Mittwoch, April 17, 2024

Kurzaufenthalt in Hurghada

Die Türe geht auf und eine weibliche Stimme ruft konsterniert „Welcome to Egypt!“. Aus meiner Toilettenkabine heraus erwidere ich „Exactly!“.

Frappant springen dem Reisenden die Unzulänglichkeiten ins Auge: Ungepflegt, unsauber, unordentlich. Hurghadas  Flughafen nennt sich immerhin international und Ägypten lebt zu einem grossen Teil vom Geld der Touristen, will die Ankünfte sogar steigern. Aber an der Basis, an den einfachsten Leistungen fehlt es noch immer. Mildernd mag gelten, dass es morgens um zwei Uhr war und Ramadan. Aber die Schweinerei, die sich dem Fluggast gleich nach Ankunft bietet, ist nicht verzeihbar. 

Sie hilft nur, sich auf das weitere Prozedere einzustellen: Übertrieben lange auf den Erhalt des Visums warten, weil der einzige anwesende Bankangestellte sich im Zeitlupentempo bewegt – so langsam könnte ich mich nicht mal bewegen. Ist man dann endlich seine US$ 25 los und hat den begehrten Kleber im Pass, darf der Reisende die einstündige Wartezeit an der Passkontrolle antreten. Zwei Beamte fertigen die Pässe von drei ankommenden Flugzeugen ab. Am meisten tan mir die Kinderchen leid, die konnten sich teilweise nicht mehr auf ihren Beinchen halten, so müde waren sie.

Die Toiletten sind nur ein Teil des Willkommenspaketes: dreckige Busse vom Flugzeug zur Ankunftshalle, lange Wartezeiten, Benimm und Verhalten der Reiseleiter und Beamten (die Schreierei!), die betrügerischen Preise der Flughafen-Taxi-Mafia und so weiter und so fort. Die Regierung hat angeblich das Management aller Flughäfen einer ausländischen Firma übertragen. Ob es mit denselben Angestellten besser wird?

Ägypten hat’s einfach selten im Griff. Keine Überraschung nach knapp fünf Monaten Abwesenheit.  

Ermüdend

Für mich waren es nicht wirklich Ferien, denn ich hatte vieles zu erledigen und jeden Tag Termine. Dass Ramadan war, verkomplizierte und verzögerte alles noch mehr, weil die Öffnungszeiten von Banken, Ämtern und Dienstleistern stark eingeschränkt sind.

Einen Tipp möchte ich euch geben: Wenn ihr jemals einen neuen Pass habt und euch mit eurem alten Pass bei der Bank, beim Verkehrsamt oder beim Telefon-/Internetprovider oder sonst wo registrieren habt lassen, nehmt euren alten Pass mit! Eure alte Passnummer ist hinterlegt und die neue muss erst registriert werden, bevor ihr irgendeine andere Änderung vornehmen könnt. Bei der Bank hat das vier Arbeitstage gebraucht – ja, wirklich!

Mustafa, der nette, junge, saubere Klempner verschob unsere Termine drei Mal, dazwischen antwortete er auf meine Nachrichten erst nach mehreren Tagen. Er entschuldigte sich höflich. Verstehe. Ich brauchte aber eine Lösung während ich da war und nicht irgendwann. Als mich ein Freund besuchte, fragte ich ihn, ob er mir einen zuverlässigen, gute Arbeit liefernden Klempner empfehlen könne. Und siehe da: Sie kamen zu zweit, mit Auto, hatten Material, Werkzeuge und Ersatzteile dabei und erledigten die Arbeit mit grösster Sorgfalt. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Neben dem Klo sammelte sich manchmal mehr, manchmal weniger Wasser. Der junge Klempner hatte das letztes Jahr schon mal in Ordnung gebracht, aber offenbar nicht richtig. Wie sich nun herausstellte, musste das Abflussrohr ersetzt werden. Ich bin meinem Freund Maged äusserst dankbar für die Empfehlung.

Erstaunlich

Natürlich wollte ich auch wissen, was in unserem Compound läuft. Mir fiel auf, dass wir keinen Poolman mehr hatten. Der hatte im Auftrag des Besitzers die Wasserpumpen geklaut! Ich kann’s jetzt noch kaum glauben. Der kommt nie wieder, er würde von meinen Nachbarn zu Brei gemacht. Die Anlage läuft technisch einwandfrei, ein Nachbar kümmert sich um alles, was Strom, Wasser und Maschinen betrifft. Ein anderer Nachbar und seine Frau pflegen die Pflanzen und putzen.

