Wieder Sinai. Wieder im Herbst, diesmal Ende November, als es nachts schon empfindlich kühl wurde. Ich lade euch ein, mit mir nochmals in mein Wunderland mitzukommen.
Der Blick von
oben
Vom Flugzeug aus erkannte
ich zwischen all den Tälern und Gipfeln Saint Catherine mit seinem berühmten
Kloster und den Berg Moses (dort oben steht ein Steingebäude, deshalb ist er
klar erkenntlich) und den oft gegangenen Pfad dorthinauf. Erinnerungen an
Weihnachten 2015 wurden wach, als ich zum ersten Mal in dieses Gebirge kam.
Der Flug über
Sharm löste dann eher einen Schock aus: Unter mir erstreckten sich nagelneue,
breite, mehrspurige Strassen – wenn ich mich erinnere achtfache - und das
Gelände, auf denen die Klimakonferenz COP27 soeben ihre Tore geschlossen hatte.
Schrecklich, was da an Strassen für einen einzigen Anlass dazu gekommen waren.
Für’s Klima!!! Allein das sollte den Menschen zeigen, wie lächerlich diese
ganze „Klima-retten-Hyperaktivität“ ist. Wenn nicht, dann soll doch bitte jeder
mal eine Woche durch dieses Land reisen.
Mit Wunderland hat
das nichts zu tun. Das kam erst später.
Nuweiba
Nach meiner
Arbeit in Sharm und Taba gönnte ich mir ein paar Tage in einem schlichten Camp
in Nuweiba, direkt am Strand. Ein kuscheliges, warmes Deckbett hielt mich
nachts warm; die Wellen lullten mich in einen tiefen Schlaf ein.
Der Blick von
innen
Islam*, ein
Beduine im besten Alter, führt mich ins Wadi Wishwashi. Ein lang ersehnter
Wunsch geht endlich in Erfüllung: In ein Tal hinein laufen! Am Vorabend heisst
es noch: Unmöglich, es werde in der Nacht ein starkes Gewitter mit Regenfällen geben.
Doch von wegen:
Es blitzt und donnert zwar imposant, regnet aber nur ein bisschen. Am Morgen ist
der Himmel wieder blitzblank geputzt!
Islam steuert
seinen Pickup vorsichtig und bedächtig durch ein breites Flussbett, das mir wie
die Reste eines Rüfeniedergangs vorkommt. Na ja, in Wirklichkeit ist es ja auch
nichts viel anderes. Die Felsen nähern sich uns zunächst zögernd, dann
entschlossener: Es wird enger, zu beiden Seiten recken sich rote,
glattgeschliffene Granitfelsen und bunte Sandsteinformationen in die Höhe. Ein
paar Kurven später geht es nicht mehr weiter, Islam wendet und schaltet den
Motor ab. Bedächtig leert er einen handgearbeiteten Rucksack von Werkzeug und
stopft Bananen, Wasserflaschen und die obligate Teekanne sowie zwei Teegläser hinein.
Wir marschieren
los. Zu meinem Erstaunen sind Islams Schritte lang und zügig – hätte ich ihm
nicht zugetraut. Nicht nur wegen seiner Postur, sondern auch wegen seiner
Sandalen. Mir passt’s so.
Es gibt
interessantere Wadis, aber die liegen weiter entfernt, bzw. die Polizei lässt unsereiner
nicht durch und man muss riesige Umwege auf sich nehmen. So begnüge ich mich
mit diesem oft besuchten Tal, das zu dieser Jahreszeit aber menschenleer ist. Besonders
bekannt und beliebt ist es auch, weil ein Stück weiter hinten ein Pool zwischen
den Felsen liegt, der in der wärmeren Jahreszeit zu einem Sprung hinein
einlädt. Ich springe nicht hinein, der kühle Wind zwischen den engen Felsen
reicht mir. Wendig wie ein Junge schiebt sich Islam über die glatten Felsen,
klettert über Leitern, duckt sich unter Hindernissen hindurch. Ich mache es ihm
gleich und ich geniesse die Lauferei und Krabblerei.
