Sonntag, März 13, 2011

Alltag in Hurghada: Ärger mit den Taxifahrern

Normalerweise fahre ich mit dem Bus. Hie und da erfordern es die Umstände, dass  ich ein Taxi besteige. Manchmal, weil ich zu spät für einen Termin bin, manchmal, weil ich zu schwere Einkäufe zu tragen habe, manchmal, weil es Nacht ist. Oder einfach so.

Obwohl die Busse nicht bequem und selten sauber sind, nehme ich nicht gerne ein Taxi. Seltsam? Mit dem Bus habe ich viel weniger Ärger! Taxi fahren in Hurghada heisst nämlich meist: diskutieren, handeln, streiten, verteidigen. Dazu bin ich als friedliebender Mensch nicht täglich aufgelegt.

Die meisten Taxifahrer rauchen, d.h. dass ich von Rauch stinke, wenn ich einsteige. Sie schalten den Taxameter nicht ein – also bitte ich darum. Manch ein Taxifahrer reagiert nicht darauf und ich bitte nochmals. Darauf plappert er irgendetwas von einem Phantasiebetrag. Um die Situation abzukürzen, sage ich ihm kurz und bündig, er soll anhalten und ich steige aus. Geschieht regelmässig.

Viele verlangen schon bevor ich einsteige, einen überrissenen Betrag. Darüber diskutiere ich schon gar nicht mehr, sondern wende mich ab und warte auf das nächste orange Taxi, das nicht lange auf sich warten lässt.

Ich kenne bis jetzt zwei notorisch mühsame Orte (wobei es sicher mehrere davon gibt): eine Querstrasse nahe der Marina und das grosse Einkaufszentrum „Senzo Mall“ weit ausserhalb Hurghadas. Wenn ich von der Marina ein Taxi nehmen will, gehe ich zuerst ein paar Hundert Meter zu Fuss, um „normale“ Taxifahrer zu finden. Nach einem Grosseinkauf im Einkaufszentrum ist ein Fussmarsch von dieser Distanz aber nicht mehr möglich. Dort stehen die Taxis in einer Einerkolonne und warten auf ahnungslose Touristen, denen sie ein Mehrfaches an Fahrgeld abknöpfen. Natürlich versuchen diese Taxifahrer auch von mir das zwei- oder dreifache herauszuschlagen. An Argumenten fehlt es ihnen nie: 7 Pfund – dafür kann ich grad ein Päckchen Zigaretten kaufen… 5 Pfund mehr oder weniger – das macht doch gar nichts aus… nur 10 Pfund? Da kostet ja das Benzin mehr… Ich habe mir eine Strategie zugelegt, die offenbar auch Ägypter anwenden: ich warte einfach auf ein vorbei fahrendes Taxi, anstatt eines der wartenden zu nehmen. Das macht keinen Spass, besonders wenn die wartenden Taxifahrer einen mit blöden Sprüchen belagern. Übung macht Meister – auch mich. Trotzdem stinkt es mir nur schon beim Gedanken daran, wenn ich meinen Einkaufszettel schreibe und ich mich seelisch auf die Konfrontationen vorbereite. Und jedes Mal spätestens beim Anstehen an der Kasse wünsche ich mir, einen oder eine Bekannte zu treffen, die ich um eine Mitfahrgelegenheit bitten könnte. Vorgekommen ist es schon.

Heute hatte ich jedoch ein seltenes Glück: ein Mann in einem winzigen, knallroten, nigelnagelneuen Auto hatte mich schon eine Weile beobachtet. Er hielt an, stieg aus und fragte mich, ob er mich mitnehmen dürfe. Er erschien mir so höflich und zurückhaltend (natürlich habe auch ich ihn beobachtet), dass ich einwilligte. Mohammed hat eine deutsche Mutter, was sein unägyptisches Aussehen und seine Zurückhaltung erklärte. Er brachte mich im Dunkel zu meiner abgelegenen Villa in Magawish und half mir die Einkäufe hoch zu tragen. Ebenso höflich und zurückhaltend verabschiedete er sich und gab mir seine Visitenkarte.

Ehrlich gesagt: es gibt auch ganz nette, korrekte, höfliche, bescheidene, saubere, anständige und… Taxifahrer. Diese bitte ich dann um die Telefonnummer und speichere sie, besonders von jenen, die nachts tätig sind. Falls ich es mal dringend brauche. Es ist mir auch schon zweimal passiert, dass ich gratis mitgenommen wurde, als ich auf einen Bus wartete. Auch das gibt es!

