Mittwoch, Januar 25, 2012

Ein Jahr Revolution

Während ich Winterferien zu Hause machte, hat sich Ägypten natürlich weiter bewegt. Bei den Parlamentswahlen (Unterhaus) haben die Islamisten – ich werfe jetzt mal alle in einen Topf – über 70% der Stimmen erhalten.

Da sitzen nun also diese schnauzlosen, Bart tragenden Männer, einige in traditionellen Gewändern wie zu Prophet Mohameds Zeiten, im ersten mehr oder weniger demokratisch gewählten Parlament. Für mich sind diese Männer (und die schwarz verhüllten Frauen – nicht im Parlament natürlich) auch nach mehreren Jahren noch immer jedes Mal ein Schock, wenn ich ihnen begegne.

Dieses Parlament hat vorgestern und gestern erstmals getagt und gleich für einige Aufregungen gesorgt. Einige fügten dem Schwur eigene Aussagen hinzu: Sie wollten nicht gegen den Koran verstossen; sie würden nur soweit handeln, als Gott es ihnen erlaube; aber auch jener wurde gedacht, die ihr Leben für Ägyptens Revolution liessen. Zum Parlamentssprecher wurde ein Muslim Bruder bestellt, der bis vor einem Jahr im Gefängnis (als Gegner des Regimes Mubarak) gesessen hatte. Die Parlamentarier haben die Führung des Landes – den Obersten Armeerat - scharf kritisiert. Gleichzeitig erwiderten sie seine Glückwünsche, indem sie der Armee für ihre Rolle während den vergangenen Monaten dankte! Klar aber lautete das Bekenntnis, dass die Revolution weiter gehe und die Parlamentarier sich für die Demokratisierung Ägyptens einsetzen würden. Mich wundert nur, was Salafisten mit Demokratie wollen…

Zum Gedenken an die Aufstände vor einem Jahr hat der Oberste Armeerat Feierlichkeiten angekündigt und der 25. Januar soll fortan ein Feiertag sein. Das war er vorher schon, nämlich zu Ehren der Polizei. Der Polizei-Feiertag wurde ja genau für die ersten Proteste auserkoren. Die Aktivisten sehen keinen Grund zum Feiern und die stärkste politische Kraft – die Muslim Brüder – tun das eine und lassen das andere nicht: sie feiern mit dem Obersten Armeerat und gehen auf den Tahrir Platz. Ein schönes Beispiel dafür, wie sie es so weit gebracht haben!

Gestern hat Tantawy angekündigt, dass das verhasste und gefürchtete Notstandsgesetz „mit Ausnahmen“ aufgehoben werde. Eine schöne Geste – aber alles andere als klar und eindeutig. Ausserdem werden rund zweitausend politische Gefangene aus den Gefängnissen entlassen. Viele weitere Tausende warten jedoch weiterhin auf faire Prozesse. Zu den Freigelassenen gehört auch jener Blogger, der über vier Monate im Hungerstreik war und einmal sogar in die Psychiatrie eingeliefert worden war.

In Kairo sind heute Märsche aus verschiedenen Stadtteilen in Richtung Tahrir Platz angekündigt; letzte Nacht war der zur Ikone gewordene Platz voll bepackt mit Demonstranten und heute früh waren die ersten schon wieder anwesend. Auch in anderen Städten Ägyptens sind Märsche geplant – kaum zu den Feierlichkeiten wie dies der Armeerat angeordnet hat.

Ein Jahr ist es jetzt her. Ich erinnere mich gut daran, wie man davon sprach, dass es am 25. Januar 2011 landesweit zu Protesten kommen solle. „Nicht in Hurghada“, war eine Aussage. Die war richtig. „Das hört so schnell wieder auf, wie es angefangen hat“, „Mubarak wird das nicht zulassen“, „unmöglich“, „nichts, aber auch gar nichts wird sich verändern“. Das waren andere Aussagen von Ägyptern. Ich schaute die Leute damals ungläubig an. Ihre Aussagen waren falsch.

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