Montag, Januar 25, 2010

Nächtliche Busfahrt

Ich lege den Telefonhörer auf. Soll ich mich jetzt ärgern? Irgendwie spüre ich, dass das nicht wirklich etwas bringt. Was soll’s! Ändern kann ich die Sachlage ja nicht, also nützt es auch nichts, wenn ich mich jetzt aufrege!

Seit drei Tagen versuche ich, eine Fährüberfahrt übers Rote Meer von Sharm El-Sheik nach Hurghada zu buchen. Allein schon das Prozedere dafür hat mich zum Staunen gebracht. Ich musste Bargeld an der Hotel-Rezeption hinterlegen; meine Banknoten wurden in einen Briefumschlag gelegt und dieser beschriftet.

Auf meinen fragenden Blick hin erhielt ich die Antwort, der Fahrer würde morgen das Geld im Büro von Red Sea Jet abgeben und mein Ticket holen. Nun, das Geld ist mal fort. Klappt schon, denke ich mir, zuversichtlich wie immer.

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Am nächsten Abend liegt eine Nachricht im Zimmer. Die Fähre sei kaputt, werde aber repariert. Man hoffe, bis übermorgen wäre sie wieder einsatzbereit. Gut! Ich bin ja zuversichtlich! Und hoffen kann ich auch.

Ägypten hat mich Vieles gelehrt. So sollte man sich immer mit den wahren Möglichkeiten beschäftigen und nicht mit dem, was sein könnte, oder, noch unwahrscheinlicher: was sein sollte. Das setzt ein gewisses Mass an Geduld und Improvisationstalent voraus und bringt manchmal viel Aufwand mit sich. Und am besten garniert man alles grosszügig mit Gelassenheit.

So habe ich mich also auch schlau gemacht, was mir für Alternativen blieben, sollte  die Fähre allen Versicherungen zum Trotz doch nicht auslaufen. Viel Auswahl habe ich ja nicht: fliegen oder Bus fahren. Allenfalls schwimmen! Welch ein Gedanke! Fliegen fällt weg, weil es nicht in mein Budget passt und so kurzfristig eh nicht klappt.

Und der Bus? Eine neunstündige nächtliche Fahrt scheint mir auch nicht grad verlockend. Den gesamten Golf von Suez entlang hinauf, bis Port Suez, und dann das Ganze auf der anderen Seite wieder herunter?

Beim Gedanken an vergangene Busfahrten ist mir nicht grad wohl: übel riechende Toiletten im Bus, schmutzige Busbahnhöfe und Raststätten, Durst – weil ich nicht zu oft austreten möchte -, enge, unbequeme Sitze, kreischende Videos...

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Am Vorabend meiner Abreise erhalte ich die Auskunft, dass die Fähre im Hafen bleibt. Tja... Gut. Dann also Bus.

Anderntags mache ich mich reisefertig. Das heisst, das meiste spielt sich im Kopf ab: zwei Sitzplätze kaufen – das machen die meisten allein reisenden Frauen so, genügend Wasser, Feuchttüchlein für die Hände und Papiertaschentücher für die Toiletten einpacken; eine Jacke und einen Schal in Griffnähe, falls der Bus wieder auf 17° Celsius heruntergekühlt wird. Und ja nicht vergessen: viel Gelassenheit in alle Fächer und Zwischenräume stopfen!

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Ich lasse mein Gepäck unübersehbar neben einer Säule mitten in der offenen Wartehalle des Busbahnhofs stehen.

Ein kleiner Hunger macht sich bemerkbar... Sandwich vielleicht? Okay, ja bitte ein Sandwich. Die Auslage des Kiosks enthüllt absolut nicht, wie ein Sandwich aussehen könnte. Freundlich zeigt der Mann auf Fladenbrot und eine Büchse Thunfisch. Ja, das geht, da kann nicht viel schief gehen und mein Magen wird auch nicht rebellieren. Er kippt die Büchse auf einen Blechteller, legt Fladenbrote dazu, das sauer eingelegte Gemüse darf auch nicht fehlen. Leider habe ich die Rechnung ohne die lästigen Fliegen gemacht und so vergeht mir der Appetit rasch...

