Ich stehe heute zehn Minuten nach neun vor der Bank. Aber
die ist zu. Ich weiss, während des Ramadans sind Banken nur bis 13.30 Uhr
geöffnet. Dass sie morgens erst um halb zehn öffnen, habe ich nicht
mitgekriegt.
Also warte ich. Nicht bloss zwanzig, sondern fünfundzwanzig
Minuten. Zuerst draussen in der Hitze, dann im eisgekühlten Vorraum. Die
Sicherheitsleute lesen im Koran und schwatzen. Immer mehr Bankkunden gesellen
sich zu mir. Aha, auch die Ägypter wissen nicht, dass die Bank so spät öffnet.
Einer schaut ständig auf die Uhr, während ich mir Gedanken mache. Wie kann das
Geschäftsleben funktionieren, wenn die Banken nur vier Stunden täglich geöffnet
sind? Ich erinnere mich an die Worte eines Schülers, wonach das Bankgeschäft
momentan sowieso auf Sparflamme läuft. Mir wird schwindlig, habe zu wenig
getrunken, weil ich direkt nach dem Frühstück aus dem Haus bin. Und während des
Ramadans versuche ich, in der Öffentlichkeit nicht zu trinken. Ich betrachte
die wartenden Männer und überlege, ob wohl einer Gentlemen genug ist zu
erkennen, dass ich die Erste war.
Nein. Als die Tür endlich aufgeht, koche ich innerlich. Wie
immer drängen die Männer sich vor und, mich kaum mehr beherrschend, erinnere
ich die ägyptischen Herren Gentlemen laut in Englisch daran, dass ich zuerst da
war. Zwei drehen mir taub den Rücken zu, ein anderer bittet mich vorzutreten
und entschuldigt sich.
Einfach nur mühsam – aber leider so normal!
Ich will Euro abheben und bei der Nationalbank gegenüber in
Pfund wechseln. Die Nationalbank gibt die besseren Wechselkurse. Danach komme
ich wieder zu meiner Bank zurück, um die Pfund einzuzahlen. Blöd eigentlich in
Zeiten von Internetbanking. Schliesslich warte ich bei der Nationalbank
nochmals zwanzig Minuten. Dort hat es etwa zwanzig Schalter, aber nur einen für
Geldwechsel.
Einfach nur mühsam.
Ich steige in einen Bus, denn heute muss ich ins Passbüro
fahren. Ausgerechnet dieser Bus fährt nicht bis zum üblichen Zielort und
während ich mich damit abfinde, quatscht mich ein Insasse an und fragt, woher
ich komme. Das ist sehr unüblich in einem Minibus und der kochende Dampfkessel
in mir droht schon wieder fast zu explodieren. Ich steige aus, halte ein Taxi
an und gebe ihm die Adresse an. Der Chauffeur schaut mich verdutzt an. Ich
wiederhole Passbüro in Arabisch und frage, ob er mich verstanden hat – kann ja
sein, dass mein Arabisch heute unverständlich klingt. Doch, doch, erwidert er
und frägt beim nächsten Kreisel einen Fussgänger. Oh, der Dampfkessel! Ich
weise dem Fahrer den Weg. Vor lauter Freude fängt er mit der üblichen Fragerei
an: ob ich hier arbeite, ob ich verheiratet sei, ob mit einem Ägypter… „chalaass!“-
genug, sage ich! Und zum Glück sind wir beim Passbüro.
Ganz normal – aber auch ganz mühsam.
Dort stellt die Dame zu meinem Leidwesen fest, dass ich
wiedermal das falsche Visum kopiert habe. Ich will ein Wiedereinreise-Visum und
dafür muss man alle möglichen Stempelchen und den Pass kopieren. Also packe ich
meine Papiere ein und marschiere hinaus, in die brütende Hitze, zu dem 10
Minuten entfernten kleinen Laden, der Kopien für alle vergesslichen Leute wie
mich macht. Er macht wohl ein Vermögen, denke ich mir. Wenn die im Passamt
klever wären, würden sie dort einen Kopierer aufstellen – wäre sicher ein gutes
Geschäft. Auf dem Weg gehe ich an Polizisten der Zentralen Sicherheitseinheit
vorbei. Das sind die in Schwarz, die an den Checkpoints stehen und bei
Aufständen die Drecksarbeit machen. Sie liegen und sitzen im Schatten auf dem Trottoir,
im Truppenfahrzeug, schlafen oder begaffen alle Vorbeigehenden. Die
Windschutzscheibe ist zersprungen, das Fahrzeug selber in einem jämmerlichen
Zustand. Ein Abbild Ägyptens. 10 Minuten in noch grösserer Hitze zurück
marschieren und dann gebe ich Pass, Papiere und Geld ab. Ohne Vorauszahlung
geht nichts.
Das Wiedereinreise-Visum darf ich um 13 Uhr abholen. So
lange mag ich weder hier noch anderswo warten und schon gar nicht nochmals die
ganze Fahrt unternehmen. Ich komm morgen wieder. „Mafiisch muschkilla“ meint
die missmutige Dame. Immerhin.
Trotzdem mühsam. Den Spass erlaube ich mir zwei bis drei Mal pro
Jahr: bei der Visum-Verlängerung und bei den Wiedereinreise-Visen.
Wieder ein Taxi, diesmal muss ich dem Fahrer nur sagen, dass
er mich direkt vor dem Gemüsemarkt aussteigen lassen soll. Ich hol noch schnell
Tomaten und Trauben vom Markt und setze mich dann in einen Bus, der über die Ringstrasse zu mir
hinaus fährt. Der Schweiss rinnt mir die Beine hinab, die Knie des Jungen
neben mir schiebe ich mit einer wirschen Handbewegung zur Seite, von alleine
merkt er nicht, dass er mich dauernd berührt. Mein Dampfkessel hat sich
beruhigt, der Junge tut mir fast leid – Ägypter kennen keinen nötigen
Körperabstand. Wie soll’s der Junge da wissen? Gleich bin ich zu Hause.
Der ganze Ausflug dauert knapp vier Stunden, inklusive bzw.
wegen dem Warten. Und morgen fahre ich nochmals zum Passbüro, um meinen Pass wieder
abzuholen. Mühsam, aber ganz normal. Ich bin froh, besitze ich weder eine
Immobilie noch ein Fahrzeug – denn dann hätte ich noch mehr mit Ämtern zu tun.
Wofür ich das Visum brauche? Ich fliege am Sonntag heim.
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