weisser Welpe begrüsst uns schwanzwedelnd, Katzen beschnuppern mich neugierig und streichen mir um die Beine, während ich mich umsehe. Ein riesiger Tisch, um den ein gutes Dutzend Stühle gruppiert sind, dahinter zwei Sofas, die mit Webteppichen bedeckt sind, ein Küchentisch mit Sitzbank, eine Wasserpfeife. Weiter rechts ein riesiger Steintisch auf gemauerten Sockeln. Hunde und Katzen überall. Wände und Säulen sind aus Bauschutt und gebrochenen Steinen aus der Wüste gemauert, Schatten spenden Palmwedel und Stroh. Der Boden: Sand. Natürlich! Alles aus Natur gebaut. In die Säulen sind Nischen eingearbeitet, um Kunstwerken aus Stein Platz zu geben. Ich fühle mich sofort wohl. Der halboffene Bau lässt den Blick zu den nahen Gehegen frei.

Gehege – jedem Tier sein Reich
„Machen wir doch zuerst einen Rundgang“, schlägt Monique vor und zeigt mir die Zöglinge ihrer Mini-Gärtnerei. Hier werden Sukkulenten gezüchtet, die sie an den Märkten weiterverkauft. „Was sind Sukkulenten?“ frage ich. „Pflanzen, die Wasser in ihren Blättern speichern“ lautet die Antwort, die mir genauso logisch erscheint, wie ich mich unwissend fühle. Gleich daneben zwitschert es in einer Voliere. Ich blicke durch die engen Maschen und entdecke hellblaue und weisse Kanarienvögel, die auf Bambusstäbchen hocken und schaukeln. Für einen Moment werden Kindheitserinnerungen wach… mein Opa… gelbe Kanarienvögel… 



Doch Moniques Stimme holt mich sofort in die Gegenwart zurück. Sie marschiert in die Sonne hinaus, die um neun Uhr morgens schon unerbittlich heiss vom Himmel brennt. 
Einen Esel liebkosend erzählt sie mir, dass sogar die Regierung misshandelte Esel bringe, die sie von Dieben konfisziert hat. Ausgerechnet die Regierung! 

Ironischerweise wurden sie und ihr Mann Salah von derselben Regierung wegen Wasserdiebstahls angezeigt und zu einem Jahr Gefängnishaft verurteilt. Während wir zu den Katzengehegen schlendern, erfahre ich, dass ihr jedoch die Vorgängerregierung die Bewilligung zum Wasserbezug ab Pipeline erteilt und das Land gegen einen Kauf-/Mietvertrag überlassen hat. Da das Gezerre über das Wasser schon seit einem Jahr andauert und ihr die finanziellen Mittel zum Wasserkauf ab Tankwagen fehlen, vertrocknen die Pflanzen und Büsche. Folglich ist sie gezwungen, auch Grünfutter zu kaufen, das sie sonst selbst ernten könnte. Ein Teufelskreis, aus dem sich nicht so schnell herauskommen lässt. In Naher Zukunft wollen sie selber Grundwasser entsalzen. Eine gebrauchte Entsalzungsanlage steht bereit und wird gekauft, sobald genügend Geld beisammen ist.




Montag, Juni 03, 2013

Überdosis

Sogar die Flugzeuge fliegen in die falsche Richtung. Sie starten südwärts, statt nordwärts wie üblich. Alle paar Minuten beobachte ich, wie eines knapp über die Häuser in die dunkle Nacht hinauf zielt. Südwärts starten sie nur bei absoluter Windstille.

Ich sitze seit Einbruch der Dunkelheit auf dem Balkon. Geduldig, schicksalsergeben und hoffend. Nur einmal entweicht mir ein „ohh!“ – dann nämlich, als der Gebäudekomplex schräg gegenüber erleuchtet wird. Kurz darauf versinkt es wieder im Dunkeln. Ganz Hurghada sitzt im Dunkeln.