Dienstag, April 10, 2018

Wenn Religion bunte Blüten treibt


In den Jahren, die ich in dieser Weltgegend verbracht habe, hat sich meine Meinung über Religion geformt. Nein, nein! Darüber schreibe ich nicht. Ich finde, jeder soll für sich selbst seine Form von Religion finden – oder eben nicht. Nur soll sie mir niemand aufzwingen.

Doch genau das kommt hier immer wieder vor und daraus ergeben sich manchmal witzige Situationen.

Religiöse Segregation
Bei meinem ersten längeren Aufenthalt in Alexandria gab man mir zu verstehen, dass ein gläubiger Muslim keiner Frau die Hand geben dürfe. Ich fühlte mich verwirrt, wusste nicht mal recht, ob ich mich vor den Kopf gestossen fühlen sollte oder nicht. Eine andere Kultur? Muss wohl sein. Komischerweise hat der Ehemann meiner Bekannten mit der Zeit eine Ausnahme gemacht und mich per Handschlag begrüsst! Ich war in die Familie aufgenommen worden, wurde zu Festen eingeladen und erhielt Geschenke.

Genauso seltsam empfand ich die Vorgabe, dass sich ein Lehrer mit einer Studentin (und umgekehrt, natürlich auch) nicht alleine im Klassenzimmer aufhalten dürfe: Die Türe musste offen bleiben. Ich sagte mir damals „Andere Länder, andere Sitten“ und schüttelte den Kopf darüber. Soziale Normen widerspiegeln Werte und Denken einer Gesellschaft. Fallen denn Männlein und Weiblein übereinander her, sobald die Türe zu ist? Was für seltsame Werte…

Jeder interpretiert anders
In meinem Umfeld in Hurghada werde ich selten mit so krassen Normen konfrontiert. Es kommt aber doch vor. Da hat einer meiner Studenten jeweils sein Rucksäckchen liebevoll und sanft aufs Sideboard gelegt, nicht an den Stuhl gehängt oder auf den Boden gestellt. Ich fand das komisch und fragte irgendwann nach dem Grund. Die Antwort: „Mein Koran ist drin“. Und den darf man nicht auf den Boden legen, selbst wenn der Boden sauber ist (soziale Normen widerspiegeln Werte und Denken einer Gesellschaft – auch meiner!). Nein, das gehe aus Respekt nicht! Da wusste ich nicht, ob ich nun lachen oder ernst bleiben sollte. Sicherheitshalber schwieg ich.

Dieser Mann hat den Bogen aber überspannt. Er lud mich zu einem „Kaffee“ ein. Für mich heisst das „etwas trinken und quatschen“. Er nahm eine Stunde Busfahrt bis zu mir auf sich. Das war mir recht, so musste ich nicht in die Stadt. Während ich die Menükarte in unserer Trattoria studierte, plapperte ich vor mich hin „Wein oder doch ein Bier?“. Er meinte dann, ob ich nicht lieber einen Tee trinken wolle? "Nein, sicher nicht, ich trinke tagsüber literweise Wasser und Tee und abends ein Glas Wein oder ein Bier." Der gute Mann erwiderte dann völlig entsetzt „But I can’t pay you a beer!“ (übersetzt: aber ich kann dir kein Bier bezahlen!). Ohne zu überlegen erklärte ich, dass ich das auch selber kann.

Ich entschuldigte mich, um rasch in die Wohnung hinauf zu gehen; ich wollte den Mückenspray holen, bevor mich die Mücken attackieren würden. Als ich zurück kam, stand mein kleines Bierchen einsam und verloren auf einem der Tische… Der Mann sass in sicherer Distanz an einem anderen Tisch. Erstaunt fragte ich, warum er denn plötzlich dort sitze.

Er meinte, er könne nicht mit mir an einem Tisch sitzen, wenn ich Alkohol tränke. Er schob nach: „Das ist verboten.“

Was???

Ich müsse das doch respektieren…. „Ja, aber nicht akzeptieren,“ hörte ich mich sagen. „Das ist ja lächerlich!“, rutschte mir heraus. Ich bezahlte – auch seinen Espresso – und stürmte davon. Na sowas!

Nachtrag: Der gute Mann arbeitet als Tauchlehrer, sieht sich also täglich halb nackten Touristinnen ausgesetzt, die Alkohol trinken. Ach du Schreck!

Da habe ich Bekannte, die trinken Alkohol, rauchen Haschisch und sind gläubige Muslime. Da gibt es solche, die meinen, Alkohol zu berühren (nicht zu trinken!) wäre ein Schwerverbrechen. Einer brachte mir mal eine Rum-Schokolade (es war kein Rum drin, nur Rumaroma), in Alufolie eingewickelt; er entwickelte die Tafel, als ob sie Gift enthielte…

Jeder interpretiert hier wohl frei nach Schnauze oder so, wie es ihm eingebleut worden ist. Ich staune. Immer wieder von Neuem über die Vielfalt der bunten Blüten…




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