Montag, Juni 24, 2013

Zum Blauen Mond: ein Platz für Notleidende (Teil I)

Ein Tierheim mitten in der Wüste, mit viel Herzblut aufgebaut


Hurghada bietet mehr als nur Sonne, Meer und billigen Alkohol und den damit verbundenen Sextourismus. Dank persönlichem Engagement entstehen da und dort Organisationen und Angebote, die entgegen dem üblichen Trend nicht kurzfristigen Gewinn erzielen, sondern eine langanhaltende Verbesserung eines unhaltbaren Zustandes erreichen möchten.  Das „Bluemoon“ ist eines davon und darüber berichte ich in diesem Blog.

„Bluemoon“ ist nicht der Name einer lauschigen Landbeiz, sondern der Name für ein Tierheim mitten in der Wüste. Monique erwartet mich in ihrem knallroten VW-Käfer an der Mittleren Ringstrasse. Über eine Sandpiste holpern wir weitere 500 m in die Wüste hinein. Wir steigen aus und stehen praktisch im Herzen des Tierheims. Ein weisser Welpe begrüsst uns schwanzwedelnd, Katzen beschnuppern mich neugierig und streichen mir um die Beine, während ich mich umsehe. Ein riesiger Tisch, um den ein gutes Dutzend Stühle gruppiert sind, dahinter zwei Sofas, die mit Webteppichen bedeckt sind, ein Küchentisch mit Sitzbank, eine Wasserpfeife. Weiter rechts ein riesiger Steintisch auf gemauerten Sockeln. Hunde und Katzen überall. Wände und Säulen sind aus Bauschutt und gebrochenen Steinen aus der Wüste gemauert, Schatten spenden Palmwedel und Stroh. Der Boden: Sand. Natürlich! Alles aus Natur gebaut. In die Säulen sind Nischen eingearbeitet, um Kunstwerken aus Stein Platz zu geben. Ich fühle mich sofort wohl. Der halboffene Bau lässt den Blick zu den nahen Gehegen frei.

Gehege – jedem Tier sein Reich
„Machen wir doch zuerst einen Rundgang“, schlägt Monique vor und zeigt mir die Zöglinge ihrer Mini-Gärtnerei. Hier werden Sukkulenten gezüchtet, die sie an den Märkten weiterverkauft. „Was sind Sukkulenten?“ frage ich. „Pflanzen, die Wasser in ihren Blättern speichern“ lautet die Antwort, die mir genauso logisch erscheint, wie ich mich unwissend fühle. Gleich daneben zwitschert es in einer Voliere. Ich blicke durch die engen Maschen und entdecke hellblaue und weisse Kanarienvögel, die auf Bambusstäbchen hocken und schaukeln. Für einen Moment werden Kindheitserinnerungen wach… mein Opa… gelbe Kanarienvögel… 



Doch Moniques Stimme holt mich sofort in die Gegenwart zurück. Sie marschiert in die Sonne hinaus, die um neun Uhr morgens schon unerbittlich heiss vom Himmel brennt. 
Einen Esel liebkosend erzählt sie mir, dass sogar die Regierung misshandelte Esel bringe, die sie von Dieben konfisziert hat. Ausgerechnet die Regierung! 

Ironischerweise wurden sie und ihr Mann Salah von derselben Regierung wegen Wasserdiebstahls angezeigt und zu einem Jahr Gefängnishaft verurteilt. Während wir zu den Katzengehegen schlendern, erfahre ich, dass ihr jedoch die Vorgängerregierung die Bewilligung zum Wasserbezug ab Pipeline erteilt und das Land gegen einen Kauf-/Mietvertrag überlassen hat. Da das Gezerre über das Wasser schon seit einem Jahr andauert und ihr die finanziellen Mittel zum Wasserkauf ab Tankwagen fehlen, vertrocknen die Pflanzen und Büsche. Folglich ist sie gezwungen, auch Grünfutter zu kaufen, das sie sonst selbst ernten könnte. Ein Teufelskreis, aus dem sich nicht so schnell herauskommen lässt. In Naher Zukunft wollen sie selber Grundwasser entsalzen. Eine gebrauchte Entsalzungsanlage steht bereit und wird gekauft, sobald genügend Geld beisammen ist.