Hände waschen, ein letztes Mal austreten, bevor ich den Bus besteige. Ein Pfund! fordert der Faulpelz, der für die Toiletten zuständig ist. Für das da? Eine Frechheit!

Wo ist denn meine Gelassenheit schon wieder geblieben? Nach wenigen Schritten finde ich sie draussen wieder: die Berge des Sinai leuchten gelb-rötlich in der Abendsonne. Kein Baum, kein Strauch weit und breit. Schade, werde ich heute Nacht nicht viel von dieser fremden Landschaft sehen. Wir werden durch eine politisch und geschichtlich bedeutende Region fahren. Schliesslich hat Ägypten hier in verlustreichen Kämpfen den Sinai wieder von Israel abgerungen!

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Die Strasse ist gut, folgt der kurvigen Steilküste, der Chauffeur fährt angenehm ruhig. Meine Gedanken verlieren sich im monotonen Motorengeräusch.

Allmählich durchströmt mich eine unendliche Freude bis hinaus in meine Fingerspitzen... Ich reise! ... So lange ist es schon her... reisen ... sein... Weile haben. Im Flugzeug reist man nicht, die Seele kann nicht folgen. Aber hier im Bus, da ist das anders. Es braucht Zeit. Gelassenheit. Geduld. Ruhe.

Die Gedanken schweifen vom Jetzt in die Vergangenheit ... in die Zukunft ... hinaus in die Nacht werdende Landschaft. Der Mond verteilt grosszügig glitzernde Punkte übers Wasser. So gleichmässig, wie der Bus Kilometer um Kilometer hinter sich lässt. Ich höre Musik, träume von früheren Reisen. Es ist ruhig im Bus. Kein Video lärmt, ganz leise schwirren hin und wieder geflüsterte Wortfetzen durch den Raum. Viele Fahrgäste schlafen oder hören Musik. Hie und da wird telefoniert – unverzichtbar in diesem Land. In unregelmässigen Abständen werden die Augen von hell erleuchteten Strassen und Häuserfassaden geblendet. Kaffees – Geschäfte – Fussgänger – Eselkarren – Autos – Busse – sie hasten vorbei. Rasch ist wieder dunkel und das Auge sucht wieder nach einem anderen Anhaltspunkt, verliert sich müde im Nichts da draussen.

Nach zwei oder drei Stunden verlangsamt der Bus die Fahrt, biegt ab auf einen mild erleuchteten Rastplatz. Die erste Pause. Soll ich aussteigen? Muss ich wohl: Beine strecken, Füsse vertreten, auch wenn ich wieder auffalle. Die Raststätte sieht zu meiner Überraschung einladend aus. Keine dieser klebrigen Plastikstühle, sondern Bast bezogene Holzstühle und kleine Holztischchen zum Tee trinken. Mein Blick schweift weiter... bleibt hängen, bei einem freundlich lächelnden Mann, der schon Toilettenpapier abrollt, noch bevor ich mich entschliessen kann. Doch, besser jetzt, als zu spät! In Erwartung dessen, was ich in der Vergangenheit schon alles gesehen habe, drücke ich die azurblau gestrichene Holztüre auf – und bleibe beinahe wie angewurzelt stehen: so etwas von pikobello sauber habe ich in der Öffentlichkeit in diesem Land noch nie gesehen! Hier könnte ich barfuss hineinstehen! Am Boden steht ein Eimer mit frischem, kühlem Wasser unter einem Rohr mit Hahnen, darin ein sauberer Becher, um daraus zu schöpfen.

Ich lächle unwillkürlich. Auch das ist Ägypten! Immer für Überraschungen gut. In solchen Momenten erinnere ich mich an die Worte eines ägyptischen Freundes: „Du wirst in diesem Land mitten im allergrössten Schmutz etwas wunderbar Sauberes entdecken. Und umgekehrt wirst Du inmitten eines sauberen Ortes etwas völlig Verdrecktes finden.“

Überrascht bemerke ich, dass unter den Fahrgästen ja noch mehr Europäer sind! Aussteiger-Typen, Haschisch-Raucher, Rastazöpfchen-Träger. Sie biedern sich bei den Ägyptern an, da bilden sich interessante Paarungen! Ich gehe ein paar Schritte weiter, hinaus zu einer hübschen Parkanlage mit Korbsesseln und Sonnenschirmen. Sitzen mag ich nicht, aber ich erfreue mich an dem Anblick, an den positiven Überraschungen.

