Samstag, September 12, 2015

Wofür ein überdachter Parkplatz gut sein kann

Da, wo ich mich mit Bier und Wein eindecke, hat es ein paar überdachte Parkplätze. Bei 38°C im Schatten ist das wertvoll - auch für wenige Minuten.

Als ich also heute vorfuhr, staunte ich nicht schlecht: im Schatten, direkt neben dem Eingang zur Halle, werkelte ein Metzger an einem Vieh herum. Okay, in zehn Tagen ist ja das Opferfest, an dem Muslime Schafe schlachten, das Fleisch verschenken und selbst verzehren. Zehn Tage und heute wird schon geschlachtet? Und das hier, vor dem Alkohol-Depot eines grossen Hotels?

Nein, nein, das Schaf sei nur für sie, die Angestellten.

Die frische Blutlache und zwei abgehackte Beine lagen in der Sonne, schön vor dem Eingang – Zeugen davon, dass das Schaf erst vor wenigen Minuten sein Leben gelassen hat.





Regierung tritt zurück

Überraschung: nachdem vor ein paar Tagen der Landwirtschaftsminister zurück getreten ist, tritt nun die gesamte ägyptische Regierung zurück. Der Landwirtschaftsminister wurde festgenommen: ihm wird Korruption vorgeworfen.

Das ist ja eigentlich ein Witz, denn ein Minister, der NICHT korrupt ist, gibt es in diesem Land nicht. Das ist meine persönliche Behauptung und ich wette, dass Millionen von Ägyptern gleicher Meinung sind. Der soeben zurück getretene Premierminister Mehleb musste sich neulich in Tunesien unliebsame Fragen einer Journalistin zu Korruption anhören – anstatt zu antworten, stürmte er empört aus der Pressekonferenz.

Was soll nun der Rücktritt? Will El Sisi eine weisse Weste anziehen und zeigen, dass „seine Führung“ korruptionsfrei ist?

Oder ist plötzlich allen klar geworden, dass in den Monaten unter Mehlebs Regierung das Staatsdefizit weiter in die Höhe geklettert, die Devisenreserven hingegen in den Abgrund geplumpst sind? Ich glaube, das ist weniger wichtig, denn Geld fliesst ja noch immer von Saudi Arabien und den Golfstaaten herein – ohne wäre Ägypten zahlungsunfähig.

Oder will El Sisi noch mehr Macht auf sich konzentrieren? Da seit der Machtübernahme des Militärs (für mich gehört er trotz „Rücktritt“ noch immer dazu) kein Parlament gewählt wurde, hatte El Sisi freie Hand: er hat rund 200 Gesetze erlassen. Darunter sind solche, die im krassen Widerspruch zu den Menschenrechten stehen; z.B. dürfen Journalisten nicht entgegen der „offiziellen“ Version berichten. Bis zu den (vorläufig geplanten) nächsten Parlamentswahlen dauert es noch ein paar Monate. Bis die Interimsregierung eingearbeitet ist, darf sie wieder abtreten.

Ich denke eher, dass es da um einen weiteren Schachzug von El Sisi und seinem Regime handelt. Wir werden ja sehen. Besser wird die Situation hier sowieso nicht – höchstens wieder interessanter, aus Sicht des Zuschauers.


Mittwoch, September 09, 2015

Sandsturm

Gestern noch über Syrien und Libanon, ist er heute hier, der Sandsturm, zumindest seine Ausläufer. Die Luft ist neblig-gelb, atmen fällt schwer, feiner Staub legt sich über alles. Immerhin bläst der Wind nur schwach.

Blick aufs Meer

Blick auf die Redsea Mountains

Dienstag, September 01, 2015

Der grosse Treck

Ich habe eindeutig zu lange gewartet. Seit Monaten sammle ich Material, Fotos und Links, um über das Thema zu schreiben, das jetzt in allen Medien, ja sogar in aller Munde ist. Den Anspruch, einen ausgegorenen, gut recherchierten Text zu schreiben, werfe ich jetzt über Bord. Denn jeden Tag, wenn ich die Nachrichten lese und mit dem Flüchtlingselend aus dem Nahen Osten konfrontiert werde, kämpfe ich mit Emotionen.

