Mittwoch, November 18, 2015

In den Mühlen der Bürokratie (I)

Seit Anfang August gelten neue Regeln, um ein Visum zu verlängern. Ganz klar sind die Regeln noch nicht, es scheint aber, dass jeder, der nicht vom Flughafen einen Stempel im Pass hat – also sein Visum immer wieder verlängern liess – zuerst einen Wartestempel erhält. Der Staatssicherheitsdienst prüft dann den Antragsteller und das dauert offiziell zwei Monate; wegen Überlastung dauert es aber länger.

Danach gibt es je nach Fall ein befristetes Visum. Einige Antragsteller wurden auch gebeten, das Land (vorübergehend) zu verlassen, sie seien schon zu lange hier gewesen. Ein Visum vom Flughafen bei der Einreise ist erwünscht. Das praktische Rückreise-Visum ist offenbar abgeschafft worden; wer ausreist, verliert sein Visum und fängt neu mit dem Flughafen-Visum an und durchläuft dann den ganzen Prozess mit Antrag, Wartefrist usw. von neuem. Alle drei oder sechs Monate – je nachdem halt.

Ohne gültiges Visum kann man aber seinen Fahrzeugausweis nicht verlängern und ohne Fahrzeugausweis kann man keine Fahrzeugversicherung verlängern. Man kann weder Bankkonto eröffnen, noch ein Fahrzeug oder Immobilien kaufen.


Das macht mulmig. Ganz schlimm ist die Situation für jene, die illegal hier leben, weil sie ihr Visum nie mehr verlängert haben. Meist betrifft das Osteuropäer.

Um dem Durcheinander ein Ende zu setzen, haben drei Frauen auf Facebook eine Gruppe gegründet, um Informationen auszutauschen; das Vorgehen der Behörden lässt auf Willkür schliessen. Sicher ist, dass es an Kommunikation und Information seitens der Behörden fehlt. Die Facebook-Gruppe hat deshalb einen Brief an den Gouverneur von Hurghada geschrieben, um Klarheit zu bekommen. Die Antwort steht noch aus.

Die Fristen laufen jedoch und jetzt war ich an der Reihe. Dank der Gruppe habe ich erfahren, dass mit einem registrierten Mietvertrag die Chancen auf ein Halbjahres-Visum steigen. Das war

Schritt eins
Der Mietvertrag ist in Englisch und Arabisch, sicherheitshalber habe ich um eine dreijährige Mietdauer gebeten – das könnte mir künftig den Weg ins Registrierungsbüro „Shahr El Akary“ ersparen. Diesmal musste ich jedoch hin. Ich war da schon letztes Jahr, da der registrierte Mietvertrag auch Basis für den Autokauf war.

Ort und Lage sind mir also bekannt, das Prozedere weniger. Ich war früh dort, noch bevor sich die Herren Beamten mit ihren Teegläsern an ihre Pulte setzten; sie quatschten noch. Ein junger, hochgewachsener Mann mit rosa Hemd und Gilet wurde von den Mitleidenden aufmerksam beobachtet. Als er sich zu seinem Arbeitsplatz begab, stürmten alle zu ihm. Ein paar Worte später war es wieder leer bei ihm – er registriert nicht alle Papiere. Das war mein Moment: ich hielt ihm meinen Vertrag hin und er nickte. Doch zuerst müsse ich zum Übersetzer. Zum Übersetzer? Der Vertrag war doch schon zweisprachig? Ich ging zu dem jungen Mann, den ich schon von früher kannte. Er verglich Daten und Namen, fügte meinen Namen in Arabisch ein und fing an, mir den Inhalt zu übersetzen. Ich unterbrach ihn und wies ihn darauf hin, dass Englisch ja daneben stehe. Aha! Also, retour zum jungen hochgewachsenen Mann mit rosa Hemd und Gilet. Der schickte mich aber wieder weg, ich müsse zuerst bezahlen. Wo? Ein Mitleidender mit Brille zeigte mir ein kleines Räumchen, vor dem sich mehrere Männer und eine Frau drängten. Frauen dürfen vor, ich also auch – mit schlechtem Gewissen. Die junge Frau schrieb in ein riesiges Buch, gab Papiere zurück, kassierte Geld ein. Meines wollte sie nicht. Ich müsse zuerst noch woanders hin. Wohin denn? Warum denn? Keine Ahnung, aber retour. Der Mitleidende mit Brille von vorhin zog mich in den ersten Raum zurück, wo eine andere blasse, junge Frau gelangweilt vor ihrem Tee sass. Sie nahm meinen Vertrag entgegen, blickte drauf, kritzelte was darunter und gab ihn mir wieder. Zurück zur jungen Frau im kleinen Räumchen. Jetzt durfte ich bezahlen, 15 Pfund. Zwei Stempel. Huch, eine Hürde geschafft. Zurück also zum jungen hochgewachsenen Mann im rosa Hemd mit Gilet. Ich wartete, bis er die Papiere der runden Ägypterin vor mir in sein Buch notiert hatte. Einen halben Roman schreibt er, darunter kommen kunstvolle Kurven und seine Unterschrift. Ich lächelte – das hilft immer. Er packte meinen Vertrag, kopierte den Inhalt in sein tolles Buch, beendete den Eintrag mit einer kunstvollen Kurve und seiner Unterschrift. Mein Vertrag erhielt drei oder vier Stempel und noch seine Unterschrift. Lächelnd nahm ich das Ding entgegen und wollte erleichtert von dannen ziehen, als mir der junge hochgewachsene Mann im rosa Hemd mit Gilet sagte, ich müsse noch zum Direktor. Der stand hinter mir, ernst blickend, so alt und grau wie das ganze Gebäude. Er ging zurück zu seinem Büro, sperrte das Vorhängeschloss auf, setzte sich würdig hinter seinen Schreibtisch und drückte nochmals einen oder zwei Stempel auf meinen Vertrag. Ich weiss nicht mehr genau; insgesamt sind es jetzt sieben.

