Sonntag, März 29, 2020

Sie kam schleichend


Die zarte Sichel des zunehmenden Mondes schiebt sich scheinbar zaghaft über den Nachthimmel. Venus steht elegant und gut sichtbar daneben. Mehr Sterne als üblich funkeln am dunklen Nachthimmel.

Bis auf das Gekläff der dummerweise herangefütterten Revierhunde ist es ruhig. Keines der Flugzeuge, das täglich Tausende von sonnenhungrigen Touristen herbeischafft und krebsrot oder dunkelbraun, je nach Hauttyp und Verstand, wieder in ihre Heimat verfrachtet, durchschneidet den Nachthimmel über dem nahen Flughafen. Kein Wagen, der im Formel-1-Tempo und mit laut plärrender Musik über die Sandpiste holpert und schnittig bremst. Kein Taxi, das hupend die Einfahrt versperrt.

Bedeckt sind Stimmen von den Mitarbeitern zu hören, die sich um ein Brettspiel versammeln und geräuschvoll die Dominosteine neu mischen oder gemeinsam, aber jeder für sich in ihr eigenes Smartphone glotzen. Die Wohnanlage wirkt ausgestorben. Die Trattoria ist geschlossen. Die letzten Reiseleiter sind fluchtartig in ihre Heimat geflogen.

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Nein, lange habe ich nicht mehr geschrieben. Da war keine Zeit, der Kopf nicht frei. Doch hie und da ein E-Mail eines Lesers, der bedauert hat, dass ich nicht mehr schreibe, der mich ermuntert hat, doch wieder zu schreiben.

Seit Tagen trage ich mich mit dem Gedanken herum, fand den Weg, die Musse, die Ruhe nicht. Ursprünglich begann ich meinen Blog, um Freunde und Bekannten an meinem Leben hier teilnehmen zu lassen. Das habe ich aus den Augen verloren. Wie so Manches. So schreibe ich nun wieder an meine Freunde und Bekannte.

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Grad habe ich noch meinen Geburtstag gefeiert, ein bisschen nur, denn im Mittelpunkt stehen liegt mir nicht so. Ein paar Leute eingeladen, Nachbarn, Bekannte, Freunde. Kerzen vergass ich, bis mich eine Freundin daran erinnerte, als der Kuchen schon fast gegessen war :). Sogar meine Freundinnen aus Europa haben es noch her geschafft. Grad noch. So gab es noch Umarmungen und Küsschen. Zwei Tage später dann nicht mehr.

Samstag, Dezember 21, 2019

Blick über den Tellerrand


In den deutschsprachigen sozialen Medien liest sich momentan viel über Ausländerfeindlichkeit, Rechtsdruck und in den letzten paar Tagen (Oktober 2019) sogar über tödliche Anschläge auf religiöse Einrichtungen und Ausländer.

Diese Entwicklungen beobachte ich schon lange mit grosser Sorge. Ich kenne die Geschichte und mir graut vor dem, was Menschen mit ihrem Hass auf Fremde anrichten können.

Dabei lebe ich ja auch als Fremde in einem Land, das eine völlig andere Kultur und Mentalität zelebriert. Sie ist mir nach wie vor fremd, ich arrangiere mich. Sie wird mir immer fremd bleiben, auch wenn ich vieles verstehe und nachvollziehen kann.

Manchmal spüre auch ich, wie ich mit gewissen Umständen nicht klar komme, wie z.B. die in voller Lautstärke geplärrten Gebetsaufrufe fünfmal am Tag. „Jetzt jodeln sie wieder“, denke ich oder ich stelle fest, wie spät es schon wieder ist… Manchmal sehe ich auch dabei zu, wie Männer zu den Moscheen strömen, um sich von einem vom Staat indoktrinieren Imam vollquatschen zu lassen, und dann zu beten. Nur, um danach wieder ihrem Geschäft nachzugehen: Betrügen, übers Ohr hauen, aussereheliche Beziehungen. Nicht alle natürlich, aber in Hurghada häufig. Um klarzustellen: Hurghada ist eine Touristenstadt, wo sich alles Mögliche tummelt, anständige wie miese Typen, Hochgebildete wie Analphabeten, Ehrliche wie Kriminelle.

