Montag, Januar 31, 2011

Es geht unverändert weiter

Ich wache auf, bevor mein Wecker läutet. Ich mag gar nicht aufstehen. Müdigkeit und viele persönlichen Ereignisse neben den Entwicklungen hier machen es mir schwer. Ich raffe mich auf und schalte den Fernseher ein.  Noch nie in meinem Leben habe ich so viele Stunden vor dem TV verbracht.

Nein, immer noch nicht. Al Jazeera, Tag Nummer sieben, morgens um neun Uhr, bringt keine guten Nachrichten, d.h. Mubarak ist weiterhin stur. Die Polizei kehrt zurück. Die Demonstrationen nehmen zu.

Ich frühstücke und hole meinen ersten Schüler an der Hauptstrasse ab. Während ich warte, erreicht mich ein Anruf einer Ägypterin, die gestern Kairo verlassen hat und nun in der Schweiz ist. Sie fragt, ob sie jemanden in Liechtenstein über meinen Aufenthalt unterrichten soll. Ich bedanke mich und teile ihr mit, dass ich mit meiner Mutter in Kontakt bin. Sie reicht ihr Telefon ihrer Tochter, die zu meiner riesigen Überraschung Liechtensteiner Dialekt spricht. Sie wird mich beim zuständigen Amt melden, sodass ich im Falle einer Evakuation informiert würde.

Diese Fürsorge berührt mich. Mein Beziehungsnetz funktioniert viel besser, als ich es eingeschätzt habe. Immer wieder werde ich in diesen Tagen von Freunden und Bekannten, Ägyptern und Ausländern, positiv überrascht. Ich bin in einem fremden Land, einer fremden Kultur, erlebe einen Volksaufstand mit, der Geschichte schreibt – und bin nicht alleine. Nur von meinen Freunden zu Hause höre ich nichts, ein Anruf ist wohl zu teuer. Internet und sms sind noch immer blockiert.

Nach dem Unterricht eile ich zum Flughafen, weil ein Bekannter her fliegt und mir einiges von zu Hause mitbringt. Er wird vier Wochen hier bleiben! Der Flughafen Hurghada ist leer: keine wartenden Busse und Taxis, keine Menschenmengen, weder beim Eingang, noch beim Ausgang.

Danach fahre ich erstmals seit ich umgezogen bin und erstmals seit dem grossen Protesttag am Freitag, durchs Zentrum Hurghadas und nach Dahar, um einzukaufen. Alles ist normal, nur die Schmuckgeschäfte haben die Rollläden herab gelassen. Auch Vodafone und die Banken sind geschlossen. Keine Spur von Plünderungen. Eine Freundin bestätigt die Aussagen vom Vorabend von anderen Bekannten: alles Gerüchte, keine Einbrüche, keine Plünderungen in Hurghada. Die Präsenz der Polizei fällt auf: sie ist wieder überall, auch die Armee ist noch da. Der Früchte- und Gemüsemarkt ist laut und geschäftig wie immer, die Supermärkte aufgefüllt.

Ich kaufe trotzdem mehr als üblich ein, stocke meinen Vorrat auf, falls es doch ändern sollte. Ich bin aber nach wie vor überzeugt, dass es sehr rasch zu einer klaren Änderung der Lage kommen muss, denn Ägypten ist erstens zu wichtig für den Westen und zweitens kann es sich das Land nicht leisten, dass der Tourismus und damit eine der wichtigsten Einnahmequellen völlig zusammen bricht. Die Finanzwelt hat heute weltweit sehr negativ reagiert. Mit meiner Zuversicht stehe ich nicht alleine da.

Mein nächster Termin ist bei einem achtjährigen Jungen, dessen Eltern mit einer Dahabeya auf dem Nil und einem Tauchboot in Sudan hundert Prozent vom Tourismus leben. (Wie alle hier am Roten Meer). Auch sie sind überzeugt, dass in den nächsten Tagen das Ersehnte eintreffen wird. Noch ist es aber nicht so weit: heute hat Mubarak das Kabinett umgebildet – was die Demonstranten überhaupt nicht beeindruckt hat.

Doch nicht alle können positiv denken: viele Bekannte, die sich hier eine Existenz aufgebaut haben, sind niedergeschlagen. Niemand weiss im Moment, wie es weiter geht, ob wir vielleicht in wenigen Tagen ins Flugzeug steigen müssen oder nicht, ob es bald wieder möglich ist, den Tourismusbetrieb fortzuführen, oder nicht. Wenn ich gefragt werde, wie es mir geht, kann ich gar nicht klar Auskunft geben. Zu viele Gefühle und Gedanken bewegen mich. Ich habe noch nie eine Revolution erlebt, alleine diese Tatsache berührt mich zutiefst. Meine Erkenntnis, dass ich Vorahnungen für Ereignisse habe, diese aber jeweils noch nicht klar einordnen kann, beschäftigt mich sehr. Dazu kommen noch persönliche Geschehnisse. Meine Umzugsschachteln sind fast leer, ich gebe mir Mühe, alles unterzubringen, jedem Ding seinen Platz zu geben. Die Wohnung ist sehr schön. Ich könnte mich hier wohl fühlen, wenn … Es gibt nur eines: abwarten.

Sonntag, Januar 30, 2011

Weitere Proteste

Mit noch stärkerem Kopfweh wache ich nach wenig Stunden Schlaf auf. Noch bevor ich ins Bad gehe, schalte ich Al Jazeera ein. Nein, Mubarak ist nicht abgetaucht und er ist auch noch nicht zurück getreten.