Und es gibt auch noch so liebe Freunde, die mir 35 Liter Wasser vor die Haustüre liefern oder mir mitteilen, wenn sie ins Einkaufszentrum fahren – nur, damit ich mich nicht mit den Taxifahrern herumstreiten muss.


Freitag, März 11, 2011

Zurück auf Feld Eins?

Die vergangenen Tage sahen dieselben Bilder wie während der Massendemonstrationen im Januar und Februar: friedliche Demonstranten wurden beleidigt und tätlich angegriffen. Erneut gab es tödliche Zusammenstösse zwischen Kopten und Muslimen. Dahinter sollen, wie bereits gehabt, angeheuerte Kriminelle stehen, finanziert von der NDP. Die Krake schlägt weiter um sich.

Am „Tag der Frau“ wurden Frauen angegriffen, danach die Kopten, die für den Wiederaufbau ihrer durch Muslime abgebrannten Kirche demonstrierten. Grundsätzlich ist es gleich, wen es betrifft: das Muster ist dasselbe. Es gibt Kräfte, die grösstes Interesse daran haben, die Ägypter gegen einander aufzubringen und einen Übergang zu Zivilgesellschaft und Demokratie zu sabotieren.

Diesmal wurde ich auch davon betroffen. Ursprünglich wollte ich gestern Donnerstag nach Kairo fahren. Das Busbillet hatte ich schon gekauft, mein Gepäck vorbereitet. Am Vormittag entschied ich mich dann aber, wegen der schlechteren Sicherheitslage in Kairo die Fahrt zu verschieben. Bis auf weiteres. Am Nachmittag erfuhr ich jedoch, dass die Polizei in Kairo wieder auf die Strassen zurückkehrt. Hätte ich doch fahren sollen? Vielleicht. Doch weiterhin muss man in Kairo mit Strassenblockaden und geschlossenen Museen rechnen. Ich hoffe, dass die Polizei ihre wirkliche Aufgabe nun wahrnimmt und sich die Sicherheitslage in Kairo rasch beruhigt.

Erst dann werden die Touristen zurückkehren. In Hurghada häufen sich die Gästeankünfte, es sind schon einige Tausend Feriengäste anwesend, Busse der grossen Touroperator und Jeeps, welche Wüstenausflüge machen, sind wieder vereinzelt zu sehen.

Inzwischen fragen sich viele Ägypter, wie den Menschen in der kurzen Zeit bis zu den vorgesehenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen beigebracht werden soll, was denn eine Demokratie ist und wie sie funktioniert. In Kairo hat die „Egyptian Democracy Academy“ diese Aufgabe schon vor zwei Jahren übernommen. Jetzt werden sie von Interessenten überrannt und beklagen, dass der Zeitraum bis zu Wahlen zu kurz ist. Er gibt dem Volk nicht genügend Zeit, ihre politischen Ansichten zu finden, politische Parteien zu bilden und ihre Ideen im riesigen Land mit einem Heer von Armen und Analphabeten zu verbreiten. Die EDA ist in Kairo tätig – wer aber im Rest des Landes? Auch einer meiner Freunde zerbricht sich mit seinen Kollegen den Kopf darüber.

Klar ist: die Menschen wissen was sie wollen, doch die Zeit ist knapp. Nun werden Stimmen laut, dass die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen am 19. März abgelehnt und stattdessen eine neue Verfassung erarbeitet werden soll. Es gibt Gruppierungen, die den Armeerat dazu drängen, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu verschieben, damit das Land eine gewisse politische Reife erhalten kann. Vermehrt werden Forderungen nach einem säkularen Staat laut. Säkulare Kopten haben nun die Bildung einer Partei beschlossen, deren Vorsitz ein Muslim innehat!

Wenn ich auf die Ereignisse der vergangenen Wochen zurück blicke, sehe ich trotz des noch herrschenden Chaos Fortschritte. Eine politische Kultur wächst und gedeiht, es werden klare Vorstellungen kommuniziert, konkrete Ziele geformt. Besonders freut mich, dass immer häufiger die Trennung von Staat und Religion gefordert wird. Das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen! Und mich beruhigt, dass sich Kopten und Muslime weiterhin klar und deutlich gegen Zwietracht wehren.