Islam spricht
kein Englisch. Er kann auch nicht lesen und schreiben. Aber er kennt seinen
Boden. Als Kind hütete er Ziegen in der Wüste, pendelte zwischen Schule und
Bergen. Er beklagt sich auch darüber, dass es in Nuweiba nur Primarschulen gebe
und die Kinder bis nach Sharm fahren müssten, um weiterführende Schulen zu
besuchen. Krank sein darf man hier auch nicht, meint er. Er erzählt mir auch,
warum es noch immer Terroristenangriffe im Nordsinai gibt, obwohl die Beduinen
dem Staat jeweils rechtzeitig Hinweise geben. Falsche Prioritäten, falsche
Reaktionen, lasch – halt wie es hier i.d.R. ist, nur dass es auch tödliche
Folgen hat.
Er zeigt mir
einen Busch mit roten und grünen Früchten. Eine öffnet er, hält mir die Hälfte
her. Er pflückt auf dem Rückweg Dutzende und ich stopfe sie in seinen nun
halbleeren Rucksack. Es sei etwas Leckeres – aber ich verstehe nicht, worum es
sich handelt. Erst zu Hause dann kann ich mithilfe des Internets das Rätsel
lösen: Kapern! Also gibt es hier Kapern, in Hurghada gibt es aber nur die sündhaft
teuren aus Italien, unmöglich einheimische Kapern aufzutreiben.
Während wir
weiter laufen, weist er mich auf Spuren im Sand hin. Ein Ibex oder eine Gazelle
– er ist nicht ganz sicher – meint aber, die sei in der Nacht hier durch
gekommen. Zu meinem Leidwesen habe ich davon keine Aufnahme gemacht.
Ein andermal verschwindet
er unter einer Akazie und macht sich in den Ästen zu schaffen. Später zeigt er
mir seine Ernte: ein tiefrotes, wunderschönes Stück Harz.
Mit ein paar
trockenen Ästen der Akazie entzündet er im Nu ein Feuer, mit dem Tee gekocht
wird. Er schmeckt köstlich, wie immer und nur da. Sonst trinke ich nie diesen
stark gesüssten Tee – nur in der Wüste und da gibt es nichts Besseres zu
trinken.
Der Blick aus der
Nähe
Nach einer
weiteren kalten, aber kuscheligen Nacht mit elf Stunden Schlaf marschiere ich
am nächsten Tag alleine los. Unweit des Camps ist ein weiteres Wadi, von dem
ich gehört habe, wo wunderbare Felsen und Steine in allerlei Farben zu finden
seien.
Ein halbstündiger
Fussmarsch südwärts entlang der Hauptstrasse bringt mich zum nächsten
Flussbett. Ich folge der Fahrpiste taleinwärts und sehe zu meiner Enttäuschung
Bauarbeiten. Ein Camp? Eine Bühne für ein Konzert? Toilettenhäuschen und
Wasserschläuche. Holzkonstruktionen. Ich treffe auf ein paar junge, hippe
Leute, die Englisch reden. Die fragen mich ein bisschen aus und ich sie auch
ein bisschen. Ich solle aber nur soweit laufen, wo ich ohne Klettern hinkommen
könne. Eine Frau sei vor x Jahren weiter gegangen und nicht mehr
zurückgekommen. Die Art und Weise wie der Eine mit mir redet, macht mich
stutzig, aber ich bedanke mich höflich. Habe genug Bergerfahrung um zu wissen,
wo die Grenzen zwischen Vergnügen, Risiko und Dummheit verlaufen. Aber das
sieht man mir ja nicht an.