Ich gehe ins Bad und richte mir anschliessend lustlos ein kleines Frühstück. Ägypten war wieder trotz Ausgangssperre die ganze Nacht auf den Beinen. Es hatte weitere Plünderungen gegeben. Nun sind es nicht mehr Zehntausende, sondern Hunderttausende. Ich bin stolz auf diese Menschen, ich fühle mit ihnen.
Ich muss mich beeilen, heute ist mein erster Arbeitstag nach dem Wohnungswechsel: fünf Unterrichtsstunden sind geplant. Meine erste Kundin wohnt nur wenige Häuser von mir entfernt. Da sie keine Türglocke hat, rufe ich sie an, um zu melden, dass ich vor der Türe stehe. Doch die nigerianische Hausangestellte öffnet nicht, stattdessen ruft mir Wala zurück. Sie entschuldigt sich… sie sei noch um Mitternacht geflohen nachdem sie von Einbrüchen in der Nachbarschaft gehört hatte.

Tja, was soll ich da sagen? Ich bin ja auch dageblieben, alleine. Müde gehe ich zurück, ziehe mich um und sitze aufs Rennvelo. Normalerweise tut es mir gut. Ich fahre Richtung Hurghada und sehe statt der üblicherweise allseits präsenten Polizei Panzerwagen und Soldaten. Der Verkehr ist stark, wie immer. Weiter fahre ich hinaus in die Wüste, zuerst Richtung Innere Ringstrasse und überlege mir, ob ich auf die Äussere Ringstrasse fahren soll. Häufiger als sonst winken mir die Ägypter aus dem Auto zu, hupen, wenn sie an mir vorbei fahren. Ich winke zurück, was ich sonst eher selten mache. Ich freue mich für sie, ich freue mich, dass ich mich ihnen zeige. Die äussere Ringstrasse ist wie immer: wenig Verkehr, keine besonderen Vorkommnisse. Der Erste Hilfe Posten ist verwaist, nur der Hund ist noch dort. Unterwegs erreicht mich ein Anruf von meiner Mutter und ich versuche, sie zu beruhigen, erzähle, was hier läuft.

Zuhause schalte ich natürlich als erstes wieder den Fernseher ein. Amerika macht mehr Druck, aber noch immer zu wenig. Welche Enttäuschung. Ebenso die EU. Unbeirrt fordern die Ägypter weiter den Rücktritt Mubaraks, Reformen und Demokratie. Sie haben keinen Führer und sind trotzdem geeint, unabhängig von Religion, Alter, Herkunft, finanziellen Verhältnissen. Ungeachtet der Opfer. Sie haben nichts mehr zu verlieren und zurück können und wollen sie nicht mehr. Ich bin tief bewegt, manchmal überwältigt.

Die Mutter einer Schülerin ruft mich an, sie habe Angst, ihre Tochter mit dem Auto herzubringen. Am helllichten Tag! Die Deutsche Schule bleibt die ganze Woche geschlossen. Sie erzählt, dass in ihrem Compound und im Supermarkt gegenüber weitere Sicherheitsleute engagiert wurden. Sie berichtet, wo überall eingebrochen worden war. Ich empfehle ihr, etwas spazieren zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen – sie getraut sich nicht. Wenn die wüsste, dass ich zwei Stunden auf dem Velo war! Ich sitze alleine in meinem Viertel, hier ist keine Security, keine Polizei, nicht mal die Doormen sind zu sehen. Eine Stunde später meldet sie sich nochmals und teilt mir mit, dass die Bekannte, die morgen im gleichen Flugzeug wie ein Bekannter von mir von München kommen soll, ihren Flug annulliert hat.

Auch mein nächster und mein übernächster Schüler kommen nicht. Den ersten erreiche ich nicht – der zweite meldet sich nicht.

Ob dieser erste „Arbeitstag“ ein Vorgeschmack auf die kommenden Tage ist?

Ich räume weiter meine Schachteln aus. Es fällt mir schwer. Wie lange würde ich denn hier bleiben? Ein paar Tage? Ein paar Wochen? Oder länger? Ich melde mich beim schweizerischen Konsulat in Kairo und hinterlege Name und Telefonnummer. Sie geben momentan keine Empfehlungen für die Region Rotes Meer ab, denn hier sei es ruhig.

Später telefoniere ich mit einer schweizerischen Freundin. Sie erzählt, dass es vereinzelte Schäden im Zentrum Hurghadas gegeben habe und viele Geschäfte geschlossen seien. Auch die Banken hätten die ganze Woche geschlossen. Da das Internet nicht funktioniere, können auch die Tauchbasen nur noch beschränkt arbeiten.

Das Fernsehen zeigt Bilder, wonach Helikopter und Kampfflugzeuge im Tiefflug über die Demonstranten in Kairo fliegen. Angst machen? Angeblich taucht auch wieder die Polizei auf, Gefängnisinsassen werden wieder eingefangen. Die Plünderungen scheinen nachzulassen. Mubarak wechselt die Strategie täglich. Aber er zeigt sich uneinsichtig, die Proteste gehen weiter.

Meine schwedische Freundin ruft mich mit Tränen erstickter Stimme an: ihr Arbeitgeber hat sie vor die Wahl gestellt, morgen nach Hause zu fliegen oder nicht. Alle Touristen aus Skandinavien werden evakuiert. Sie bleibt hier, sie weiss nicht, was sie zu Hause soll.

Ich rede mit einer Freundin in Alexandria. Es geht ihr gut, sie und ihre Tochter sind in der Wohnung, ihr Mann und ihr Sohn sind auf der Strasse, Bürgerwehr.