Das lässt mich weiterhin zuversichtlich in Ägyptens Zukunft blicken. Obwohl ich, wenn ich die Doormen in meinem Quartier bei ihren täglichen Verrichtungen beobachte, mir absolut nicht vorstellen kann, was sie mit den Änderungen in ihrem Land anfangen sollen. Aber vermutlich denken sie gar nicht besonders darüber nach. Ihre Sorgen und ihre Welt sind eine andere und sie werden auch in den nächsten Jahren Sommers wie Winters in Rohbauten und mit Holzplatten und Ziegelsteinen notdürftig gezimmerten Hütten hausen und abends Schischa rauchend um ein Feuer sitzen.

Montag, März 07, 2011

Aussicht vom Balkon und sonst

Die Aussicht ist nicht überwältigend: ein Feld voller Bauschutt, dahinter eine Mauer und ein mehrjähriger Rohbau – typisch Hurghada. Wir stehen im zweiten Stock auf dem Balkon. „Da hat es gestern gebrannt“ sagen meine Bekannten. Ich sehe auf den ersten Blick nichts; bei genauerem Hinsehen aber doch: die Mauer ist geschwärzt. Ob da nicht auch Beweismittel des Staatsicherheitsdienstes verbrannt wurden?

Meine Bekannten sehen mich verständnislos an – sie wissen von nichts und ich erzähle, was ich gelesen habe.

Am Abend erfahre ich auf Al-Masry Al-Youm dann, dass es in Hurghada tatsächlich gebrannt hat – wo genau, wird nicht erwähnt. Ein Reporter der Zeitung war dabei, die Behörden bei ihrer Tat zu filmen, wurde aber tätlich angegriffen und musste flüchten. Hurghada ist zwar 450 km von Kairo entfernt, das System ist aber dasselbe.

Einige Details der „eroberten“ Daten aus dem Staatsicherheitsdienst sind bereits gesichtet und an die Presse geleitet worden. So sind z.B. Telefongespräche aufgezeichnet, wonach befohlen wird, auf die Demonstranten zu schiessen – was ja auch geschah. In nächster Zeit werden sicher viele brisante, grauenhafte, schockierende und andere Informationen bekannt werden. Erste Spitzelpolizisten sind bereits verhaftet und wegen Vernichtung wichtiger Beweise angeklagt worden, – es muss seltsam für sie sein, plötzlich hinter Gittern zu stehen.

Für die Ägypter ist es sicher eine riesige Genugtuung: was sie jahrelang gefürchtet hatten, wo so unendlich viel Ungerechtigkeit und Leid produziert worden ist, liegt nun offen da, wie eine hässliche Krake, die noch die letzten Zuckungen macht, bevor sie stirbt. Oft denke ich an eine Freundin in Alexandria, mit der ich über das Regime und Mubarak diskutieren wollte. Jedes Mal blickte sie ängstlich um sich  und flüsterte mir zu, dass ich nur ganz leise reden dürfe, sonst bestehe die Gefahr, dass sie verhaftet würde. Erst in ihrer eigenen Wohnung fühlte sie sich sicher und wir konnten offen reden. Heute verstehe ich ihre Angst besser: die ägyptische Gesellschaft war infiltriert von Spitzeln und Agenten. Wie ein Agentenkrimi… Nur leider wahres Leben.

Jetzt ist es wirklich nur noch eine Frage von Tagen, bis dieser Geheimapparat aufgelöst wird. Tunesien hat es heute vorgemacht.

Wer wird über diese geschichtlich bedeutende Zeit wohl einen Film drehen? Stoff für einen spannenden Kassenschlager ist genügend vorhanden: Geld, Korruption, Macht, Geheimdienst, Brutalität, Religion und wahre Helden uvam.

Samstag, März 05, 2011

Alle Achtung der Jugend

In mehreren ägyptischen Städten zieht seit dem frühen Morgen Rauch aus ganz besonderen Gebäuden: jenen des Staatssicherheitsdienstes. Hunderte von Polizisten sind dabei, Dokumente und Beweismaterial zu schnetzeln und zu verbrennen.

Die Menschen hier, die noch „nicht reif“ für eine Demokratie seien – wie zu Beginn der Aufstände arroganterweise zu hören war – haben nicht nur ihren Diktator zum Rücktritt gezwungen. Nein: sie stürmen die Festungen des gefürchteten Staatssicherheitsdienstes, wo Menschen gefoltert wurden und für immer verschwanden. Sie retten das Beweismaterial, das noch nicht vernichtet ist. Die hinzu gerufene Armee befreit Menschen aus ihren unterirdischen Gefängnissen.

