Endlich finde ich wieder ein bisschen Zeit für meinen Blog…
Die Stadt an Mittelmeer und Eingang zum Suez Kanal hat
seinen Frieden und seinen Glauben an Gerechtigkeit wohl endgültig verloren.
Vor einem Jahr, Anfang Februar, war da dieses Fussballspiel
Ahly Kairo gegen das Team Masry in Port Said. Ein Spiel wie viele
Fussballspiele rund um den Globus: Fans, Aggressionen, Gewalt, Beinahe-Krieg. Fussball
ist etwas von dem Wenigen, das den Menschen noch etwas Abwechslung bietet. Doch
dieses Fussballspiel war schlimmer: denn nach Schlusspfiff gingen die Fans aufeinander
los: Sie wurden von den Rängen gestürzt, sie wurden mit Messern verletzt; wer
fliehen wollte, stand vor verriegelten Ausgängen und wurde zu Tode getrampelt. Folge:
über 70 Tote, mehrheitlich Fans von Ahly Kairo.
Der Schock war riesig, die Wut auch. Familien haben ihren
Ernährer oder ihre Söhne verloren. Sie fuhren am Nachmittag in Bussen nach Port
Said als Fans und wurden am anderen Morgen als Leichen in Särgen nach Kairo
zurück gebracht. Hinzukommt, dass sich die beiden Fangemeinschaften gegenseitig
beschuldigen, Auslöser dieses Massakers zu sein.
Die betroffenen Familien und die Fussballvereine verlangten
eine Untersuchung und Bestrafung der Schuldigen. Beides liess auf sich warten;
doch immerhin trat ein hoher Beamter zurück.
Inzwischen sickerte durch, dass – wie sonst üblich - vor dem
Spiel keine Sicherheitsprüfungen gemacht wurden, um Besucher nach Waffen oder
anderen gefährlichen Gegenständen zu durchsuchen. Es wurde bekannt, dass sich
die Polizei während des Spiels zurückzog. Dem einen oder anderen Fan dämmerte
es, dass sich da etwas anbahnte und er verliess das Spiel in der Pause oder
während der zweiten Halbzeit. Das rettete manch einem das Leben. Auf Fotos ist
zu sehen, wie Sicherheitsausgänge verschweisst (!) waren.
*****
Beim Schreiben dieser Zeilen erinnere ich mich, wie ich
einmal in Alexandria mit einer Freundin unterwegs war, als eines dieser grossen
Fussballspiele stattfand. Ausnahmsweise fuhr sie ihren Wagen selbst und wir
mussten an einem Stadion vorbei, wo sich die Fans nervös und erregt bis in die
Strassen drängten. Trotz grosser Hitze verriegelte sie Fenster und Türen und
betete, dass wir heil davon kämen. Sie erzählte mir auch, wie ein Mann durchs
offene Fenster ihre goldene Halskette abgerissen hatte…
*****
Im vergangenen Januar verkündete das Gericht das Urteil: 21
Todesurteile, davon zwei oder drei Polizisten, die anderen alles junge Männer
und Jugendliche aus Port Said. Kairos Ahly Fans jubelten zuerst, wurden dann
aber wütend, weil sie das Urteil als zu milde empfanden. Die Menschen in Port
Said hingegen waren erschüttert, denn ihrer Meinung nach werden sie als
Sündenböcke für die wahren Drahtzieher gebraucht. Der Trauerzug wurde zu einer
Demonstration, die in brutalen Krawallen und zu weiteren Toten führte. Im Internet
sind Bilder und Videos zu sehen, wie Scharfschützen die Menschen in den
Strassen niederstrecken.
Darauf rief Mursi eine monatelange Ausgangssperre aus, die
prompt von den Bewohnern ignoriert wurde. Weder die Polizei, noch das Militär
griffen ein. In ihrer Verzweiflung begannen die Port Saider mit zivilem
Ungehorsam und übernahmen ihre Stadt in Selbstverwaltung. Die Polizei streikt.
Beides, der zivile Ungehorsam sowie der Polizisten-Streik haben auf andere
Städte im Delta übergegriffen. Das Militär bewacht nun die wichtigsten Gebäude.
Einzig der Betrieb des Suez Kanals wurde bis auf wenige Stunden verschont.
Vor einigen Tagen wurde das Urteil bestätigt. Und immer
weitere Tatsachen kommen ans Licht. Beweise, wie z.B. dass ein zum Tode
Verurteilter das Spiel vor der zweiten Halbzeit verliess, weil er an einer
Hochzeit teilnahm, wurden von den Untersuchungsrichtern nicht akzeptiert.
Selbst die Polizei in Port Said gibt zu, im Chaos wahllos Hunderte von Männern
festgenommen zu haben und darunter mögen sich zahlreiche Unschuldige befinden.
Andere wurden zuhause verhaftet oder, wie einer in einem Interview mit der
Online-Zeitung „Ahram Online“ erzählt, weil er sich weigerte, die Namen der
Port Said Ultras bekannt zu geben. Ein anderer sagt, dass er zum Tode verurteilt
sei, sich aber nicht der Polizei gestellt hat. Jede Minute können sie ihn
ergreifen…
Es heisst zudem, dass die Ahly Ultras, die sich im Verlaufe
der vergangenen zwei Jahre immer öfter politisch engagieren, sich mit den
Muslim Brüdern trafen. Man munkelt, dass mit der Zahl der Verurteilten und
jenen, die in den Strassenschlachten umkamen, nun gleich viele Tote wie bei den
Ahly Fans sind…
Haarsträubend. Dabei ist das noch nicht alles. Mag sein,
dass die MB mit Port Said und den anderen Städten am Suez Kanal eine offene
Rechnung zu begleichen hatten: die Bewohner dort stellen sich seit je gegen
die MB. Jedenfalls scheint es, als ob die Regierung die Menschen in Port Said
ausbluten lassen wollte: auch ihr Statut als „Sonderwirtschaftszone“ (zollfreie
Zone) ist in Gefahr.
Fussball ist Spielball der Politik. Die einen spielen munter
mit, die anderen vermuten es, können sich aber nicht wehren. Ein Spiel, bei dem
es Gewinner und Verlierer gibt. Vorerst noch. Nur merkt noch keiner, dass am
Ende alle verlieren.
Auf der Strecke bleiben die Arbeiter, die Frauen und Mütter.
Es gibt immer weniger Arbeit und nun trauern die Frauen um ihre Männer und halbwüchsigen
Söhne. Eine junge, allein erziehende Witwe ist in dem erzkonservativen Land am
Ende. Eine Frau, dessen Mann jahrelang im Gefängnis sitzt oder der zum Tode
verurteilt wird, ist ebenfalls am Ende. Eine Familie, die ihren Ernährer
verliert, ebenfalls. Wohin sollen die Menschen mit ihrer Wut und ihrer Trauer?
Es gibt keine Polizei, bei der sie ihr Recht einfordern können. Es gibt kein
Gericht, das Gerechtigkeit walten lässt. Es gibt kein Sozialsystem, das die
Betroffenen finanziell, geschweige denn psychologisch unterstützt. Es ist eine
Tragödie sondergleichen und ich bezweifle, dass sie schon zu Ende ist.
Sarkastischer Nachtrag:
Bei besagtem Spiel gewann wider Erwarten und ausnahmsweise Port Said.
Bei besagtem Spiel gewann wider Erwarten und ausnahmsweise Port Said.
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