Mein nicht erreichbarer Schüler meldet sich auch noch. Angeblich seien die Schäden in Hurghada nicht so schlimm, aber die Telefonverbindung ist nicht gut und ich verstehe nicht alles, was er sagt. Er meint aber, dass er morgen zum Unterricht kommen werde.

Mittlerweile vereinigt sich die Opposition und El Baradei ist bereit, die Führung auf dem Weg zu einer Übergangsregierung zu übernehmen.

Mit einem weiteren ägyptischen Freund telefoniere ich. Er malt pechschwarz für die nächsten Monate. Ich teile seine Meinung nicht. Ich kann nicht glauben, dass das Regime noch lange durchhält, denn der Druck des Volkes ist riesig. Was zum letzten Schritt fehlt, ist das Wort aus den USA. Doch das lässt auf sich warten.

Wieder gehe ich mit dem Gedanken schlafen, dass Mubarak heute Nacht nachgibt.

Wo ist die Polizei?

Nach nur wenigen Stunden schlechten Schlafs wache ich auf. Alles tut mir weh – wohl vom Packen und Putzen. Doch ich habe auch Kopfweh.

Meine Mutter ruft mich an, noch bevor ich sie grüsse, rufe ich ins Telefon: „Ich lebe noch!“.

Um 11 Uhr kommt der Fernseh-Fachmann und stellt die Satelitenschüssel korrekt ein und ich kann mich endlich wieder über das Geschehen in Ägypten informieren.

Die Demonstrationen waren die ganze Nacht weiter gegangen, es gibt bereits über einhundert Tote. Im Laufe des Tages gehen sie weiter. Die Polizei ist spurlos verschwunden und die Menschen strömen wieder zahlreich auf die Strassen.

Ich versuche auszupacken, putze erneut und warte auf eine ägyptische Putzfrau. Sie kommt mit einer Stunde Verspätung mit ihrem Kleinkind, macht eine Sauerei und Lärm. Ich ertrage das nicht und sage ihr, so ginge das nicht. Sie geht. Der Wohnungsbesitzer verspricht, mir jemand anderen zu senden. Aufgrund der Umstände kommen aber erst am Abend zwei Männer von einem Hotel. Somit ist das Gröbste wenigstens gemacht – nachdem ich bereits die Hälfte der Wohnung gereinigt habe.

Im Fernsehen wird über Plünderungen berichtet. Gefangene entfliehen aus den Gefängnissen. Menschen berichten, dass Polizisten in Zivil bei Plünderungen und Einbrüchen erkannt wurden. Im Laufe des Tages fährt die Armee in die grösseren Städte ein und die Menschen begrüssen sie frenetisch. Doch Stunden später müssen sie feststellen, dass die Soldaten nur staatliche Gebäude schützen, nicht aber Menschen, die um ihr Leben fürchten müssen.

Ich fahre ins Einkaufszentrum. Dort treffe ich zufällig eine ägyptische Freundin, die sehr mitgenommen aussieht. Sie erzählt, dass sie um ihr Familienhaus in Kairo bangt. Es geht ihr nicht um Haus und Inhalt, sondern um die Erinnerungen aus ihrer Kindheit und an ihre Grossmutter, die eine bekannte Malerin war. Ja, sie komme aus einer reichen Familie, aber alles sei auf ehrliche Art und Weise hart erarbeitet worden, nicht gestohlen und nicht durch Korruption angeeignet.

Im Supermarkt sind einige Regale fast leer und an der Kasse muss ich über eine halbe Stunde anstehen. Jetzt erst wird mir bewusst, dass die Leute sich auf schlimmere Zeiten vorbereiten. Ich kann nicht. Ich bin überzeugt, dass es nicht lange gehen wird, bis sich die Situation radikal ändert.

Am Abend ruft mich eine Freundin an, sie stecke mitten im Zentrum und es ginge schrecklich zu und her. Ich solle nicht ausgehen. Ich wusste es und hatte es auch nicht vor.

Einer meiner Schüler erzählt mir, dass er bis auf weiteres nicht kommen kann. Er macht sich unendlich Sorgen um seine Familie in Kairo und ist ständig telefonisch in Kontakt mit ihnen. Seine Stimme zittert. In Kairo und anderen Städten haben junge Männer Milizen gebildet, um Mensch und Eigentum zu schützen.  Er würde gern hinfahren, doch das ist nun unmöglich.

Nachts um 11 Uhr ruft mich die ägyptische Bekannte aus dem Supermarkt an und fragt mich, ob ich alleine oder mit Freunden sei. Alleine, antwortete ich. Sie bot mir an, zu ihr zu kommen, falls ich Angst hätte. Es habe in Hurghada mehrere Plünderungen und Einbrüche da und dort gegeben und einige ihrer Freunde würden bei ihr übernachten. Ihr Angebot berührt mich sehr und ich spürte, dass sie es ehrlich meinte. Ich bedanke mich und sage ihr, dass ich mich sicher fühle.

In Al Jazeera berichteten Menschen, wie sie um Leib und Leben fürchteten, weil Kriminelle und zivile Polizisten sie angriffen und Soldaten dabei nur zusahen – sie hätten keinen Befehl, ihre Mitbürger zu schützen.

Ich überlege mir, ob ich noch meine erste Schülerin vom nächsten Tag anrufen soll, denn ich weiss, dass auch sie Familie in Kairo hat. Es war aber schon Mitternacht und deshalb lasse ich es sein.

Offenbar waren Gefangene von der Polizei aus den Gefängnissen entlassen worden, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Es wird berichtet, dass Polizeiwagen vorfuhren und Polizisten in Zivil Geschäfte plünderten und zerstörten.

Morgens um eins gehe ich ins Bett und versuche zu schlafen. Ich bin überzeugt, dass Mubarak, wie die reichen Geschäftsleute nach Dubai, noch in der Nacht fliehen würde.

