Samstag, September 19, 2015

Leichtigkeit

Leicht kuscheln die Wellen an den Sand, unsicher, flüchtig, ziehen sie sich wieder zurück. Die rauen Sandkörner, zerbrochenen Muscheln und Korallenstücke summen zusammen mit dem Wasser eine beruhigende Melodie.

Eine Wolke wie eine umgekehrte Pyramide streckt sich über die Bucht, hüllt sie in Schatten, der um diese Jahreszeit willkommen ist. Ein paar verlorene Schäfchenwolken driften davon.

Sanfte Wellen tragen den Schwimmer, verwöhnen ihn behutsam, heilen seine Seele.

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Wortfetzen wie Ohrfeigen fliegen mir zu: eine äthiopische Nanny wechselt einem ägyptischen Kleinkind die nassen Badehosen, setzt es ins Tragbett und bindet es an. Mit schnalzenden Tönen versucht sie das Kind zum Essen zu begeistern. Die junge Mama spielt derweil im Wasser mit den anderen: Kindern und Männern.

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In Englisch erklärt ein Ägypter seinem Kind, dass es mit der Tauchmaske und der Schwimmbrille sieht, was im Wasser drin ist. Beides setzt er ihr auf und jedes Mal rennt das Mädchen im rosaroten Badeanzug ins Wasser. Weitere englische Laute… zu laute Laute… ich wechsle den Platz.

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Die Pyramide hat sich in Nichts aufgelöst. Le grand bleu – so poetisch nennen die Franzosen das, was wir in Deutsch „stahlblauer Himmel“ nennen. Warum „Stahl“? Was hat das mit diesem wunderbaren Blau zu tun? Wie unpoetisch von uns. Das ewige Blau fasziniert und setzt sich im klaren Wasser fort. Irgendwo dazwischen kreuzt ein Surfer über das Blau hinweg.

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Eintauchen in mein Buch, das mich fort, nach Aserbeidschan führt, wo es im Winter minus 30 Grad wird und die Menschen barfuss im Schnee gehen, weil sie so arm sind. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts war das so. Schreibt N.B. Er und sein Freund haben sich damals aufgemacht, per PW von der Westschweiz bis Indien zu fahren. Damals ein Hürdenlauf an Bürokratie, deshalb der Winter in Täbris. Heute? Wahrscheinlich unmöglich.

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„Meine Mutter hat uns einfach verlassen. Jahrelang liess sie nichts von sich hören…“ Wieder höre ich unfreiwillig Laute, Worte, Sätze. Doch diesmal kann ich nicht weghören und nicht woanders hingehen. Die Stimme, die einem gross gewachsenen Ägypter gehört (warum nur redet er mit seiner ägyptischen Partnerin Englisch? Die Oberschicht tut das…) fährt fort: „… sie war weg, mein Vater in Saudi Arabien… ich war auf mich allein gestellt, wusste oft nicht, was tun… Freunde fragen, Rat im Fernsehen holen… jetzt ruft sie jeden Tag an… eine Wohnung, ein Auto kaufen… ich will nicht, sie kann das nicht mehr gut machen… für mich ist sie einfach irgendeine Frau…“

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Die Leichtigkeit kommt in Gefahr. Ich nehme sie mit und gehe.

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