Geschafft. In nur etwas mehr als einer halben Stunde. Das ist fast Rekord!

Schritt zwei
Mit zwei Kopien vom registrierten Mietvertrag, einem Foto, drei Kopien von meinem Pass und zwei Kopien von meinem letzten Visum und dem letzten Einreisestempel (zum Glück alles auf einer Seite), fahr ich ins Passbüro. Ausnahmsweise erklärt der junge Mann sehr freundlich und ausführlich, was er braucht – das weiss ich ja schon – und dass ich nur einen Wartestempel und nach einer Wartefrist – während der der Staatssicherheitsdienst Informationen über mich einholt – ein Visum erhalte. Genau das hatte ich befürchtet und ich sagte ihm, ich müsse aber meinen Fahrzeugausweis verlängern. Nicht sein Problem; wenn ich den Wartestempel am nächsten Tag abhole, könne ich mich an den Chef wenden.

Das mache ich nicht. Einer meiner Studenten hat nämlich gemeint, ich soll ihm sagen, wenn ich mein Visum beantrage. Prompt öffnen sich mir da unbekannte Türen, die mir Zeit und zermürbende Ungewissheit ersparen.

Mein Student „kennt Jemanden“ an der richtigen Position. Das beschleunigt das ganze Prozedere so sehr, dass ich am Folgetag zwar eineinhalb Stunden in den Räumen des Staatssicherheitsdienstes und des Passbüros warte, aber dann mit einem Wartestempel plus Visum von neun Monaten (ein Jahr seit meiner letzten Einreise) im Pass hinausspaziere.

Wie geht das? Mein Student ist Manager eines Hotels. Das wird gerne genutzt. Und wie sieht das in der Buchhaltung aus? Mein Student erklärt mir, dass das offen unter „Beziehungspflege“ verbucht wird. Würde er den Herren mit ihrer Entourage nicht diesen „Gefallen“ tun, könnte ihn das teuer zu stehen kommen. Die Behörden könnten ihm irgendeine „Busse“ von Hunderttausend Pfund aufdrücken oder Schlimmeres. So läuft das hier. Eine Hand wäscht die andere und drückt mal eine oder gar alle Augen zu.

Warum ich trotzdem eineinhalb Stunden warten musste? Die kannten mein Heimatland nicht und mussten sich zuerst im Internet darüber informieren. So habe ich ungewollt zur Verbesserung der Allgemeinbildung beigetragen.

Das Visum habe ich jetzt also. Verlasse  ich Ägypten, verliere ich es und muss neu mit einem Visum am Flughafen beginnen. Der Mann im Passbüro meinte grinsend, ich bekäme dann wieder einen Wartestempel und könne dann wieder Herrn X anrufen, um das Prozedere zu beschleunigen.

Warum das alles? Erklärt wird das komplizierte Vorgehen mit der Terror-Gefahr. Fakt ist jedenfalls, dass jeder hier lebende Ausländer neu normalerweise zweimal pro Jahr das Land verlassen muss. Das Geld für Flug, Verkehrsmittel, Hotel und anderes gibt er im Ausland aus, statt in Ägypten. Es wird vermutet, dass die Ministerien auch in diesem Fall nicht miteinander kommuniziert haben. Ausserdem werde ich den naheliegenden Verdacht nicht los, dass bestehende Arbeitsplätze erhalten werden und einfach ein paar Stempelträger mehr gebraucht werden. Die Stapel, die ich heute im Büro eines Polizisten gesehen habe, lassen nichts Gutes vermuten.

Den nächsten Schritt, die Verlängerung meines Fahrzeugausweises, nehme ich kommende Woche in Angriff.





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