Sonntag, Dezember 08, 2019

Sinai – ein bisschen am Rande der Welt


Reisenotizen und Gedankensplitter

Von Sharm nach Dahab

Hinter mir liegt Sharm, die schicke Touristenstadt, die sich über 30 km die Küste entlang zieht, und eigentlich nur aus Hotelanlagen besteht. Sharm (und damit der ganze südliche Sinai) hat die vergangenen Jahre sehr gelitten, die Touristen blieben aus. Seit kurzem geht es wieder langsam aufwärts. Die meisten Gäste kommen aus dem Golf und Israel, einige aus der Ukraine sowie aus Weissrussland und auch die Italiener kehren vorsichtig zurück. Die anderen Europäer machen sich noch rar. Zu Unrecht, finde ich. Es ist genauso sicher wie in Hurghada drüben und, das ist meine persönliche Meinung, die Hotels bieten mehr Klasse.

Ein Freund, der den grössten Teil seines Lebens in Dahab verbracht hat, schwärmt von der Kraft, welche der Sinai in sich hat. Er, der Freund, hat zu Fuss in 14 Tagen die Östliche Wüste vom Roten Meer bis zum Nil durchquert. „Ich mag sie aber nicht“, meint er. Erstens sei es eine sehr trockene Wüste, es gebe sehr wenig Wasser dort. Für mich ist es eigentlich logisch, dass es in einer Wüste trocken ist und wenig Wasser hat. Doch er fährt weiter: „Dort ist keine Energie. Ich habe nichts gespürt. Hier, im Sinai, ist das komplett anders. Hier spüre ich eine enorme Kraft.“

Sonntag, Februar 10, 2019

Da keimt zaghaft Hoffnung auf


Nach Jahren des Niedergangs (in jeder Hinsicht) scheint sich Ägypten doch etwas vorwärts und aufwärts zu bewegen. Damit meine ich jetzt nicht die Milliarden verschlingenden Grossprojekte in die Infrastruktur – die sieht man, wenn man in diesem riesigen Land unterwegs ist: Windparks, Städte,  Strassen und Brücken.

Es sind andere Veränderungen, die mir einen Hauch von Hoffnung auf Besserung und Modernisierung des trägen, in der Mitte der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts stehen gebliebenen Landes geben.

Gesundheit: Obdachlose werden eingesammelt und in Schutzeinrichtungen gebracht. Ob die gut sind oder nicht, ist eine andere Frage. Viele bleiben auf der Strecke. Aber immerhin: es bewegt sich.
Landesweit werden Einwohner auf Hepatitis C und Diabetes untersucht. Beide Krankheiten sind weit verbreitet.

Bürokratie: Der träge, sich selbst am Leben erhaltende und sich im Kreis drehende Koloss mit Millionen von Beamten, die in einem Kabäuschen sitzen und eine Marke auf ein Papier kleben oder einen Stempel auf ein Dokument knallen, um dann genüsslich Tee zu schlürfen, sich Witze zu erzählen und den nächsten Antragsteller wie Luft zu behandeln oder die Beamtinnen, die an einem wackeligen Holztisch Gemüse für die Grossfamilie daheim rüsten und die Antragstellerin zu einem Glas Tee einladen… Also eben jene Millionen von Beamten, die weder eine Auskunft geben (wollen), noch einen Computer bedienen (können) sieht man vielleicht bald nicht mehr.

Dienstag, Dezember 11, 2018

2. Filmfestival El Gouna – später Rückblick


Zweieinhalb Monate liegt es schon zurück, das 2. Filmfestvial in El Gouna. Ich habe das Festivalprogramm und die Eintrittskarten aufgehoben, weil ich meine Eindrücke mit euch teilen möchte. Jetzt endlich habe ich Zeit dazu.