Freitag, Januar 28, 2011

Umbruch

Es ist Freitag, der vierte Tag der Proteste. Internet gibt es in ganz Ägypten nicht mehr, sms können auch nicht mehr verschickt werden. Nun hänge ich von den ausländischen Fernsehsendern ab und von meinen Bekannten und Freunden in Ägypten.

Ich packe meine Habseligkeiten in Taschen, Koffer und Kisten. Nein, ich habe nicht vor, Hurhgada zu verlassen, nur meine Wohnung zu wechseln. Seit morgens früh läuft der Fernseher und ich schalte von Al Jazeera zu BBC zu CNN zu France24 und wieder zurück. Die Szenen sind unglaublich: die Ägypter, die seit Jahrhunderten gewohnt sind zu erdulden, sich zu gedulden, alles hinzunehmen, lehnen sich auf. Es sind nicht mehr nur Tausende, sondern Zehntausende, sie stellen sich gegen die brutale, alles niederschlagende Polizei und ein jede Freiheit unterdrückendes Regime.

Wie oft habe ich mit Ägyptern aus allen Schichten darüber diskutiert. Immer wieder fragte ich, weshalb sie sich nicht wehrten, weshalb sie sich nicht erheben. Die Antwort lautete sinngemäss immer gleich: wir sind geduldig, wir können alles hinnehmen, alles akzeptieren. Wenn wir nicht täglich Fleisch essen können, dann essen wir es halt nur noch einmal wöchentlich. Wenn wir nicht mehr wöchentlich Fleisch essen können, dann essen wir es halt nur noch an Festtagen. Aber wir brauchen Brot und ein Dach über dem Kopf. Innerlich verzweifelte ich über diese Haltung.

Die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate in Ägypten und der Aufstand in Tunesien haben dies geändert. Tunesien war wohl der berühmte letzte Tropfen in ein übervolles Fass. Endlich, muss ich aus tiefstem Herzen sagen!

Mit Packen bin ich fertig, ich muss den Fernseher ausschalten. Zwei Stunden später komme ich nochmals in meine „alte“ Wohnung zurück, um zu putzen. Wieder schalte ich den TV ein: es wurde eine Ausgangssperre ab 16 Uhr für die grösseren Städte ausgesprochen. Die Demonstrationen gehen ungeachtet weiter. Die Ägypter, die riesige Angst vor dem Polizei- und Sicherheitsapparat haben, ignorieren Tränengas, Gummigeschosse und Knüppel, sie protestieren weiter.

Ich fahre ins Zentrum Hurghadas, um etwas zu essen. Vorübergehend sind die ausländischen Sender abgeschaltet worden und ich sehe nur noch die Bilder auf AL Jazeera Arabic. Inzwischen ist die Ausgangssperre auf ganz Ägypten erweitert worden, aber ich komme ungehindert in meine neue Wohnung ausserhalb Hurghadas. Auch hier schalte ich zuerst den Fernseher ein und suche nach den Englisch- und Französischsprachigen Sendern – es gibt keine. Ein Mitbewohner versucht mir zu helfen – keine Chance. Wegen der Ausgangssperre kann auch kein Fachmann mehr kommen. Ich muss wohl oder übel ohne auskommen.

Alle zwei Stunden bis kurz vor Mitternacht rufe ich eine Freundin an; sie informiert mich über die weiteren Ereignisse. Offenbar finden auch im Zentrum Hurghadas Demonstrationen statt und ein Supermarkt wurde gestürmt.

Mittwoch, Januar 26, 2011

Ägypten erhebt sich

Heute ist der zweite Tag der Protestwelle in Ägypten. Ich verfolge die Geschehnisse im Internet, auf Bloggerseiten und im Fernsehen. Meine Quellen sind France24, Al-Jazeera, Al Masry Al Youm, NZZ, Egyptian Chronicles, observateurs.france24 u.a.

Gestern schon war die Internetverbindung langsam und wurde immer wieder unterbrochen. Skypen war kaum möglich. Heute ist es noch schlimmer, Twitter, Facebook, Google und andere social medias sind abgeblockt; ich kann viele Internet-Seiten, auch meinen eigenen Blog, oft nicht aufrufen. Das Telefon funktioniert hier am Roten Meer im Gegensatz zu Kairo problemlos.

Ich habe einige wenige Ägypter auf die Ereignisse angesprochen und war entsetzt über ihre Antworten. Einer (ein Hotelmanager, um die 40, arbeitet täglich 16 Stunden) meinte, die Wirklichkeit spiele sich nicht im Internet und im Fernsehen statt, die Ägypter sollten erst mal lernen richtig zu arbeiten. Ich bin nicht sicher, ob nicht vielleicht er in einer falschen Wirklichkeit lebt.

Eine andere Person (gut 40, sehr konservativer Hintergrund) glaubt gar nicht, dass die Ägypter sich gegen ihr Regime auflehnen können, denn Regierung und Sicherheitsapparat seien allmächtig.

Freunde – junge Ägypter – haben mir aber schon seit langem erzählt, wie unendlich genug die Menschen von diesen Lebensumständen haben. Es ist die Jugend, die sich nun erhebt und die bald die Bevölkerungsmehrheit ausmacht und unter denen die grosse Mehrheit arbeitslos ist. Immer denke ich auch an die Aussage, dass die Polizisten auch die Nase voll haben…

Nach den Ereignissen in Tunesien habe ich eigentlich nur darauf gewartet, wann (nicht ob) sich die Ägypter erheben würden… Ein Protesttag ist ein gutes Zeichen und hat weltweit viele Menschen und Politiker aufgerüttelt. Für mich war aber klar: es kommt darauf an, was heute geschieht: geht es weiter oder nicht?