Nur ein paar
hundert Meter weiter vergesse ich das alles. Ich stehe da und staune stumm. Um
mich herum strecken sich bizarre Felswände gegen den Himmel. Ich bin fasziniert
von dem Farbenschauspiel, das sich mir hier offenbart. Ich weiss nicht, ob ich
weiter laufen soll, stehen bleiben und staunen oder fotografieren soll. Ich
mache alles. Intensiv. Ich fühle mich überwältigt von dem, was mir die Natur
hier zeigt.
Mit jedem
Schritt, mit jedem Drehen des Kopfes entdecke ich neue Formen aus Sandstein und
Granit. Querliegende Felsschichten in harmonischen Farben liegen übereinander.
Zart gezeichnete lila Linien schwingen sich parallel mit Grau- und Weisstönen wie
auf einem abstrakten Gemälde über Fels. Ja, es sind Felsen, aber für mich sind
es Gemälde! Lavaschichten in der Grösse von Ziegelsteinen gleiten senkrecht
herab und geben darunter weitere Sandsteinschichten in Ocker, Beige und
Hellgrau frei. Oder Gelb. Oder Blau.
Dazwischen
drängen neugierig Pflänzchen zwischen Felsspalten hervor. Da, wo sich das
Regenwasser länger sammeln kann, wachsen auch Büsche; der Kapernbusch begegnet
mir wieder, diesmal mit violetten und weissen Blüten.
Was für ein
Meister, was für ein Künstler die Natur doch ist! Wie benommen gehe ich weiter,
entdecke, bleibe stehen, fotografiere, streiche mit der flachen Hand über die
Felsen, setze mich hin, um besser zu sehen
und in die Stille zu lauschen.
Viel zu früh
erreiche ich die ausgewaschene Felswanne, die mir hochkant den Weg versperrt.
Rauf käme ich. Aber da ist leider kein Seil und somit käme ich mit meinem
lädierten Knie nicht mehr retour. Also ist hier für mich Endstation.
Meine Gedanken
verbleiben für einen Moment bei der Frau, die da weiter gegangen war. Sie muss
verzweifelt gewesen sein. Irgendwann muss sie realisiert haben, dass sie hier gefangen
war. Dass sie hier niemand finden kann. Vielleicht war sie verletzt. Hatte sich
verlaufen. Sicher hatte sie Durst…
Ich dachte auch
an meine Bergerlebnisse in den Alpen. Wenn mein Knie noch ganz wäre, wäre ich ganz
bestimmt nicht hier.
Mit einer
Handbewegung verscheuche ich die finsteren Gedanken und wende mich dem Rückweg
zu. Zu meiner riesigen Freude bietet er mir nochmals neue Ansichten. Die tief
stehende Herbstsonne legt über die Felsen einen Farbfilter, der alles noch viel
intensiver erscheinen lässt.
Viel zu schnell
erreiche ich wieder den Talausgang. Viel zu schnell, weil ich mich nicht satt
sehen kann, obwohl ich schon mehre Stunden unterwegs bin!
Selbst jetzt
noch, wenn ich die Fotos ansehe, staune ich über den Künstler, der dies
geschaffen hat. Meine Freundin meinte, ich solle doch einige rahmen lassen und
aufhängen. Mache ich!
*Name geändert
Hier sind einige
meiner Fotoaufnahmen:
Frühstücksraum, Yogaraum, Leseraum, Meditiationsraum u.v.a.m. |
Typisches Frühstück mit Omelette, Frischkäse, Salat, Foul und Fladenbrot |
Wadi Wishwashi - ab hier geht's zu Fuss |
es wird ein bisschen enger |
doch, es geht noch weiter |
noch ein bisschen krabbeln |
der Pool |
Blick talauswärts |
Granit - perfekt zum Klettern |
Kapernbusch mit Frucht |
Kapern |
Kapernbusch mit Blüte |
Harz der Akazie |
im Tal der Farben |
und am Ende wieder der Blick über den Golf von Akaba zu den Bergen Saudi Arabiens |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.