Erstaunlich, was in Ägypten vor sich geht. Ich habe grosse Achtung vor den Taten der Jugend.

Hingegen gibt es auch das: aus verletzter Ehre wurden die Väter zweier Jugendlicher getötet. Sie waren ein Liebespaar mit dem falschen Glauben: er Kopte, sie Muslimin…


Allein am Strand

„Wir haben nur dreissig Gäste im Hotel, alles Engländer. Die bleiben lieber am Swimmingpool. Der Strand ist ihnen zu weit weg, obwohl wir einen Bustransport anbieten“ erzählt Fadl. Er ist Barmann.

Zu dritt sitzen die Mitarbeiter des Hotels unter einem Sonnenschirm. Eine Handvoll Liegen sind aufgestellt, doch unter den meisten Sonnenschirmen ist nur Schatten. Der Strand ist ausgestorben, trotz blauem Himmel, glasklarem Wasser, goldgelbem Strand und angenehmen Temperaturen. „Wie die Côte d’Azur Ende Oktober“ erinnere mich. Ruhe und etwas Melancholie liegt über der Szene; eigentlich wäre jetzt Hochsaison.

Ich darf ausnahmsweise auf dem Privatstrand bleiben und habe es so friedlich wie selten. Hie und da kommt Fadl zu mir um zu plaudern. Er jammert, dass er mehr Geld braucht als er verdient. Er gehe meistens auswärts essen, weil das Essen für die Angestellten nur noch aus Gemüse und Reis bestehe; vorher habe es abwechslungsweise Fleisch, Hähnchen oder Fisch gegeben. Jetzt aber werde gespart. Ausserdem raucht er und hat eine eigene Wohnung mit Kollegen zusammen. Im Stadtzentrum; d.h. dass er auch Geld für die Fahrt braucht. Seine Kollegen sind in ihre Dörfer zurückgekehrt. Das alles kostet viel Geld. „Wir zahlen jetzt den Preis für die Freiheit!“ Er hat Angst, dass die Muslimbrüder regieren werden, weil sie die einzige gut organisierte Organisation in Ägypten ist. Er erzählt, wie die Muslimbrüder mit drei Vertreten auch in seinem Dorf aktiv sind und sich um Bedürftige kümmern.

Das Meerwasser ist eiskalt – zuerst. Ich stehe bis zu den Waden im glasklaren knietiefen Wasser und hoffe, dass ich mich an die Temperatur gewöhne. Nicht weit vom Strand hocken Möwen auf den Wellen. Fadl ruft mir zu, ich soll mich einfach hinein werfen. Stattdessen gehe ich wieder hinaus und Fadl erzählt, dass er jeden Morgen schwimme. Seine Kollegen haben inzwischen Badehosen angezogen und rudern mit dem Kanu hinaus – sie machen das Beste aus ihrem langweiligen Job.

Die Wellen sind kräftig und ich muss heftig kraulen, um überhaupt vorwärts zu kommen. Dafür kühle ich nicht so schnell aus. Die Bucht verläuft auf vielleicht 20 Metern ganz flach und plötzlich fällt der Meeresboden ab. Dort draussen ist das Wasser trüb vom starken Wellengang. Das Meerwasser tut mir gut, doch nach vielleicht zehn Minuten muss ich raus aus dem Wasser, es wird mir zu kühl. Der Wind ist auch nicht angenehm, aber die Sonne ist schon kräftig genug, dass ich schnell wieder aufgewärmt bin. Perfekte Bedingungen, denn bald wird es wieder zu heiss sein.

Ich bedanke mich bei den Angestellten und drücke Fadl einen Geldschein in die Hand; er soll damit Zigaretten kaufen und sie mit seinen Kollegen teilen.


Donnerstag, März 03, 2011

Wichtiger Schritt vorwärts

Ganz nebenbei habe ich heute auf Radio DRS3 (jawohl!) in den Mittagsnachrichten gehört, dass Premierminister Shafik heute zurück getreten ist. Sensationell! Ebenso sensationell ist die Art der Mitteilung: der Armeerat hat dies über seine Facebook-Seite getan! Wir sind definitiv in einem neuen Zeitalter angekommen. Wann werden sich die europäischen Regierungen dazu überwinden??? ;)

Eine weitere wichtige Forderung der Demonstranten ist damit erfüllt worden.