Faul liegen die Katzen im Schatten, gucken verschlafen aus ihren Verstecken hervor. 68 Katzen warten momentan auf einen Platz bei einem Tierfreund. Es sind Strassenkatzen, die verletzt waren und hier aufgepäppelt werden. Es hat auch solche, die auf ihre Ausreise ins Ausland warten. Alle sind kastriert, andere werden nicht aufgenommen. An jedem Gehege ist eine Kachel angebracht, auf der von Hand die Nummer in Arabisch und Lateinisch steht. Auf kleinen Kärtchen sind Namen und weitere Angaben der Tiere festgehalten.




Monique führt mich in einen halboffenen Raum. „Das ist unsere Küche; hier kochen wir das Futter für unsere Tiere.“ Von einigen Restaurants erhalten sie Küchenabfälle oder übrige Speisen, doch das reicht bei weitem nicht aus, um alle hungrigen Mäuler zu stopfen.

Weshalb der Name „Bluemoon“?
Monique: „Unsere Lieblingsfarbe ist blau. Zudem wird der Mond in der arabischen Welt mehr geschätzt als die Sonne. Blue beinhaltet auch glücklich sein, sich mal gehen lassen! Wir hatten die Bluemoon Ballon Safari und jetzt die Bluemoon Galerie und das Bluemoon Animalcenter.“

Bei den Hundegehegen treffen wir zwei Helfer. Sie sind Festangestellt und beziehen Lohn. Sie räumen die Gehege auf, füttern und kümmern sich um die Tiere. Die Praktikantin aus Deutschland hingegen, die Tiermedizin studiert, erhält lediglich Unterkunft. Während zwei Monaten kümmert sie sich um die Wunden der misshandelten und verletzten Tiere. Auf Schritt und Tritt ertönt Hundegebell, aber alle sind sicher hinter Schloss und Riegel, was mich sehr beruhigt. Nähert sich Monique einem Gitter, laufen die Hunde sofort zu ihr hin und wollen liebkost werden. 45 Hunde werden momentan beherbergt. Einige sind auch Pensionäre, weil ihre Herrchen und Frauchen im Ausland weilen oder die Reisepapiere noch nicht fertig sind. Unverständnis steht ihr ins Gesicht geschrieben, während Monique von ihren vielen Erfahrungen berichtet. Da schaffen sich Leute einen Hund an und plötzlich ziehen sie wieder Weg und wollen den Hund einfach wieder abgeben. „Was denken die sich denn? Kann man einen Hund einfach wieder abstellen wie ein Stück Möbel, das man nicht mehr benötigt?“




Auf unserem Rundgang unter der sengenden Sonne begleitet uns der kleine Welpe wie ein Hirtenhund. Während ich fotografiere und notiere und überwältigt den Schilderungen über ihre Schützlinge zuhöre, liebkost Monique eine klapperdürre, von tiefen Narben gekennzeichnete Stute. Nach einem harten Arbeitsleben darf sie hier ihren Lebensabend verbringen und etwas Liebe erfahren; denn: helfen kann man ihr nicht mehr, ihre Tage sind gezählt. Ihr Fohlen weiss noch nichts von diesem Leben und ich wünsche ihm, dass es auch niemals etwas davon erfährt.



In einem anderen Gehege befinden sich Truthähne „die wollte mein Mann, ich kann nicht alles für mich alleine haben“. Schräg gegenüber wohnen ein Paar Dromedare und gleich daneben sind nochmals Pferde. Weit hinten sind Geissen und Ziegen, für die kunstvolle Bauten zum Klettern errichtet worden sind, und Schafe.





Bauarbeiter schieben Schubkarren mit Steinbrocken über den Sand. Die Gehege sind noch lange nicht fertig, erst ein kleiner Teil von den gezeichneten Plänen ist realisiert. Und ständig gibt es Hindernisse. „In diesem Land hat man immer Probleme mit irgendetwas“ und noch bevor Monique weiter ausholen kann, kommt ein kleiner Junge mit struppigen schwarzen Haaren ganz aufgeregt herbei geeilt.

Ein Notfall
Er ruft, dass ein Hund gebissen und verletzt worden ist. Ich verstehe immerhin so viel, als dass es um einen kleinen Hund gehe, der von einem Grossen gejagt, bös an der Seite verbissen worden sei und stark blute.

Die rundliche Frau beschleunigt ihren Schritt, während sie zu Yasser meint, dass ihr Mann wohl endlich eine Türe in die Mauer bauen sollte. Die Veterinärin soll sich bereit machen, um mit dem Hund in die Klinik zu fahren. Yasser rennt davon. Der kleine Hund hält sich eben für stark und legt sich gerne mit den Grossen an – jetzt ist das schief gegangen. Soll ich mit in die Klinik fahren? Ich beschliesse da zu bleiben, denn der Platz im VW ist knapp und die Aufregung gross.