Eine Freundin schrieb mir vorgestern: „71 Flüchtlinge in einem Lkw erstickt. Habe das Bild vor meinen Augen. Kann nicht schlafen, bin so wütend auf die Welt. Ich will keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Solche und grausamere Dinge passieren täglich. Aber nicht vor meiner Haustür... Soll ich lieber wegschauen und mich mit den schönen Dingen der Welt beschäftigen? Soll ich das Beste aus meinem Glück machen weiss zu sein und einen EU-Pass zu besitzen? Soll ich mich um meine unmittelbar Nächsten kümmern und sagen, dass ich gegen all das Leid eh nichts anrichten kann und lieber drehe ich den TV gar nicht auf und lese nur noch Bücher und keine Zeitungen...“

Es ist zum Ersticken!
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In der Erklärung der Menschenrechte steht (ein Auszug):

Samstag, August 29, 2015

Pyjama fürs Auto

Eine Garage habe ich leider nicht, hier, nicht mal einen Unterstand. Vor meiner langen Abwesenheit liess ich mir deshalb eine Abdeckung für mein Auto schneidern. Schutz vor sengender Sonne, Hitze und Sand.

Ich suchte einen Schneider, der sowas macht. Gefunden habe ich ihn dort, wo auch Sofas und Sessel bezogen werden. Logisch, oder? Meine Mama ist Schneiderin und als Kind habe ich das Prozedere von Stoffauswahl, Zuschneiden, Anprobieren und Nähen und wieder Anprobieren, Abstecken und Nähen unzählige Male miterlebt und mitangesehen.

Und uff: hier, für mein Auto, war das gar nicht so viel anders. Ich habe mich für einen hellen, stabilen Segeltuchstoff entschieden (smile). Die Autolänge wurde gemessen, Stoffbahnen abgewickelt und entsprechend abgeschnitten. Die Bahnen wurden dann übers Auto gelegt, um die „Abnäher“ für Reling, Aussenspiegel und Formen von Motorhaube und Heckklappe zu markieren bzw. herauszuschneiden.

Ein paar Stunden später konnte ich den „Pyjama“ für mein Auto abholen. Er ist etwas lang geraten und rund herum ermöglicht ein durch Ösen gezogenes, festes Seil, den „Pyjama“ festzuzurren, damit die Windböen während meiner Abwesenheit keinen Durcheinander fabrizieren.

Mein Bruder meinte, er wolle auch mal ein Pyjama für sein Auto!



Donnerstag, August 27, 2015

Engadin und Veltlin – per Bike durch die heile Bergwelt

Im August habe ich mir einen kleinen Traum erfüllt: ich bin mit dem Bike von Filisur über die Pässe Albula und Bernina gefahren, weiter hinab durchs Puschlav (alles Graubünden / Schweiz) nach Tirano / Italien und im Veltlin der Adda entlang zum Comer See und weiter nach Chiavenna. Gerne möchte ich euch daran teilnehmen lassen:

Von Filisur nach La Punt-Chamüesch
Fähnchen mit Schweizer Kreuzen dekorieren noch das Bahnhof-Häuschen in Filisur – zu Ehren des Schweizer Nationalfeiertags am 1. August. Voller Freude steige ich auf mein Bike, ein mulmiges Gefühl im Bauch. Schaffe ich die 1‘300 Höhenmeter mit dem Gepäck? In Hurghada habe ich keine Möglichkeit so viele Höhenmeter zu machen und bequem bin ich auch, wegen der Hitze, wegen dem früh aufstehen.