Und siehe da: es geht weiter! Die Ägypter gehen weiter auf die Strasse, obwohl das Innenministerium mit voller Härte und Brutalität gegen sie vorgeht. Bilder und Videos sind grässliche Zeugen. Und für morgen sind die Menschen erneut aufgerufen, nach dem Freitagsgebet wieder auf die Strassen zu gehen. Nicht nur in Kairo und Alexandria, sondern im ganzen Land, auch in Oberägypten und auf dem Sinai wird protestiert. Sehr gespannt bin ich nun, wie das Innenministerium auf die Aufrufe seitens der EU und Hillary Clinton reagieren wird, das Demonstrationsverbot sei aufzuheben und Internetzugang zu gewährleisten. Das Wort der USA hat grosses Gewicht und ich glaube, das könnte Ägypten in die Klemme bringen: hält sich der Sicherheitsapparat zurück, wird die Protestbewegung zunehmen; unterdrücken die Sicherheitskräfte die Proteste mit brutaler Gewalt, kann dies Folgen seitens des grossen „Bruders“ USA haben.

Hier in Hurghada ist nichts zu merken, mit Ausnahme der seit Wochen verstärkten Polizeipräsenz. Ich habe gemischte Gefühle. Einerseits sehe ich meine schon lange gehegten Vorahnungen wahr werden und wünsche Ägypten endlich Demokratie, Freiheit und ein menschenwürdiges Dasein. Andererseits haben die Ereignisse erste unliebsame Folgen mit sich gebracht: Investoren haben sich aus dem Land zurückgezogen, die Börse ist eingebrochen, das ägyptische Pfund verliert an Wert. Wie wird der Tourismus reagieren? Bleiben die Touristen aus, hat das Auswirkungen auf das Leben hier. Für meine ägyptischen und europäischen Freunde …  und für mich.

Donnerstag, Januar 20, 2011

Vom Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Assuan hiess mein Ziel.
Ohne eigenes Auto.
Konkret: per Bus von Hurghada nach Luxor, von dort weiter mit dem Zug. Und zurück. Fliegen kommt nicht in Frage, denn es gibt keine direkten Flüge sondern nur über Kairo.

Schon Tage vor meinem Reisetag versuchte ich, einen verlässlichen Zugfahrplan ausfindig zu machen. Naheliegende Informationsquellen schienen mir das Internet und die Tourismusinformationsbüros in Hurghada und Luxor. Dass sie am Bahnhof in Englisch Auskunft geben könnten, bezweifelte ich zutiefst.


Das Internet lieferte mir den Fahrplan der Egyptian National Railways (http://www.egyptrail.gov.eg/docs/online/online.html): es gibt eine grosse Auswahl an Zügen mit wohlklingenden Namen wie z.B. "Spanish", die zwischen Kairo und Assuan verkehren. Alle halten auch in Luxor. Leider führt der Fahrplan das Datum 01/05/2009 auf und mich befielen Zweifel, ob die Angaben im Jahr 2011 wohl auch noch gälten? Doch aufgepasst: es gibt Züge – gemäss Internetforen – die Ausländer nicht besteigen dürfen (oder sollen).
Das reichte also noch nicht, zudem hatte ich meine gewünschten drei unterschiedlichen Auskunftsquellen noch nicht beieinander, um eine halbwegs übereinstimmende Information zu bekommen.

Also rief ich die Tourist Information in Hurghada an. Ich erhielt eine sehr freundliche Auskunft, die mit dem Internet-Fahrplan gar nicht übereinstimmte.

Ich suchte im Internet die Telefonnummer der Tourist Information in Luxor – unauffindbar! Das heisst, die veröffentlichte Nummer ist veraltet. Die haben eine wunderschöne Homepage, aber keine Telefonnummer. Ich suchte auf den Yellowpages – ohne Erfolg. Dafür fand ich dort die Telefonnummer des Bahnhofs Luxor.

Nun rief ich beim Bahnhof an – ja ich weiss, das wäre in Europa das Naheliegendste, nicht aber in Ägypten! - und bat in Arabisch um den Fahrplan. Ich erhielt ihn sogar! Doch konnte ich den Mann nach der vierten Wiederholung immer noch nicht verstehen. Die Telefonverbindung war eine Katastrophe (da war Wasser drin) und sein Arabisch so schnell wie ein TGV. Nichts zu machen. Später sagte mir jemand, ich hätte ein riesiges Glück gehabt, dass die Bähnler überhaupt meinen Anruf angenommen hätten, denn das sei überhaupt nicht üblich! Darauf entgegnete ich, die hätten aufgrund meiner Telefonnummer gesehen, dass ich Ausländerin sei! ;-)

Frustriert bat ich nach diesem missglückten Versuch einen ägyptischen Freund, für mich anzurufen. Das wollte er nicht, bot aber an, anderntags am Bahnhof in Qena zu fragen, denn er müsse sowieso dort hin. Eine halbe Stunde später rief er mir jedoch zurück und sagte, die Bähnler nähmen das Telefon nicht ab (sic!). Am nächsten Tag gab er mir dann Abfahrtszeiten durch, die mich nicht begeisterten, aber stimmten.