Während Monique davon braust, trudeln die ersten Freiwilligen ein. Mittwoch ist Helfertag. Wer will, kann und möchte, darf ab 10 Uhr seine Kraft und Fähigkeit für ein paar Stunden zur Verfügung stellen. Frauen sind es, die sich begrüssen und um den riesigen Tisch setzen, acht an der Zahl. Natürlich wieder Frauen, wenn es um Freiwilligenarbeit geht, denke ich und frage mich, wo die andere Hälfte der Menschheit steckt. Yasser serviert heissen Schwarztee und nach dem Austausch von Neuigkeiten und streicheln der Lieblingstiere verziehen sich einige Frauen zu den PET-Flaschen. Sie werden die nächsten Stunden damit beschäftigt sein, Sand in die Flaschen abzufüllen. Ziel ist, mit den Flaschen eine Mauer zu bauen. Unübersehbar thront schon ein Berg von fein säuberlich aufeinander geschichteten PET-Flaschen von drei Metern Länge und zwei Metern Höhe gleich neben dem Eingang. Die anderen Frauen gehen mit Tieren spazieren oder helfen den Pflegern.





Moniques Schwager fährt mich in einem blauen VW-Käfer in die Klinik, wo Tierarzt Girgis Hund Dali mit 10 Stichen genäht hat. Ohne Strom, denn der ist schon seit heute früh ausgefallen. Als ich ankomme, ist der Hund unter Narkose; seine äusseren Verletzungen sind nicht gravierend. Ob er innere Verletzungen hat, ist noch nicht klar.

Fakten
Mitarbeiter
4 festangestellte Helfer, die sich um Tiere und Pflanzen kümmern
1 Praktikantin für Veterinärmedizin
2 Ferienkinder, die auf die Hühner aufpassen und Handreichungen machen
manchmal auch Hausfrauen, die lernen und helfen möchten

Aufnahme von Tieren
Das Tierheim bietet Pensionsplätze für kastrierte Hunde und Katzen an. Ansonsten werden hier verletzte, alte und kranke Tiere aufgenommen, die alleine nicht mehr überlebensfähig sind; sie werden medizinisch versorgt, gepflegt und aufgepäppelt und sofern möglich, an tierliebende Menschen weitervermittelt.

Infrastruktur
53‘000 m2, wobei erst ein kleiner Teil mit Gehegen und Pflanzen bebaut ist;
Wasser wird mit Tankwagen herangebracht, ein Brunnen und eine eigene Grundwasser-Entsalzungsanlage ist in Planung;
Strom liefert ein kleiner Generator;

Zusatz-Angebote
in einem kleinen Laden wird Zubehör wie Leinen, Sitzkissen, Körbe etc. verkauft;
von September bis Mai findet regelmässig ein Agility-Training statt;
Anlässe
3 x im Jahr verwandelt sich das Bluemoon Animalcenter in einen Marktplatz: an Weihnachten, Ostern und im September anlässlich des Bluemoon Marktes werden selbst hergestellte Waren verkauft; es gibt keine Standgebühr, dafür gehen 10% des Erlöses an das Tierheim.

Finanzierung
Das Bluemoon ist ein NGO und zu 100% privat finanziert. Monique und ihr Mann stecken ihr gesamtes privates Vermögen in das Tierheim.
Fachliche Unterstützung, Verbandsmaterial und Medikamente erhält es in beschränktem Umfang von der Susy Utzinger Stiftung und von Franz Planck. Einnahmen in sehr bescheidenem Rahmen werden durch die Tierpensionen, Vermittlungen, Märkte, Verkäufe des Tier-Zubehörs und Geld- und Material-Spenden erzielt. Zudem geht ein Drittel der Einnahmen der Klinik ans Tierheim.

Besuchertage
Dienstag und Samstag, 9.30 – 12.00 Uhr

Helfertag
Mittwoch, 10.00 – 13.00 Uhr













1 Kommentar:

  1. Danke für diesen ausführlichen Bericht. Ich habe schon öfters von Blue moon gehört aber konnte mir nicht vorstellen, was für ein Einsatz dahinter steckt. Ich bewundere die Menschen und weiß jetzt, wo ich mich hindwenden kann, wenn der Drang nach Veränderung für einen bessere Welt wieder mal sehr groß ist.

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