Freitag, März 11, 2011

Zurück auf Feld Eins?

Die vergangenen Tage sahen dieselben Bilder wie während der Massendemonstrationen im Januar und Februar: friedliche Demonstranten wurden beleidigt und tätlich angegriffen. Erneut gab es tödliche Zusammenstösse zwischen Kopten und Muslimen. Dahinter sollen, wie bereits gehabt, angeheuerte Kriminelle stehen, finanziert von der NDP. Die Krake schlägt weiter um sich.

Am „Tag der Frau“ wurden Frauen angegriffen, danach die Kopten, die für den Wiederaufbau ihrer durch Muslime abgebrannten Kirche demonstrierten. Grundsätzlich ist es gleich, wen es betrifft: das Muster ist dasselbe. Es gibt Kräfte, die grösstes Interesse daran haben, die Ägypter gegen einander aufzubringen und einen Übergang zu Zivilgesellschaft und Demokratie zu sabotieren.

Diesmal wurde ich auch davon betroffen. Ursprünglich wollte ich gestern Donnerstag nach Kairo fahren. Das Busbillet hatte ich schon gekauft, mein Gepäck vorbereitet. Am Vormittag entschied ich mich dann aber, wegen der schlechteren Sicherheitslage in Kairo die Fahrt zu verschieben. Bis auf weiteres. Am Nachmittag erfuhr ich jedoch, dass die Polizei in Kairo wieder auf die Strassen zurückkehrt. Hätte ich doch fahren sollen? Vielleicht. Doch weiterhin muss man in Kairo mit Strassenblockaden und geschlossenen Museen rechnen. Ich hoffe, dass die Polizei ihre wirkliche Aufgabe nun wahrnimmt und sich die Sicherheitslage in Kairo rasch beruhigt.

Erst dann werden die Touristen zurückkehren. In Hurghada häufen sich die Gästeankünfte, es sind schon einige Tausend Feriengäste anwesend, Busse der grossen Touroperator und Jeeps, welche Wüstenausflüge machen, sind wieder vereinzelt zu sehen.

Inzwischen fragen sich viele Ägypter, wie den Menschen in der kurzen Zeit bis zu den vorgesehenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen beigebracht werden soll, was denn eine Demokratie ist und wie sie funktioniert. In Kairo hat die „Egyptian Democracy Academy“ diese Aufgabe schon vor zwei Jahren übernommen. Jetzt werden sie von Interessenten überrannt und beklagen, dass der Zeitraum bis zu Wahlen zu kurz ist. Er gibt dem Volk nicht genügend Zeit, ihre politischen Ansichten zu finden, politische Parteien zu bilden und ihre Ideen im riesigen Land mit einem Heer von Armen und Analphabeten zu verbreiten. Die EDA ist in Kairo tätig – wer aber im Rest des Landes? Auch einer meiner Freunde zerbricht sich mit seinen Kollegen den Kopf darüber.

Klar ist: die Menschen wissen was sie wollen, doch die Zeit ist knapp. Nun werden Stimmen laut, dass die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen am 19. März abgelehnt und stattdessen eine neue Verfassung erarbeitet werden soll. Es gibt Gruppierungen, die den Armeerat dazu drängen, die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zu verschieben, damit das Land eine gewisse politische Reife erhalten kann. Vermehrt werden Forderungen nach einem säkularen Staat laut. Säkulare Kopten haben nun die Bildung einer Partei beschlossen, deren Vorsitz ein Muslim innehat!

Wenn ich auf die Ereignisse der vergangenen Wochen zurück blicke, sehe ich trotz des noch herrschenden Chaos Fortschritte. Eine politische Kultur wächst und gedeiht, es werden klare Vorstellungen kommuniziert, konkrete Ziele geformt. Besonders freut mich, dass immer häufiger die Trennung von Staat und Religion gefordert wird. Das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar gewesen! Und mich beruhigt, dass sich Kopten und Muslime weiterhin klar und deutlich gegen Zwietracht wehren.

Das lässt mich weiterhin zuversichtlich in Ägyptens Zukunft blicken. Obwohl ich, wenn ich die Doormen in meinem Quartier bei ihren täglichen Verrichtungen beobachte, mir absolut nicht vorstellen kann, was sie mit den Änderungen in ihrem Land anfangen sollen. Aber vermutlich denken sie gar nicht besonders darüber nach. Ihre Sorgen und ihre Welt sind eine andere und sie werden auch in den nächsten Jahren Sommers wie Winters in Rohbauten und mit Holzplatten und Ziegelsteinen notdürftig gezimmerten Hütten hausen und abends Schischa rauchend um ein Feuer sitzen.

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