Bahnhof Filisur

im Landwassertal
Spektakulär ist nur das Vorwort für die Landschaft, die ich durchfahre: idyllische Siedlungen, Schluchten, Felsen, Wasserfälle, dunkle Wälder, dazwischen kunstvoll hinein gebaut das Trassee der Rhätischen Bahn. Die Viadukte und Tunnels sind weltberühmt. Kein Wunder steht die Strecke auf der UNESCO-Liste für Weltkulturerbe. Gigantisch, gewaltig, grandios. Auch die schmale Passstrasse passt sich den Superlativen an. Übrigens ist sie im Winter Schlittelbahn – zumindest ein Teil davon.


vom Albulapass Blick nach Norden

Mittwoch, Juli 08, 2015

Über den Wolken oder Campari Soda

… muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“ sang einst Reinhard May. Die Band Taxi hat dem Gefühl des Fliegens das Lied „Campari Soda“ gewidmet – wenn ich es in Schweizer Mundart höre, mit den laufenden Turbinen im Hintergrund, bekomme ich Gänsehaut. Der Song ist für mich ein Evergreen, eine nie endende Liebesgeschichte: „Weit unter mir liegt s’Wolkenmeer…. Es ist als gäb’s mich nicht mehr.“ Für Nicht-Schweizer gibt es sicher irgendwo eine Übersetzung…

Als ich diesmal von Hurghada abhob, hatte ich ausnahmsweise meine Kamera griffbereit und möchte die Bilder und meine Gedanken dazu mit euch teilen.

El Gouna

Mit schwerem Herzen verliess ich Hurghada und Ägypten vorübergehend. Das Land und meine Bekannten gehen durch schwere Zeiten, die auch mich berühren, manchmal belasten. Wenn das Flugzeug auf die Rollbahn lenkt, sehe ich hinaus auf die Ringstrasse, die ich oft in aller Frühe mit dem Rad entlang fahre. Später sehe ich El Gouna unter mir, wo ich noch vorgestern war, vergeblich, wie ich meine, denn mein Ziel habe ich nicht erreicht. Es ist das kleine El Dorado, das den Menschen einen Hauch von Paradies vorgaukelt, möglich für jene, die es schaffen, die Wirklichkeit auszublenden. Es ist besser so, es können nicht alle am Elend Anteil nehmen. Manchmal fahre ich auch hin, um die Wirklichkeit für ein paar Stunden auszublenden.

Red Sea Mountains

Weiter schwenkt der Pilot die Maschine über die Red Sea Mountains, das Gewirr von Felsen, Wadis, Sand und Steinen, voller Überraschungen, Felszeichnungen, versteinerten Korallen und Fossilien, Pflanzen und Ruinen und irgendwo unbemerkt, versteckt Beduinen, die in dieser kargen Landschaft leben. Wie nur ist das möglich… es scheint unmöglich und doch ist es möglich. Ich weiss es ja.

Ägyptens Lebensader

Der Nil, Ägyptens Lebensader. Das breite grüne Band zieht elegante Schleifen durch die Wüste nordwärts, wo es sich zuerst teilt und dann unspektakulär ins Mittelmeer ergiesst. Der Nil schert sich überhaupt nicht darum, was die Menschen mit ihm alles machen. Die Menschen dort unten rackern sich auf ihren kleinen Feldern ab, versuchen mit den kärglichen Einnahmen die Mäuler von Vieh und Mensch zu füllen. Sie dulden die Schikanen von Bürogummis, Polizisten, Oligarchen und Vorgesetzten. Sie mucken nicht auf, sondern ducken sich duldsam – wie seit Jahrtausenden.

Nordküste

Wattebäuschchen verzieren den Sand mit dunklen Tüpfchen – das Mittelmeer naht. Die Nordküste – westlich des Deltas, hinwärts zum verzweifelten Libyen -  ist ein weiteres Ferienparadies mit traumhaften Stränden, kristallklarem Wasser und Hotelanlagen; traumhaft wahrhaft. Dem Alltag entfliehen Alexandriner und Kairoer im Sommer und scheinbar auch Europäer.

So über die Landschaft zu fliegen berührt mich zutiefst. Meine Gefühle und Gedanken fassen alles zusammen, was ich gehört, gelesen und erlebt habe. Ich sehe die Menschen, die Politik, die Sorgen, die Freuden – nicht nur über Ägypten. Das setzt sich fort über das Mittelmeer, wo ich an die Bootsflüchtlinge denke, über Griechenland, den Balkan und die zauberhafte Bergwelt der Alpen, wo ich Täler, Dörfer und Gipfel kenne.

Ach, ich wünscht‘ es gäb‘ all die Probleme da unten nicht mehr, sondern nur Campari Soda und das Rauschen der Turbinen.