Dienstag, November 14, 2017

Verlässlichkeit Stufe Null

Mehrere strube (Duden: schweizerisch mundartlich für struppig; schwierig) Wochen liegen hinter mir – vor mir wahrscheinlich auch wieder.

Die Nachfrage nach Deutsch-Unterricht bricht nicht ab. Das ist ja gut für mich und zeigt, dass der Tourismus aus deutschsprachigen Ländern zunimmt. Zusätzlich kam ich in den Genuss von längeren Übersetzungsprojekten. Spannend, zeitintensiv und lohnend. Mein Blog kam zu kurz, doch auch anderweitiger Ausgleich litt. Mein eh nicht so stabiles Nervenkostüm wurde etwas strapaziert – die Frustgrenze lag recht tief.

Zwischen der Vorfreude auf etwas ruhigere Tage und der Sorge, ob denn weitere Aufträge kommen würden, werde ich wieder in die erbarmungslose Realität geworfen: Neue Chancen, alte Unzuverlässigkeit und betrübliche Nachrichten einer lieben Freundin – alles miteinander und noch mehr.

Ein holländischer Bekannter, der ähnlich tätig ist wie ich, beklagt sich regelmässig darüber, dass Verabredungen (von Ägyptern) nicht eingehalten werden. Bei unserem letzten Treff meinte er, drei wären am Vormittag nicht gekommen! Ich versuche ihn zu trösten, denn wir Ausländer können das nicht ändern. Wir können nur ändern, wie wir damit umgehen.


Einfach gesagt, schwierig gemacht. Denn seit zehn Tagen bin ich an der Reihe. Nein, drei Wochen schon. Beinahe täglich hagelt es entweder Absagen oder eben „Nicht-Einhalten-von-Verabredungen“ herein. Da wird man angerufen, um Termine angefleht, hört sich langwierige Erklärungen an und wenn man den Typen dann eine Chance gibt, früh aufsteht, parat ist – dann tauchen sie nicht auf. Oder sie haben schon an ein paar Lektionen teilgenommen und finden, dass es eine psychisch zu grosse Belastung ist, wenn ich nicht noch weitere Fotokopien zur Verfügung stelle.

Oder man muss dringend nach Kairo. Das ist wohl der häufigste Grund. Dazu muss man aber wissen, dass alle Hundert Millionen Einwohner, oder zumindest der erwachsene Teil, fast wegen jedem offiziellen Papier nach Kairo pilgern müssen.

Eine russische Dame flehte mich an, ihrem Töchterchen Nachhilfe in Französisch zu geben, was ich noch so gerne mache. Einziges Problem: einen Termin finden. Zweimal kam die zerstreute Mutter und jammerte, es sei ein Problem wegen dem Freitagsgebet, das ihr Mann besuchen müsse/wolle oder was weiss ich. Das dritte Mal kam sie nicht mehr. Sie wollte ihr Geld zurück. Und die Stunde, für deren Vorbereitung ich zwei Stunden lang gearbeitet hatte, wollte sie nicht bezahlen. Sie betitelte mich dann als Lügnerin (die Übungen habe ich ihr dann aber auf WhatsApp geschickt) und Betrügerin. Sowas schlucke ich nicht einfach so runter. Muss sich auch niemand wundern, wenn ich auf Russen schlecht zu sprechen bin – es war nicht das erste Mal. Ich vermute Taktik dahinter.

Ein Teenager, der schon seit Jahren zu mir kommt und der von mir riesige Unterstützung erhält, ist am Freitagmorgen nicht gekommen. Die Mutter stand zehn Minuten vorher an meiner Tür; da ich aber mit der Zahnbürste im Mund aufmachte, hat sie nichts gesagt. Und eine halbe Stunde vorher musste ich einem Freund eine Absage geben. Ich bin fast geplatzt vor Wut.

Heute Morgen hätte ein mit einer deutschen Frau liierter Mann kommen sollen. Er hatte mich über WhatsApp mit Nachrichten überschüttet und mich dann am Telefon von seiner Klugheit und Intelligenz vollgequasselt. Dass er keinen Respekt hat, hat er mir nicht gesagt. Solche Fälle erlebe ich regelmässig. Alles in allem ist mir in den vergangenen drei Wochen über eine halbe Arbeitswoche Einkommen verloren gegangen. Dabei führe ich eine Warteliste!

Eine junge Mutter kam beim ersten Unterricht mit ihrem Kind; ein andermal rief sie vom Krankenhaus an, ihr Kleinkind hätte Fieber. Das war aber schon, nachdem sie hier hätte sein sollen. Wusste sie das vorher nicht? Dazu muss man noch wissen, dass hier wegen jedem Husten jeder zum Arzt oder ins Krankenhaus fährt. Hausmittel oder sich selbst helfen existiert hier nicht. Jedenfalls kam sie noch ein oder zweimal nicht, entschuldigte sich aber jeweils. Am Montag kam sie gar nicht mehr. Sie ist Ingenieurin, also gebildet und an Geld fehlt es nicht. Wahrscheinlich hat sie sich geschämt, wieder abzusagen und sich deshalb nicht mehr gemeldet. Als ob das der bessere Weg wäre!

Auf einem langen Marsch in der Wüste habe ich mich heute beruhigt, an meinen holländischen Kollegen gedacht und überlegt, wie ich noch etwas besser mit dieser Situation umgehen kann. Ich habe ja keine Lust, mich ständig aufzuregen. Zu meinen relativ harten Geschäftsbedingungen kommen jetzt halt noch weitere hinzu. Und die anderen kriegen keine sogenannte zweite Chance mehr. Sie bekommen nicht mal eine Nachricht. Auch nicht die Mama mit ihrem Teenager, die ich seit Jahren unterstütze.
Das tut weh. Aber entweder ich oder sie. Das Leben hier lehrt mich das. Immer wieder von neuem.

*****

Und während ich mir etwas den Frust von der Leber schreibe und euch Lesern vielleicht einen Einblick in hiesige Un-Gepflogenheiten verschaffe, stopfe ich mir den Bauch mit köstlichen Keksen voll, die mir gestern zwei Studenten geschenkt haben; eine riesige Platte aus einer der besten Bäckereien! Aus Dankbarkeit für meinen Unterricht, aus Freundschaft. Auch das kommt immer wieder vor!


2 Kommentare:

  1. Hallo, Qamar! Habe eben Deinen Frust-Bericht gelesen. WIE sehr kann ich nachfühlen, was Dir in den letzten Wochen geschehen ist... ich gebe selbst seit mehr als 35 Jahren Unterricht in Deutsch + Fremdsprachen - arbeite fächerübergreifend ... und kenne diese teilweise große Nachlässigkeit von Schülern, gleich welchen Alters bzw. Bildungsstufe. - Und das geschieht in Deutschland. Durch mehr als 55 Aufenthalte in Ägypten kenne ich - ein ganz klein wenig - die "Lässigkeit", mit der viele Einheimische Treffpunkte oder Termine behandeln - auf Deutsch familiär ausgedrückt: schlumperig, nee: schlampig und pampig... - Trotzdem machen mir "meine" Kinder Freude. Ich wünsche Dir zukünftig eine Lederhaut...(!) und eine Warteliste, von der Du jede/n rigoros streichst, wenn sie mehr als einmal ohne Absage Termine verschlampern. Toi-toi-toi!

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  2. Hallo Horeya, danke für die Aufmunterung :)

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