Unser Anwalt kämpft weiter, ist aber etwas frustriert, weil ihm nicht alle Besitzer eine Vollmacht ausgestellt haben. Ich bin darüber recht enttäuscht. Die einen wollen nicht mehr Geld investieren, die anderen sind im Ausland. Blöde Situation.

Der Besitzer war seit den Vorfällen im Oktober nicht mehr ins Compound gekommen. Ebenso wenig hat es ein Immobilienvermittler mit Kaufwilligen geschafft. Überhaupt kann der Besitzer seine restlichen Wohnungen momentan nicht verkaufen. Recht so.

Da ich mein Auto im Herbst verkauft hatte, war ich jetzt auf öffentliche Verkehrsmittel und Taxis angewiesen. Etwas Kummer hatte mir das im Vorfeld bereitet und mich an die Zeiten vor meinem Autobesitz erinnert. Die Erlebnisse damals waren nicht immer angenehm.

Doch es war ein schönes Beispiel dafür, wie ich mir im Voraus Sorgen über etwas gemacht habe, das ganz anders gekommen ist. Es lief nämlich prima!

Manchmal bestieg ich einen Minibus, wenn es gut passte, wie z.B. vom Souq retour nach Hause oder von mir zur Senzo Mall. Einem Busfahrer dankte ich für seine vorsichtige Fahrweise. Oft bestellte ich ein Taxi mit der App „InDrive“. Die hatte ich vorletztes Jahr im Delta verwendet und ist nun auch in Hurghada in Betrieb. Ich kann sie nur empfehlen: Im Vergleich zu „Uber“ lief fast alles bestens. Ein Fahrer schmierte die App aus und stornierte die Fahrt, obwohl er mich heimfuhr und den Fahrpreis kassierte – ich meldete ihn. Ein anderer wartete vor einem Hoteleingang 500 m weiter und sein Auto war in einem jämmerlichen Zustand: Die Kopfstütze am Beifahrersitz fehlte, Fensterhebel fehlten, die Dachabedeckung innen war lose und vieles mehr. Nicht ein Wort Englisch konnte er. Er erzählte mir, dass es heute sein erster Tag als Taxifahrer war in Hurghada. Er komme aus Luxor. So erklärte ich ihm den Weg und riet ihm, sein Auto reparieren zu lassen und wenigstens ein paar Brocken Englisch und Russisch zu lernen. Wie doof von mir, dachte ich mir, als ich mich reden hörte. Er kam ja nach Hurghada, weil in Luxor nichts zu verdienen ist…

Ansonsten kamen Fahrer mit neuen Mittelklassewagen, sauber, gepflegt, korrekt mit anständigem Fahrstil. Wenn ich fünf (!!!) Pfund Trinkgeld geben wollte, meinten sie, ich bekäme noch Geld zurück…

Erheiternd

Eine der schönen Seiten war, ich traf viele Freunde, teils zufällig, teils auf Verabredung. Gleich am ersten Tag lief ich in die Wüste hinein, um zur Ruhe zu kommen, Energie zu tanken und den Blick auf Berge und Meer aufzufrischen. Ich war schon etwa zwanzig Minuten marschiert, da zeichnete sich am Horizont gegen die tief stehende Sonne eine Gestalt ab. Mit Hund. Zuerst war ich verwirrt, denn in der Vergangenheit hatte ich in dem Gebiet nur einmal einen Jogger getroffen, aber weiter südwärts, im Tal, wo der Sand tiefer ist. Noch ein paar Schritte weiter und meine Vermutung wurde zur Gewissheit: die langen Haare, die Postur… Ich nahm mein Handy aus der Gilettasche und rief Robby von IQonTour an. „Hallo Robby, siehst du mich?“ fragte ich. „Ja, ich sehe dich.“ Es war eine schöne Überraschung und wir begrüssten uns herzlich.

Ein andermal hatte ich eine Verabredung dort, wo ich vorher acht Jahre gewohnt hatte. Schon am Eingang begrüssten mich Angestellte sichtlich erfreut, schüttelten mir die Hand und übergossen mich mit arabischen Willkommensworten. Weiter zum Pool, auf die Terrasse, wo ich einer Handvoll Italienern in die Arme lief. Zuerst aber wollte ich meine Bekannte begrüssen, die drinnen auf mich wartete. Da stand auch ihr ehemaliger Partner. Ich wollte raus, Hände nach den vielen Begrüssungen waschen, bekam aber noch mehr Hände zu schütteln und weitere Baccis und Umarmungen. „Ist Claudio auch hier?“, fragte ich. „Ja, er ist oben, morgen fliegt er.“ Also lief ich noch rasch die Treppe in den dritten Stock hoch und fand Claudio umringt von Nachbarn und seiner Betreuerin, während gleichzeitig ein ehemaliger „Schüler“ und Freund aus dem Lift trat. Weitere Baccis…