Zwei Stunden hatte ich schon allein wegen dem blöden Zugfahrplan vertrödelt, als ich im Internet auf Googleseite fünf oder sechs eine weitere Telefonnummer der Tourist Information in Luxor entdeckte. Ich wählte sie, es nahm aber niemand mehr ab. Es war halb elf Uhr nachts - in Ägypten somit überhaupt nicht spät! Ich rief anderntags wieder an – und die Nummer war richtig!! Die Auskunft hingegen war unvollständig und äusserst unfreundlich.
Ich konnte mir nun aber zusammen reimen, dass gegen Abend um 18 Uhr und kurz vor Mitternacht ein Zug von Luxor nach Assuan abfuhr. Das war sehr beruhigend. Ich würde ganz bestimmt rechtzeitig in Luxor ankommen, um den Abendzug zu erwischen.

Am Tag vor der Abreise fuhr ich zum Busunternehmen, um mich zu versichern, dass die Abfahrtszeit noch dieselbe sei, wie vor wenigen Wochen: 8 Uhr 30. Dem war so, doch der Angestellte empfahl mir, eine Stunde früher zu kommen, denn sie dürften nur fünf Ausländer mitnehmen. Fahrkarten würden am Vortag leider nicht verkauft, Reservationen nicht entgegen genommen.
Tja, so stand ich am Reisetag um viertel vor sechs auf, nahm ein Taxi und war um viertel nach sieben beim Busunternehmen. Unfreundlich hiess es: der Bus sei voll! Ich stand da wie versteinert… die Auskunft gestern hiess doch… bla bla bla. Ich bat um eine Erklärung. „Der Bus ist voll!“ Ich sagte, ich sei nun über eine Stunde früher da, wie mir gesagt wurde, und ich müsse heute Abend in Assuan sein. Der Mann bequemte sich schliesslich und erklärte mir, dass der Schalter um fünf Uhr früh geöffnet wird und halt schon Ausländer da gewesen seien, um Fahrkarten zu kaufen. Mir kamen die Tränen. Ich fragte, welche weiteren Möglichkeiten ich denn hätte, heute nach Luxor zu kommen (ich kannte diese sehr wohl). Man nannte den Namen der anderen Busgesellschaft, die ich mich weigere, je wieder zu benützen und über die selbst die Einheimischen schimpfen; und es gab die Peugeots, Autos aus den fünfziger Jahren, die alle möglichen Orte in ganz Ägypten verbinden. So eines hatte ich mal von Tanta nach Alexandria gebraucht. Ich liess mir erklären, wie ich per Taxi dorthin kommen könne, als der Angestellte plötzlich meinte, ich soll mal hinsitzen und warten.

Warten, ja. Warten muss man in diesem Land immer und ewig und überall. Ich bin schon sehr geübt – ich erkenne mich oft selbst nicht mehr! Ehrlich gesagt habe ich aber oft auch keine Alternative!


Ich trank einen Tee, ich schaute die Wartenden an, ich beobachtete den Verkehr, ich fror und war froh, als die Sonne kam. Ich ging aufs Klo. Bei der Gelegenheit fragte ich am Schalter nach Neuigkeiten – und siehe da: ich durfte mein Geld abgeben! Die Fahrkarten wurden erst verteilt, wenn der Bus bestiegen werden darf.


Ich war froh, aber auch erschöpft. Und der Bus kam nicht.
Ich wartete. Die anderen warteten auch. Nach eineinhalb Stunden kam er dann endlich – ich hatte zweieinhalb Stunden im Wintermantel gewartet. Mir wurde auch klar, weshalb ich doch mit fahren durfte: der Bus war nur zu einem Drittel voll.

Die Verspätung wurde dadurch aufgeholt, dass es keine Zigaretten- und Toiletten-Pause gab. Als wir gegen 14 Uhr in Luxor ankamen, suchte ich erst mal das berühmte stille Örtchen auf (in der Tourist Information: sehr sauber, 24 Stunden geöffnet!).


 

Sogleich ging ich zum Bahnhof, um mich um die Weiterfahrt zu kümmern. Abends um 18 Uhr sollte ein Zug fahren und ich wollte grad auch die Rückfahrkarte kaufen. Abfahrt in Assuan um fünf Uhr morgens und fünf Uhr abends. Wirklich? Ja! Gequält entschied ich mich für die morgendliche Fahrt. In Assuan erfuhr ich dann, dass es auch spätere Züge gibt…

Am Bahnhof deponierte ich auch meine Reisetasche, schliesslich wollte ich nicht vier Stunden lang mit meiner Reisetasche herumlaufen. Ein junger Polizist bot mir an, meine Tasche in seinem Büro aufzubewahren. Ich merkte aber, dass der irgendetwas anderes wollte und schaffte es wieder aus dem Büro hinaus, in die richtige Gepäckaufbewahrung.

Danach ging ich zum Büro des Busunternehmens, um mich um die Rückfahrt zu kümmern.  Letztes Mal hatte ich keine Fahrkarte mehr erhalten, da man diese vormittags reservieren muss, was nicht immer realisierbar ist. Ich brauchte also eine andere Lösung. Normal wäre ja: Karte kaufen. Doch das ging nicht, aber ich konnte meinen Namen aufschreiben lassen. Immerhin!

Die folgenden Stunden verbrachte ich spazierend und – natürlich – wartend in Luxor. Rechtzeitig machte ich mich wieder zum Bahnhof auf, holte meine Tasche und setzte mich auf eine Bank am Bahnsteig. Ich wartete. Wir warteten. Es wurde 19 Uhr. Kein Zug. Es war schon lange dunkel und kalt. Kein Zug. Es wurde eiskalt und mühsam. Niemand reklamierte, niemand fragte, niemand ging nervös auf und ab. In der Schweiz hätte das schon längst einen Aufstand gegeben! Kurz vor halb acht traf der ersehnte Zug dann endlich ein. Ich suchte meinen Wagen und meinen Sitz in der ersten Klasse. Der Sitz war schon belegt und ich machte es mir woanders bequem.

