Die Wohnanlage ist rechteckig angelegt: in der Mitte sind
ein Swimmingpool und ein Restaurant, darum herum gruppieren sich Wohnblöcke.
Die Anlage ist gepflegt und sauber. Zumindest für hiesige Verhältnisse.
Ausserhalb der Wohnanlage ist ägyptischer Alltag. Dort steht
ein einziger Müllcontainer (vor einigen Monaten waren es noch drei), der
unseren Abfall und jenen der Nachbarn fassen soll. Das tut er natürlich nicht
und jeweils spätabends liegt der Abfall auch neben dem Container. Der Wind
wirbelt alles Lose durcheinander und trägt es fort; dorthin, wo es nicht hin
gehört. Einmal pro Tag kommen die Leute von HEPCA und leeren die Mülltonne.
Doch zuerst haben noch andere Interesse an dem, was wir
übrig lassen. Ich dachte immer, es seien nur Hunde und Katzen sowie arme Erwachsene,
die die Tonne durchwühlten. Mehrmals täglich stehen in Baracken lebende Männer
oder Frauen davor und durchwühlen sorgfältig Sack für Sack nach Verwertbarem.
Es ist ein schockierender Anblick, auch wenn er alltäglich ist. Die Folge ist
jeweils eine riesige Sauerei rund um den Container.
Spätnachts bewegte sich noch etwas anderes vor dem
Container. Unzählige Plastiksäcke um sich herum verteilt und geöffnet, sitzt
ein kleiner Junge. Nicht ein erwachsener Mann, nein, ein kleiner Junge mit
schwarzem Lockenkopf. Mir hockt ein Kloss im Hals und ich schaffe es fast
nicht, auf Arabisch verständlich zu fragen, was er da mache. „Ich sammle
Flaschen, um damit Geld zu verdienen.“
In der darauffolgenden Nacht gehe ich im Dunkeln den
unebenen, mit Abfall gesäumten Weg entlang und sehe schon von weitem: da sitzt
er wieder zwischen den geöffneten Abfallsäcken und wirft seelenruhig gebrauchte
Plastikflaschen in einen grossen, festen Sack. Wieder schnürt es mir schier den
Hals zu, nach kurzem Zögern gehe ich aber zu dem Jungen hin und spreche ihn an.
„Wie heisst du denn?“
„Ibrahim“ antwortet eine helle Kinderstimme. Er schaut mich brav und mit offenem Blick an. Wie ein gut erzogener Schüler, der die Fragen seines Lehrers gewissenhaft beantwortet.
„Wie alt bist du?“
„Dreizehneinhalb.“ Ich kann es kaum glauben.
„Du bist aber klein! Wo wohnst du?“
„Da drüben!“ und er zeigt auf etwas, das ich im Dunkeln nicht sehen kann. Da drüben sind nur Rohbauten und Bretterverschläge.
„Gehst du noch zur Schule?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Wir haben das Geld für die Bücher nicht“.
„Ibrahim“ antwortet eine helle Kinderstimme. Er schaut mich brav und mit offenem Blick an. Wie ein gut erzogener Schüler, der die Fragen seines Lehrers gewissenhaft beantwortet.
„Wie alt bist du?“
„Dreizehneinhalb.“ Ich kann es kaum glauben.
„Du bist aber klein! Wo wohnst du?“
„Da drüben!“ und er zeigt auf etwas, das ich im Dunkeln nicht sehen kann. Da drüben sind nur Rohbauten und Bretterverschläge.
„Gehst du noch zur Schule?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Wir haben das Geld für die Bücher nicht“.
Ich sage Ibrahim, dass ich ihn in der darauffolgenden Nacht
vielleicht wieder sehen werde. In dieser Nacht kann ich lange nicht schlafen –
zu viele Gedanken bestürmen mich, darunter auch Erinnerungen an andere Länder,
in denen ich dieses Elend sah.
Am anderen Morgen rufe ich meine Arabischlehrerin an, der
ich schon von dem Jungen erzählt habe. Sie meinte, wir Ausländer und auch
Ägypter denken oft, dass so einem Kind und seiner Familie geholfen ist, wenn
man ihnen Geld oder Lebensmittel gibt. Sie hat Recht: Das ist der einfache Weg
und beruhigt das Gewissen, nicht wahr?
Dabei wäre ihnen mehr geholfen, wenn man dem Kind
verständlich macht, dass es dafür kämpfen muss, weiterhin in die Schule zu
gehen; dass es sich lohnt, sich durchzubeissen, um aus dem Elend herauszukommen
und als Erwachsener nicht ebenfalls das Leben eines Abfallsammlers führen zu
müssen; und dass es begreift, dass es das auch schaffen kann. An den Ausgaben
für die Bücher liegt es nicht – die kosten in den staatlichen Schulen nicht
viel.
Mein Arabisch ist nicht gut. Doch wenn ich Ibrahim wieder
sehe, versuche ich wieder mit ihm zu reden, über die Schule, über das Leben. Auch
wenn er nur einer von Hunderttausenden ist, die im Elend leben.
Liebe Qamar!
AntwortenLöschenIch bin so was von zufällig über deinen Blog gestolpert... UND hängen geblieben! Du weisst nicht, wie gut es sich anfühlt, wenn man das, was man seit Monaten beobachtet, auf einmal schön ausformuliert schwarz auf weiß (orange) vorfindet.
Ich lebe seit einiger Zeit in Hurghada und es war schon in Europa sehr schwer der Idee von einer idealen Welt nachzueifern. Und hier zerbröckelte diese Traumwelt noch schneller.
Und es ist alles so kompliziert (meine westlichen Wertvorstellungen mit der Kultur, Religion und Mentalität hier zu vereinbaren... und manchmal ist es wieder sehr leicht... wie gesagt - kompliziert!) und ich danke dir dafür dass du mir durch deinen Blog gezeigt hast, dass ich nicht alleine bin mit meinem Gefühlswirrwarr und wie schon oben erwähnt, dass du es geschafft hast all meinen Gefühlen eine Form zu geben.
Bitte mache weiter so, um Außenstehenden einen Einblick in das Leben in diesem wunderschönen Land zu gewähren und um den Involvierten zu helfen, besser über das Leben hier zu reflektieren.
Ich wünsche dir alles Gute und viel Erfolg.
Ich wünsche den Lesern, dass sie noch viele Einträge von dir zum Lesen bekommen und diese zu schätzen wissen.
Ich wünsche allen Ägyptern und den Menschen, die Ägypten lieben, dass das Land in die richtige Richtung geht und dass alle in diesem Land glücklich werden.