Beim dritten Anlauf schaffte ich es, meine Hände zu waschen und hatte einen angenehmen, unterhaltsamen Abend mit meiner Bekannten R. Sie erwähnte auch beiläufig, dass eine gemeinsame Bekannte aus der Schweiz kommen sollte. Prompt sah ich am darauffolgenden Tag ihr Foto auf Facebook. Wir verbredeten uns dann ein paar Tage später.

So lief es an vielen Orten: Ich traf ehemalige Schüler, Freunde, einen Teilnehmer meines Schreibworkshops. Und natürlich meine Freundin, die in Hurghada wohnt und zu meiner Wohnung sieht.

 

Erholsam

Nach zwei oder drei Tagen drängte es mich – kühle Temperaturen hin oder her – Sand unter meinen Fusssohlen zu spüren. Durch meine Füsse wollte ich Energie aufnehmen. Ich fuhr nach Sahl Hasheesh und lief barfuss den Strand entlang, manchmal im lauwarmen, klaren Wasser, manchmal im trockenen Sand. Ich liebe dieses Gefühl, wenn ich jedes Sandkörnchen ertasten kann. Ich spürte die kleinen Muscheln, die spitzigen Korallenabbrüche und schmunzelte: Meine Fusssohlen waren trotz mehreren Monaten in Schuhen nicht empfindlicher geworden.

Laufen, innehalten, still betrachten und über das bezaubernde türkisblaue Meer staunen, den Wellen lauschen, ins Wasser blicken, den Horizont entschwinden lassen, den groben Sand und das Meerwasser spüren. Es half mir, endlich „runterzukommen“, zu entspannen, abzuschalten. Ich legte mich in Hose und Jeansjacke in den Sand, meine Handtasche unter den Kopf als Kopfkissen und machte die Augen zu. Endlich ruhte auch mein Kopf. Während die Gedanken ins Meer sickerten und mit den Wellen Richtung Horizont entschwanden, begann ich allmählich, wieder mich selbst zu fühlen.

Das war meine Befürchtung, damals, als ich den Job annahm, dass ich mich wieder ein bisschen selbst verliere, nur noch funktioniere, weil da kein Raum für Freiheit ist, weil die Tage vollgestopft sind, weil die Pflichten drängeln. Während diesen Kurzferien wollte ich, nein: musste ich einen Weg finden, wie ich die nächsten Monate durchkomme, ohne mich wieder selbst zu verlieren.

Wie es der Zufall will – eine Redewendung an die ich eigentlich nicht glaube, denn ich bin überzeugt, dass es Bestimmung ist – ergab sich mit meiner Yogalehrerin  ein langes Gespräch. Da ich an den Yogastunden online weiterhin teilnehme, bekommt sie mit, wie erschöpft ich ständig bin. Ihre Worte und ihren Rat, die sie mir mitgab: „nicht meinen, alles alleine machen zu müssen“, sondern um Hilfe zu bitten. Spirituelle Hilfe. Die mag jeder woanders suchen und finden. Auch wenn vieles im Land am Nil nicht klappt und mühsam ist und die Defizite in vielen Bereichen enorm sind – Ägypten ist ein altes Land und diese uralte spirituelle Kraft ist spürbar. In den vergangenen Jahren habe ich glücklicherweise gelernt, sie zu fühlen und angefangen, sie zu nützen. Aber hier in Europa war ich wieder wie abgeschnitten davon. Nun weiss ich, was ich zu tun habe! Darauf weiter einzugehen, würde nicht hierher passen. Vielleicht ergibt sich mal eine andere Gelegenheit dazu.

Meine Freundin tickt ebenfalls ähnlich wie meine Yogalehrerin. Wir verbrachten viele Stunden gemeinsam am Meer, manchmal angekleidet, weil es einfach zu kühl war, und erst die letzten zwei Tage im Bademodus und erzählten uns alles, was uns während den vergangenen Monaten bewegt hat und eben, wie wir damit umgehen können, sollen, wollen…

Und dann war noch das Schwimmen im Meer. Leider nur zwei Mal, die Lufttemperatur war mir zu kühl, aber immerhin! Es war wie eh und je… Zauberhaft!

 

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