Die Grösse und Polsterung der Sitze entsprach eindeutig einem Erste-Klasse-Wagen. Alles andere widersprach so ziemlich jeder Vorstellung, selbst meinen Erinnerungen an Südamerika. Himmeltraurig! Aber es war warm da drinnen! Man bemerke dies bitte.

Kurz vor Mitternacht traf der Zug tatsächlich in Assuan ein. Ich nahm ein Taxi und fünf Minuten später war ich im Hotel. Was für eine Reise! So viele Stunden des Wartens für eine Strecke von 600 Kilometern. Ich war achtzehn Stunden unterwegs gewesen!


 
Den Aufenthalt in Assuan habe ich genossen, davon bei anderer Gelegenheit.

Was mich noch bedrückte, war die Rückfahrt. Ich ging anderntags erneut zum Bahnhof und zu meiner grossen Überraschung fand ich dort grosse Tafeln mit allen Abfahrtszeiten der Züge! Da gab es doch tatsächlich noch weitere Züge zwischen fünf Uhr früh und fünf Uhr nachmittags. Ich wollte mein Ticket umtauschen, liess es aber sein, weil zu viele Leute vor den Schaltern standen. Anstehen macht generell nicht viel Spass, in Ägypten erst recht nicht, denn die Ägypter drängeln alle. Da mein Arabisch nicht so gut ist und ich Drängeln hasse, warte ich oft bessere Augenblicke ab.

Der kam… aber zu spät. Als ich schlussendlich meine Fahrkarte umtauschen wollte, hiess es: geht nicht. Das muss 24 Stunden vor der geplanten Reise erfolgen! Meine Nerven waren nicht grad die Besten und diese unfreundliche Antwort setzte mir arg zu. Im Hotel meinte der Rezeptionist, dass er das zum ersten Mal höre. Ein Wartender fragte mich noch, auf welche Zeit denn mein Ticket ausgestellt sei – er würde es kaufen, doch er wollte gleichentags fahren.

Einmal mehr blieb mir keine Wahl, als mich in dieses saublöde, unlogische System in diesem Land zu fügen. Hier werden einem nur Schwierigkeiten gemacht; es gibt absolut nichts, um der Bevölkerung irgendetwas einfacher zu machen. Es ist System, alles so schwierig und mühsam wie möglich zu machen!

Schweren Herzens liess ich mich um vier Uhr morgens wecken, bestieg ein Taxi und kurz vor fünf den Zug. Viele „Sa‘idis“ lagen in ihre Tücher gewickelt im Zug – sie hatten wohl die Nacht hier verbracht. Ich suchte mir einen Platz, der halbwegs sauber war, was sich als sehr schwierig herausstellte.

Der Zug verliess Assuan pünktlich. Ich verliess meinen Sitz ebenfalls, denn Wasser rann von einer gebrochenen Leitung immer üppiger in den Wagen. Ausserdem war es eiskalt. Ich sass mit Strickjacke, Wintermantel, Wollmütze und einem Tuch über den Knien dreieinhalb Stunden in einem ungeheizten Zug – bei Aussentemperaturen von 8 Grad Celsius.

In Luxor suchte ich erst mal ein Kaffee auf, um mich aufzuwärmen. Die Vorstellung, bis abends um 20 Uhr in Luxor herum zu hängen und wieder zu warten, warten, warten, widerstrebte mir so sehr, dass ich mir erneut Rat in der Tourist Information holte. Das Neue dabei war: Peugeots sind Ausländern verboten, Taxi mieten ist teuer.

Nach einem weiteren heissen Kaffee entschied ich mich doch dazu, mit den Taxifahrern zu feilschen. Meine Ticketreservation für den Bus überliess ich Allah. Rasch sagte einer von ihnen zu, der Typ schien ok, das Auto sauber und los ging’s! Der arme Kerl hatte aber solche Angst vor den Radarkontrollen, dass er oft nur 50 km/h fuhr, was sich auf der Strecke von 220km ganz schön bemerkbar machte.

Nach über viereinhalb Stunden entstieg ich dem Taxi, müde, aber froh, nicht erst um Mitternacht in Hurghada angekommen zu sein.

Und dann war da noch die Hotelreservation… Davon schreibe ich jetzt aber lieber nicht auch noch!

Hat jetzt noch jemand Lust, auf „eigene Faust“ in Ägypten herum zu reisen? Der melde sich bitte bei mir: sobald ich mich erholt habe, mache ich mich erneut auf die Reise. :-))




Freitag, Januar 14, 2011

Unglaubliches geschieht in Tunesien

Unglaublich: ein Staatsstreich, hervorgerufen von der Jugend des Landes! Die arabische Welt blickt ungläubig und voller Entsetzen nach Tunesien.  Präsident Ben Ali ist aus Tunesien geflohen!

Ich empfehle: http://egyptianchronicles.blogspot.com/

Der Stein ist ins Rollen gekommen... er wird weiter rollen und neue Breschen aufreissen. Ich bin gespannt, wie lange es geht, bis das nächste Land endgültig aufsteht und sich wehrt. Die Zeit ist reif.

Freitag, Januar 07, 2011

Weihnachtsmesse in Sicherheit

Ich bin für ein paar Tage in Assuan. Und es ist Weihnachten, nicht katholische, sondern koptische. Und ich möchte mal eine koptische Weihnachtsmesse miterleben.

Doch durch die schreckliche Tat in Alexandria in der Neujahrsnacht ist alles anders als es sein sollte. Es gibt keine Weihnachtsfeier, nur eine Weihnachtsmesse zum Gedenken an die Opfer des Anschlages. Der ägyptische Staat hat versprochen, die Gotteshäuser (diesmal?) besser zu schützen, was er im ganzen Land mit einem massiven Sicherheitsaufgebot erfüllt hat.