Die zweite Auflage des Filmfestivals war umfangreicher, grösser und zahlreicher besucht – das war mein Eindruck. Über Jury, Teilnehmer und Preise mag man sich auf der offiziellen Homepage informieren. Ich liebe Filmfestivals im Allgemeinen und so habe ich schon einen Monat im Voraus auf die letzte Septemberwoche gefiebert.

Ein Grund dafür ist, dass wir hier am Roten Meer nicht grad mit kulturellen Angeboten verwöhnt werden. Ein weiterer, für mich ganz spezieller Grund ist die Mischung von internationalen Filmen und dem Focus auf Filme und Filmemacher aus der arabischen Welt. Dadurch kommen Besucher in den Genuss von Filmen, die in Europa nur ausnahmsweise zu sehen sind.

Sonntag, November 25, 2018

Der Stärkere hat Recht


Momentan habe ich einfach kaum Zeit zum Schreiben. Doch heute, auf dem Markt in Dahar, habe ich etwas beobachtet, das mich betroffen gemacht hat.

Während ich meine Kartoffeln und Tomaten (wieso sind die Tomaten plötzlich so billig?) auslas, packten die Verkäufer in ihren braunen Kaftanen panikartik die Trauben vor dem Stand weg.

Ein paar Minuten später sah ich, weshalb: Die Polizei war da, machte Razzia. Der ambulante Verkäufer mit den Bananen war plötzlich verschwunden. Jener mit den Orangen auch. Als ich beim pikobellen, sauberen, neuen Polizeiauto vorbeikam, sah ich, wie frische Brotfladen im Polizeiauto verschwanden. Die Polizisten, – sauber, adrett, gut bezahlt – die ihren Dienst taten, schlossen grad die hintere Türe. oh

Mir stach es ins Herz.  

Während ich weiter ging, reihten sich in meinem Kopf die Bilder aneinander. Und das tat fast weh. Jene, die mit ein paar Brotfladen (vielleicht sogar mit abgezweigtem, subventionierten Mehl?) ihr kümmerliches, nein: ärmliches Dasein aufbessern, werden schikaniert und möglicherweise bestraft. Jene, die in grossem Rahmen betrügen, laufen frei herum.

Hat nicht der Arabische Frühling genau mit so einem Anlass in Tunesien begonnen? 

Sonntag, Oktober 28, 2018

Ticket ins Paradies


Ich packe das Geschenk aus: ein Buch. Auf Arabisch. Von Alaa Al Aswany „Das Jakobiner Haus“ (Emarat Yacoubian). Ich habe das Buch vor Jahren in Englisch gelesen.

Der junge, pausbäckige Mann sieht mich erwartungsvoll an. Wir würden es gemeinsam lesen, meinte S., als ich sage, so gut sei mein Arabisch aber nicht. Wir reden oder besser: radebrechen Arabisch miteinander.

Zu jener Zeit verbessert sich mein Arabisch zusehends. Wir gehen hie und da aus. Ich helfe ihm in Deutsch und Englisch. Er ist launisch. Depressiv. Bleibt tagelang im Bett. Erzählt von seinen Sorgen, die sich nicht besonders von jenen anderer Ägypter seines sozialen Umfeldes unterscheiden. Es geht um die miserablen Arbeitsbedingungen, um Schikanen von Vorgesetzten, Mitarbeitern und Gästen (!!!), um den Druck der Familie, um Geld.  Ärger mit russischen Touristinnen, die meinen, alle Ägypter wollen nur Sex. Wenn er seine depressive Phase hat, hält er unsere Termine nicht ein.

Er arbeitet als Masseur in einem Hotel. Einmal ruft er mich an, bietet mir eine Massage an. Er habe grad Zeit. Einigermassen verdattert lehne ich dankend ab. Ich nehme grundsätzlich nichts von meinen Studenten an. Was soll das? Meint der wirklich, ich würde mich da privat vor ihn hinlegen?