Demonstrationen gegen das Demonstrationsgesetz
Lange habe ich mich nicht mehr gemeldet, ich hatte zu tun
und Ägypten war damit beschäftigt, den Muslimbrüdern den Garaus zu machen. Die
sind jetzt hinter Gitter, im Ausland und mundtot, auch wenn noch da und dort
Anschläge gegen Soldaten und Staatseinrichtungen erfolgen und Wehrpflichtige
sterben.
Die Verfassungsänderungen geben zu diskutieren und
gleichzeitig hat der Übergangspräsident ein Gesetz erlassen, welches das Recht
auf Demonstrationen stark einschränkt. Ist das der Job eines
Übergangspräsidenten: Gesetze zu erlassen, welche die Freiheiten noch weiter
begrenzen?
In Diskussionen las ich: „Na und? Was ist daran so stossend?
– Jedes westliche Land hat ein Demonstrationsgesetz“. Ok. Aber in Ägypten ist
Demonstrieren die einzige Möglichkeit, den Mund gegen das Regime, gegen die
Mächtigen und gegen Ungerechtigkeit aufzumachen. Die Stimme der Strasse hat Gewicht
- auf anderem Weg (Antrag, Referendum Petition, Anklage usw. wie in den
sogenannten demokratischen Staaten) läuft in diesem Land nichts – ausser, man
hat die richtigen Beziehungen und viel Geld. Unter anderem verlangt das gestern
erlassene Gesetz, dass Demonstrationen vom Innenministerium bewilligt werden
müssen. Genau das Innenministerium ist aber für die meisten Missstände
verantwortlich und Auslöser für Demonstrationen.
Logischerweise gab es heute gegen dieses neue Gesetz
Demonstrationen – trotz Warnungen. Und nicht nur gegen dieses Gesetz, sondern
auch gegen den Verfassungsartikel, der es ermöglicht, Zivilisten durch
Militärgerichte aburteilen zu lassen. Ferner demonstrierten Aktivisten in
Memorandum an Jika, den 17jährigen Aktivisten, der vor einem Jahr gezielt
erschossen wurde. Alle Proteste verliefen friedlich, wohlgemerkt.
Die Polizei setzte jedoch Wasserwerfer und Tränengas ein, um
sie zu vertreiben und nahm angeblich über 50 Demonstranten fest. Begründung:
das Gesetz sei einzuhalten. Da kann ich mir die Frage nicht verkneifen: gibt es
sonst noch irgendein Gesetz, das in Ägypten eingehalten wird??? So spontan
fällt mir grad keines dazu ein. Das ist kein Witz, sondern traurige Tatsache.
Gegen das Vorgehen der Polizei – unschwer zu erraten –
demonstrierten Hunderte von Menschen. Die Polizei reagierte umso brutaler und
setzte nicht nur Tränengas ein, sondern schoss Schrotkugeln in die
Demonstranten. Frauen wurden sexuelle belästigt, an den Haaren gezerrt und geschlagen.
Männliche Demonstranten willkürlich geschlagen.
Aus Protest gegen die deplatzierte Gewalt der Polizei haben 10
Mitglieder des Verfassungskommitees ihre Arbeit niedergelegt und deren
Vorsitzender hat den Innenminister aufgefordert, die festgenommenen
Demonstranten umgehend wieder frei zu lassen.
Was heute geschehen ist, stellt für mich eine von vielen Wegmarkierungen
auf dem holprigen Weg aus dem Dschungel von Korruption, Diktatur und
Polizeigewalt in eine eigene Demokratie dar. Der Weg verläuft im Zickzack und
jetzt grad wieder mit Riesenschritten rückwärts. Denn:
- Die Ägypter gingen am 25.1.2011 wegen der Brutalität der Polizei auf die Strasse
- Die Ägypter haben am 25.1.2011 Freiheit gefordert; Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit sind jetzt aber noch mehr eingeschränkt
- Die Ägypter haben am 25.1.2011 Gerechtigkeit gefordert; die ist nun in weite Ferne gerückt.
Ist die Polizei blöd oder vergesslich? Glaubt das
Innenministerium tatsächlich, sie könnten die Menschen mit Brutalität davon
abhalten, auf die Strasse zu gehen und dort ihre Forderungen kundtun? Haben die
da oben vergessen, dass die Menschen keine Angst mehr haben und umso
zahlreicher auf die Strassen und Plätze stürmen, je brutaler die Polizei
zuschlägt?
Ich begreife es nicht. Ich sehe nur, dass sich viele
verschiedene Kräfte um die Macht in diesem Land streiten. Die Muslimbrüder sind
jetzt aus dem Spiel. Wer steht sich jetzt gegenüber? Jene, um die es von Anfang
an ging: das alte Regime und das Volk.
Fast wie im Spiel: die Karten sind neu gemischt, die verbleibenden Gegner
sehen sich in die Augen: wer ist der Stärkere? Wie lange dauert der nächste
Einsatz?
Mir graut und doch habe ich immer wieder Hoffnung, denn es
könnte noch schlimmer sein: Ägypten ist nicht Syrien.
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