Samstag, Januar 28, 2012

Momentaufnahme vom 27. Januar 2012

Gestern wurde in weiten Teilen Ägyptens gegen den Obersten Militärrat und für eine sofortige Machtübergabe an eine zivile Übergangsregierung demonstriert. Der Oberste Militärrat wird nun offen als Lügner angeprangert und Aktivisten zeigen als Beweis Videos, denn die „Sofapartei“ (jene „schweigende Mehrheit“) vertraut nach wie vor den Parolen des Militärrates. Die Muslim Brüder beugten sich dem Druck der Demonstranten und nahmen ihr Plakat zur Feier des Jahrestages vom 25. Januar herab. Zum Feiern gibt es nämlich nichts. Gar nichts.

Es gab keine Schlägereien, Steinhagel und Schüsse, aber Gewalt. Gewalt gegen Frauen: eine unbekannte Anzahl Frauen wurde unabhängig voneinander von einer Gruppe Männern umringt, die ihnen die Kleider vom Leib rissen und sie sexuell belästigten! Das scheint eine weitere Strategie der Demokratiegegner und Regimebewahrer zu sein, um die Demonstranten einzuschüchtern. Erstere haben scheinbar noch nicht kapiert, dass diese Strategie nicht funktioniert: je mehr Druck, Gewalt und Einschüchterung – umso mehr werden sich die Aktivisten Gehör schaffen.

Währenddessen unterhielt ich mich mit einem Freund. Unausweichlich kamen wir auch auf die aktuelle Lage im Land zu sprechen. Dieser Freund beschloss im Dezember 2010 – kurz vor Ausbruch der Aufstände - sein eigenes Geschäft mit selbst entworfenen, handgewobenen Baumwolltüchern zu eröffnen. Seither sucht er ein Ladengeschäft. Nicht dass es daran fehlen würde, oh nein. Hurghada besitzt mittlerweile eine ansehnliche Auswahl an leer stehenden Geschäften, auch an guten Lagen. Aber das Irrwitzige daran ist, dass die Mieten immer noch astronomisch hoch sind. Deshalb hat sich mein Bekannter nicht durchringen können, sein eigenes Geschäft zu eröffnen.

„Manchmal möchte ich aus Ägypten weg“ sagte er mir. Es wäre für ihn ein Leichtes: in den USA und Kanada wohnen Verwandte. Aber er will nicht, denn „ich liebe Ägypten, es ist mein Land!“ Er hat Angst vor dem, was noch kommen wird. Für ihn ist auch klar, dass die Wahlen eine einzige Fälschung waren und der Militärrat und die Muslimbrüder eine Abmachung haben. Zwischen dem jetzigen Parlament und jenem vom alten Regime gäbe es keinen Unterschied: beide wurden bzw. werden von einer Macht (damals die NDP, heute die Partei der Muslim Brüder) dominiert und die Minderheit hielt/hält den Mund. Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt auch so ist. Bald werden wir’s ja sehen.

Sein Telefon läutet zum fünften Mal. Sein Bruder: eine Gelegenheit für ein Ladenlokal. Wir verlassen das Café und marschieren eine halbe Stunde lang über die fast leere Fussgängerpromenade unter einem wunderbaren Sternenhimmel bis zum Geschäft seines Bruders. Der kommt aber erst nach dem Fussballmatch… Das Leben muss weitergehen, auch hier.


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