 
Vorausgegangen war gestern Nacht die erste wahre Politik-Debatte in der arabischen Welt. Soweit ich mitbekommen habe, war das gar nicht so beabsichtigt gewesen. Schlussendlich aber wurde Shafik in die Enge getrieben und hat sein wahres Gesicht gezeigt. Die Konsequenzen daraus haben wir heute erlebt.

Das ist ein riesiger Befreiungsschlag! Der neu ernannte Premierminister Essam Sharaf scheint eine integre Person zu sein und ist nun beauftragt, das Kabinett neu zu besetzen. In weiteren Ministerien hat es weitere Rücktritte und Neubesetzungen gegeben. Es läuft in eine gute Richtung…

Doch immer wieder brennt es in Ministerien und Staatsgebäuden. Und in ganz Ägypten wird geschreddert: es wird versucht, wichtiges Beweismaterial zu vernichten. Polizei, Geschäftsleute, Gouverneure, Minister, die NDP, die Söhne Mubaraks…

Ein Untersuchungsbericht hat bekannt gegeben, dass die tödlichen Schüsse von Scharfschützen auf Demonstranten Ende Januar tatsächlich von der Polizei erfolgt waren…

Jeden Tag kommen solche Nachrichten ans Tageslicht. Es ist ungeheuerlich – aber zugleich auch befriedigend zu sehen, dass es ans Licht kommt. Ich bin je länger je zuversichtlicher für Ägypten. Es ist allen anderen arabischen Ländern nun ein paar Schritte voraus.

Mein Alltag sieht weniger spannend aus: ein paar Unterrichtsstunden. Ein paar Stunden Korrekturlesung. Ein heilloses Durcheinander zwischen Englisch, Französisch und Arabisch, manchmal auch Deutsch. Ein paar Handwerker, die grad zufällig im Haus zu tun haben: sie brauchen den Stuhl, um vor der Wohnungstüre eine Lampe zu montieren, sie verlangen einen Stift, um einen Handknopf an der Tür zu markieren und laufen genervt davon, eine riesige Sauerei hinter sich lassend. Der Wasserboiler hat genau dann keinen Mucks mehr von sich gegeben, als jemand da war, um die Ursache des Geräuschs zu erforschen.

Dienstag, März 01, 2011

Vom Mangel

Die ägyptische Börse ist immer noch geschlossen. Ständig wird die Wiederaufnahme des Handels verschoben. Allein das sagt schon vieles über den Zustand des Landes aus.

Dass das hiesige wirtschaftliche (Un-)Gleichgewicht schwer gestört ist, ist nicht nur anhand der Streiks und der geschrumpften Flugbewegungen zu erkennen. Es gibt da noch etwas, das wirklich weh tut: es fehlt an Bargeld! Die Bezüge an Bankomaten oder an Bankschaltern sind begrenzt und es sind keine grösseren Geldbeträge erhältlich.

Ein Geschäftsmann jammert, er bräuchte 35‘000 ägyptische Pfund Bargeld – momentan unmöglich, diese Summe aufzutreiben. Auch ich erhalte mein Honorar meiner Schüler (normalerweise Vorauszahlung) in Raten, denn jeder hortet sein Bargeld. Ich übrigens auch, was ich gar nicht gerne mache. Es erinnert mich an die Zeiten, als es noch keine Bankomatkarten gab und Zahlen mit Kreditkarten nur den oberen Zehntausend vorbehalten war. Bisher habe ich nur Münzen gehortet, weil Kleingeld ewig knapp ist. Müssen wir uns bald auf Tauschwirtschaft umstellen? Eine Unterrichtsstunde gegen eine Viertel Übernachtung im Fünfsternehotel? Und wie bringe ich die wieder an den Mann bzw. an die Frau? Eintauschen gegen drei Pizzas? Und die wieder eintauschen gegen einen Teil Stromrechnung, eine Taxifahrt, Käse und Brot?

Uff: und Joghurt! Was ich in Hurghada Joghurt suche, ist schon bald aberwitzig. Habe ich es früher in 250g Bechern gekauft, bin ich inzwischen auf 1kg „Kübel“ übergegangen. Normalerweise kaufe ich gleich 2 kg auf einmal. Es gibt auch ganz kleine Becher... Aber: seit ein paar Tagen gibt es wieder mal überhaupt keine!

Es lebe die ägyptische Revolution! – Ehrlich gemeint, denn ich bin lieber hier als in Bahrein oder Libyen.