Mein Taxi musste einen Umweg fahren, denn die direkte Strasse zur koptischen Kirche in Assuan war abgeriegelt. Die letzten Meter ging ich zu Fuss. Ich passierte mehrere Absperrgitter durch einen schmalen Durchgang. Jede Person wurde einzel mit einem Metalldetektor abgesucht. Ich musste meine Handtasche öffnen. Vor der Kirche durfte nicht telefoniert werden. Überall standen Polizisten, Militär, Sicherheitsbeamte in Zivil.

Auch auf dem Vorplatz der Kirch das gleiche Bild: Sicherheitsbeamte in Zivil, die einem höflich aufforderten, nicht herum zu stehen. Ich wollte einen Moment an den Rand des Vorplatzes stehen, um auf das nächtliche Assuan hinab zu sehen, sofort kam der Sicherheitsbeamte und bat mich, weg zu gehen.

In der Kirche selbst ging es so zu, wie ich es schon einige Male erlebt hatte: ein ständiges Kommen und Gehen, reden, lärmen, suchen, begrüssen und ... beten. Die Messe habe ich nicht verstanden und der Lärmpegel ist so hoch, dass es kaum auszuhalten ist. Doch solange ich anwesend war, drängten sich immer mehr Menschen in die Kirche - sie war zum bersten voll und immer kamen noch mehr, die an diesem besonderen Anlass dabei sein wollten.

Seltsam ist nur, dass in den ägyptischen Medien berichtet wurde, dass nur wenige Kopten in Oberägypten die Weihnachtsmesse besucht hätten. Seltsam, dass der Polizeistaat plötzlich fähig ist, auch ihre Minderheit zu schützen. Seltsam, wie plötzlich zu lesen ist, dass künftig genügend Gebetshäuser für Muslime und Kopten gebaut werden dürften, dass über ein Gesetz gegen Rassismus diskutiert werden soll...

Ob es mit den Reaktionen aus dem Ausland auf das Attentat zu tun hat? Der Druck steigt weiter und noch vieles wird anders werden.

Montag, Januar 03, 2011

Ziel: Koptische Gotteshäuser

In der Silversternacht verfolgte ich entsetzt die Nachrichten im Internet, welche über den tödlichen Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria berichteten. Die knallenden Feuerwerkskörper vor meinem Fenster interessierten mich nicht besonders - die reale Welt sah anders aus und zum Feiern war mir sowieso nicht zumute.

Da die meisten meiner ägyptischen Freunde Kopten sind, bin ich sehr sensibilisiert über das, was hier in Ägypten vorgeht; aber auch meine Schwäche für Minderheiten hat einen Einfluss.

In Hurghada gibt es keine öffentlich zugängliche katholische Kirche, deshalb gehe ich hie und da in die koptische Kirche. An Weihnachten nahm ich aus den Augenwinkeln war, wie ein Sicherheitsbeamter neben dem Eingang stand. Er lehnte gelangweilt an der Wand neben dem Treppenaufgang und unterhielt sich mit einem Bekannten. Ungehindert gingen Menschen ein und aus. So lassen sich die koptischen Gotteshäuser ganz bestimmt nicht vor Anschlägen schützen. Der Mann erschien mir schlichtweg lächerlich; er nahm seine Verantwortung überhaupt nicht war. Nicht viel anders sieht es an anderen Orten aus... gehandelt wird immer erst, wenn es schon zu spät ist, bzw. zuerst wird die Schuld auf andere geschoben und dann vertuscht. So geschah es auch in Naga Hammadi an den letzten koptischen Weihnachten.

Doch nun nehmen die Proteste im ganzen Land zu, die Kopten fordern mehr Schutz, mehr Rechte, Gleichheit... Das Fass ist übervoll.

Zu meinem Erstaunen wurde ich vor ein paar Tagen mit meinem Rennrad am Checkpoint ausserhalb Hurghadas erstmals angehalten und ausgefragt. Natürlich hatte ich weder einen Pass noch eine Identitätskarte in meinem verschwitzten Trikot. Ich ärgerte mich und konnte mich über die frechen Fragen fast nicht beherrschen - dem Offizier mir gegenüber ging es aber nicht anders, denn er liess sich zur Drohung verleiten "ich kann Sie auf den Polizeiposten bringen lassen" - was ich mit einem Schulterzucken quittierte. Wir bewahrten jedoch Haltung und ich wollte wissen, weshalb ich mich als Ausländerin innerhalb Hurghadas jederzeit ausweisen können muss. Die politischen Unruhen? Die gefürchteten Anschläge auf koptische Einrichtungen während dieser Jahreszeit? Er wich mit seiner Antwort aus - was mir aber genügte.

In den nächsten Tagen fahre ich nach Oberägypten, wo die Kopten zwar auch eine Minderheit, aber doch viel zahlreicher sind. Ich wollte an einer koptischen Weihnachtsmesse teilnehmen - diese sind jedoch im ganzen Land aufgrund der Ereignisse abgesagt. Man stelle sich das bei uns vor: keine Mitternachtsmesse an Weihnachten?

Sicher werde ich auch in Oberägypten Klöster und Kirchen besuchen - ich habe ein grosses Bedürfnis danach. Und ich hoffe, dass sie nun besser bewacht und gesichert sind. Nicht für mich - sondern für dieses Land, das zum Spielball anderer Mächte wird.

Ach ja, die ID vergesse ich meist ... heute hatte ich sie aber dabei.