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Die Müdigkeit übermannt mich und so gut es geht, mache ich es mir auf meinen zwei Sitzen mit der Jacke als Kissen bequem. Es ist weniger ungemütlich, als ich annahm – woran das liegt? Unendliche Ruhe breitet sich in mir aus, ich geniesse die Stille, den Blick hinaus in die Nacht, das übermüdete Einnicken für ein paar Minuten oder mehr.

Am Horizont hat sich das Bild verändert: es ist nicht mehr nur dunkel, sondern hinter der Dunkelheit gibt es grössere Lichtpunkte. Das dunkelblaue Band verengt sich und  selbst mitten in der Nacht sind Frachtschiffe und Tanker auszumachen. Ich werde unruhig... würde gerne mehr sehen! Wer weiss, ob ich je nochmals hierher komme? Soll ich nach Vorne zum Chauffeur gehen? So ein berühmter Ort und ich sehe praktisch nichts! Als Frau, als Europäerin alleine nach Vorne gehen? Das kann falsch ausgelegt werden, lass’ es bleiben! Wir passieren eine Zahlstelle und schon fahren wir durch einen hell erleuchteten Tunnel unter dem Kanal hindurch, von Asien nach Afrika hinüber. Rasch lassen wir Tunnel und Port Suez hinter uns, der Bus greift aus in die schwarze Landschaft, eilt wieder zurück in den Süden.

Erneut liegt das blauschwarz glitzernde Band links von mir, doch diesmal hängt der Spender all der glitzernden Punkte tief über dem Horizont: es ist Vollmond. Während Stunden verändert sich dieses Bild nur noch unmerklich: die leuchtende Zitronenscheibe steigt sachte höher, nimmt an Leuchtkraft zu, wird erst hellgelb, später weiss und schenkt der Wüstenlandschaft etwas Zauberhaftes.

Die Mitreisenden schlafen immer noch. Ausser dem monotonen Motorengeräusch ist es im Bus friedlich still. Meine doch nicht so komfortable Liege- ... Sitz- ... Liegegelegenheit lässt mich nicht wirklich in einen tiefen Schlaf fallen.

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Mein Blick irrt wieder hinaus. Ich zucke zusammen! Der Abstand zwischen Meer und Strasse hat sich vergrössert! Ras Gharib liegt offenbar schon hinter uns. Lange kann es nicht mehr dauern und... Und ja: schon skizzieren die Lichtpunkte am Horizont die von Architekten geplante Stadt El Gouna in die Nacht. Das Bild lässt mich leise erschauern. Dass ich diese Küstenlandschaft nach so langer Abwesenheit sogar im Dunkeln erkenne! Wir passieren die pompös inszenierten und märchenhaft erleuchteten Fassaden einiger Hotels und erreichen die Aussenquartiere Hurghada’s. Ich erkenne die breite, richtungsgetrennte Ausfallstrasse, die hastig hochgezogenen Mietshäuser, jene schöne Moschee...

„Al Ghardaqua!“ Ja, ich weiss, bin ja schon zum Aussteigen fertig! Pünktlich um vier Uhr früh bin ich wieder da, zurück, in diesem lausigen Nest!

Mit meinem Gepäck stehe ich in der Kälte der Nacht. Ein rotes Auto hält an, der junge Mann behauptet, Taxifahrer zu sein. Ich wende mich ab. Doch schon naht ein „echtes“ Taxi. Der Fahrer ist in eine wattierte Jacke verpackt und strahlt mich schläfrig lächelnd an. Wir einigen uns nach kurzem Hin und Her auf den Preis und er bringt mich zu meinem Hotel. Er fährt erst weg, nachdem er sich vergewissert hat, dass ich wirklich ins Hotel eingelassen werde. Dort erwartet mich eine Belohnung: ich erhalte eine Suite und falle für wenige Stunden in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

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